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# taz.de -- Stadtstaat vor der Pleite: Bremen kämpft für sich allein
> Verfassungsrecht Bremen sieht sich durch die Klage gegen den
> Länderfinanzausgleich in Existenz bedroht – und zieht daher mit einem
> eigenem Bevollmächtigten in den Streit.
Bild: Auf See, vor Gericht, auf der Weser - stets kannste untergehn.
BREMEN taz | Bremen stemmt sich gegen den Untergang: Ein eigener
Bevollmächtigter soll vorm Bundesverfassungsgericht die Bremischen
Interessen im Länderfinanzausgleich wahren. Gegen den klagen die
Geberländer Bayern und Hessen in Karlsruhe. Sie fühlen sich benachteiligt.
Am 31. 3. endet die Erwiderungsfrist. Und während die meisten Bundesländer
sich gemeinsam vom Münchner Jura-Professor Stefan Korioth vertreten lassen,
hat Bremens Senat gestern eine eigene Stellungnahme beschlossen. Formuliert
hat sie Staatsrechtslehrer Joachim Wieland, der Rektor der deutschen
Hochschule für Verwaltungswissenschaften.
Die Entscheidung, mit eigenem Bevollmächtigen in Karlsruhe aufzulaufen,
dürfe nicht als Zeichen einer Isolation Bremens gewertet werden, hob
Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hervor. „Das Gegenteil ist der
Fall.“ Man wisse, dass man „auf Bündnisse angewiesen“ sei. Doch habe das
Verfahren für Bremen erkennbar größere Bedeutung als für die meisten
Länder. Das komme in der Berufung Wielands zum Ausdruck. „Diese Klage ist
für uns von existenzieller Bedeutung“, bestätigte Bürgermeister Jens
Böhrnsen (SPD). Er verwies in dem Zusammenhang aufs Saarland, das
vergangene Woche seine eigene Stellungnahme verabschiedet hatte: Wie diese
erklärt auch Bremen die bayrisch-hessische Klage erwartungsgemäß für
unbegründet. Ob es jemals ein Urteil geben wird, ist ungewiss: „Ich gehe
davon aus, dass der politische Prozess das Verfahren überholt“, so
Böhrnsen.
Dafür spricht einiges. So endet die Amtszeit der aktuellen
Berichterstatterin des zuständigen Verfassungsgerichts-Senats, Gertrude
Lübbe-Wolff, in 14 Tagen, am 8. April: Und wenn sich ihre – bislang noch
nicht nominierte – Nachfolgerin in den Vorgang einst eingearbeitet haben
wird, ist es Usus, dass sie die Kläger auffordert, auf die Entgegnungen zu
entgegnen – sodass eine mündliche Verhandlung vor Mitte 2015 hochgradig
unwahrscheinlich wird.
Mitte 2015 ist aber auch Mitte der Wahlperiode des Bundestags, und „bis
Mitte der Legislaturperiode“, so verspricht der Vertrag von CDU, CSU und
SPD, will die große Koalition in Berlin den Länderfinanzausgleich
reformiert haben. Angesichts dessen sei unverständlich, dass Bayern und
Hessen das Verfahren weiterbetrieben so Böhrnsen: „Wer handeln will, soll
nicht klagen.“
Stefan Löwer, Sprecher des hessischen Finanzministers, sieht das anders:
„Mir erschließt sich der Sinn dieser Äußerung nicht“, sagte er der taz a…
Nachfrage. Schließlich seien „weder Hessen noch der Freistaat Bayern
Vertragspartner der großen Koalition“. Für Hessen als Geberland sei das
Umverteilungsprogramm „eine große Belastung“ geworden, so Löwer. „Das i…
mittlerweile nicht mehr tragbar“ – spätestens seit Nordrhein-Westfalen sich
wieder vom Geber- zum Nehmerland gewandelt hat. Eine Entwicklung, die erst
nach der jüngsten Reform des Länderfinanzausgleichs eintrat.
An der allerdings hatten Hessen und Bayern seinerzeit tatkräftig
mitgewirkt. Insgesamt reagierten die 2001 verabschiedeten Regeln direkt
aufs einschlägige Verfassungsgerichtsurteil vom 11. November 1999. Zumal
sich das Maßstäbe-Gesetz liest wie eine direkte Übersetzung der
richterlichen Vorgaben in Paragrafen. Und längst als „zulässig, wenn nicht
sogar geboten“ abgesegnet hat Karlsruhe das nun von Bayern und Hessen
erneut angegriffene Prinzip der Einwohnerveredelung – also die Tatsache,
dass Bremen pro Kopf 1,35-mal so viel Geld aus dem Bund-Länder-Topf erhält
wie beispielsweise Hessen. Das klingt zwar wie die größte Ungerechtigkeit
der Welt, leitet sich aber von den besonderen Aufgaben der Stadtstaaten ab
– und hat sich auch in Hessen bewährt: Im landesrechtlichen Finanzausgleich
ist ein Bewohner von Kassel fast viermal so viel wert wie ein Mensch in
Oestrich-Winkel oder gar in Stephanshausen. Insofern zielt die Klage nach
Einschätzung des Prozessbeauftragten Wieland „auf eine Änderung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, was fast nie ohne Anlass
vorkommt.
Immerhin birgt der Rechtsstreit auch ein Risiko für die Kläger. Denn im
Finanzausgleichgesetz (FAG) findet sich auch eine Bestimmung darüber, wie
kommunale Steuereinnahmen in die „Finanzkraftmesszahl“ einzubeziehen sind,
an der sich ablesen lässt, wer wie viel zahlt. Dafür werden die
Gemeindegelder „je für sich auf 64 vom Hundert herabgesetzt“, heißt es im
FAG: ein im politischen Kuhhandel festgelegter Wert, über den das
Verfassungsgericht noch nie entschieden hat.
Während Bayern und Hessen fordern, den Reichtum ihrer Städte künftig nur
noch zur Hälfte anzurechnen, argumentiert Wieland, dass die
verfassungsrechtliche Stellung der Städte eher dafür spreche, ihn voll
einzubeziehen: „100 Prozent wäre die natürliche Zahl.“ Das würde die
Messzahl von Bayern und Hessen stark vergrößern – und auch andere Länder
wieder auf die Geberseite rutschen lassen.
25 Mar 2014
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Wahl in Bremen
Grüne Bremen
Berlin
Länderfinanzausgleich
Haushalt
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