# taz.de -- Bremen stimmt über Wahlperiode ab: Weniger Demokratie wagen | |
> Bremer dürfen parallel zur Bundestagswahl am 24. September entscheiden, | |
> ob sie weiter alle vier oder zukünftig alle fünf Jahre die Bürgerschaft | |
> wählen wollen | |
Bild: High Five für fünf Jahre Legislaturperiode: Lencke Steiner (FDP) und ih… | |
BREMEN taz | Kantig dick und schreiend groß steht „Nein“ auf 500 | |
Kampagneplakaten der Bremer Linken. Das apodiktische Statement stellten sie | |
gestern vor und wollen es zum Auftakt der Bundestagswahlwerbung am nächsten | |
Wochenende an Bäume nageln und an Zäune drahten. Um sich als einzige der | |
Regierungs- und Oppositionsparteien deutlich zum dritten Volksentscheid der | |
Hansestadt zu positionieren. | |
Denn weniger Demokratie wagen – das will jetzt auch Bremen. Die Bürger | |
sollen sich nicht mehr alle vier, sondern nur noch alle fünf Jahre per | |
Landtagswahl politisch äußern. So wünschen es Abgeordnete in einer | |
parteiübergreifenden Initiative. Mit dem großen Ziel: „Optimierung der | |
Funktionsfähigkeit“ der Bremischen Bürgerschaft. | |
Da es sich bei der Verlängerung der Wahlperiode um eine Verfassungsänderung | |
handelt, hat der Landtag beschlossen, sie direkt von den Bürgern absegnen | |
zu lassen. Das soll parallel zur Bundestagswahl am 24. September geschehen. | |
Sollten sich die Wahlberechtigten mit einfacher Mehrheit für eine | |
Rhythmusänderung beim Urnengang aussprechen, würde die Neuregelung ab 2019 | |
zum Zuge kommen. | |
Im Nachkriegsdeutschland hatte sich über Jahrzehnte eine vierjährige | |
Wahlperiode etabliert. Nach der Wiedervereinigung wurde sie peu à peu von | |
den Bundesländern um ein Jahr verlängert. In Niedersachsen war dies 1998 | |
der Fall, in Hamburg 2015. Seither gibt es bundesweit nur noch in Bremen | |
den Vierjahres-Turnus. | |
Dem einstimmig von den Fraktionen beschlossene Antrag zum Volksentscheid | |
ist zu entnehmen, dass weniger Wahlgänge die Arbeit der Abgeordneten | |
„effektiviert“ – weil mit der Einarbeitungszeit auch „die | |
Umsetzungsmöglichkeit komplexerer Gesetzesvorhaben“ wachse. Da sich im | |
ersten halben Jahr nach Volkes Stimmenabgabe die Politiker erst einmal | |
schütteln sowie in neuen Konstellationen zurechtfinden müssten und das | |
letzte Legislaturjahr zunehmend dem Wahlkampf widmeten, gerieten gerade | |
größere politische Initiativen „oft ins Stocken oder fallen gar der | |
sogenannten Diskontinuität zum Opfer“. | |
Doris Achelwilm meint hingegen, es gehe hier um „Probleme, die keiner hat“. | |
Eingeschränkt werden sollen „Wahlen als lästige Unterbrechung des | |
Arbeitsalltags“, verlängert würden Amtszeiten. Schon die Formulierung zur | |
Volksbefragung ist ihr suspekt. Nicht ob die bisherige Regelung | |
beibehalten, sondern ob sie geändert werden soll, sei dort zu lesen. | |
Deswegen: „Nein“. | |
Im schwerfälligen Politapparat könne man sich in vier Jahren in ausreichend | |
Themen einarbeiten, argumentiert Linken-Landesprecher Felix Pithan. Zudem | |
sei es in Zeiten sinkender Wahlbeteiligung das falsche Signal, | |
„demokratische Entscheidungsmöglichkeiten abzubauen“. Für Achelwilm kann … | |
gar nicht genug Partizipationsmöglichkeiten und Wahlzeiten geben. Habe man | |
darin doch die größte Aufmerksamkeit der Bürger und könne auch mal Themen | |
ansprechen, die sonst untergingen. | |
Aus den Reihen der CDU heißt es, das Interesse der Bürger an Politik und | |
Wahlbeteiligung hänge nicht an der Länge der Wahlperiode. „Entscheidend ist | |
die konkrete Politikgestaltung und die Frage, inwieweit eine Regierung die | |
tatsächlichen Themen und Probleme der Bürger erkennt und aufgreift.“ Zudem | |
könne „auch die Kostenfrage ein Argument für eine fünfjährige | |
Legislaturperiode sein“. | |
Seltener wählen spart tatsächlich Geld. Das komplette Procedere einer | |
Bürgerschaftswahl kostet laut Landeswahlleiterin Evelyn Temme „gut drei | |
Millionen Euro“. Wenn also in den kommenden 20 Jahren nur vier- statt | |
fünfmal zur Urne geschritten werde, dann wären in jedem dieser Jahre | |
150.000 Euro mehr im Stadtsäckel. | |
Und da auch das Europaparlament eine Wahlperiode von fünf Jahren hat, | |
könnten zukünftig beide Stimmabgaben zeitgleich durchgeführt werden, was | |
wiederum Kosten spare und „zu einer Aufwertung beider Wahlen“ führe, | |
ergänzt der FDP-Landesvorsitzende Hauke Hilz. Er ist wie CDU und SPD für | |
einen fünfjährigen Wahl-Turnus. Diese Parteien unterlassen es allerdings, | |
ihren Anhängern allzu deutlich eine Entscheidung nahezulegen. Die Grünen | |
halten sich ganz raus und teilen mit, sie würden ganz „auf das Votum der | |
Bürger vertrauen“. | |
28 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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