# taz.de -- Der Landesvater zur Legislaturhalbzeit: Habemus Papi! | |
> Jens Böhrnsen war stets präsidial. Aber dann hat er nach der Bremen-Wahl | |
> in den Sack gehauen. Geblieben ist die Frage: Wie landesväterlich ist | |
> Carsten Sieling? | |
Bild: Der Landesvater verschwört sich: Carsten Sieling bei der Vereidigung. | |
Und dann war ziemlich schnell klar, dass es auf Carsten Sieling | |
hinauslaufen würde. Und es kamen die Anrufe in der Redaktion, aus der | |
Sozialdemokratie, und da war dann die Frage: unser kleiner Carsten, ja, | |
kann der denn das? Das war nicht böse gemeint, klang aber so. | |
Denn es war klar, dass diese Frage auf die Person zielte, auf den Menschen | |
oder den Politiker-Typus, das heißt sein öffentliches Bild. Und nicht auf | |
die intellektuelle Kompetenz. Denn, dass Sieling komplizierte | |
finanzpolitische Sachverhalte zu durchdringen vermag, das ist ja jedem | |
lange klar gewesen in Bremen. Aber ist er darum auch ein Landesvater? | |
Die Frage hatte sich bei Jens Böhrnsen nie so recht gestellt. Obwohl 2004 | |
beide – er als Fraktions- und Sieling als Parteichef – am missglückten | |
Versuch, Henning Scherf loszuwerden, gleichen Anteil hatten, hing die | |
verdruckste Palastrevolte Sieling länger an als Böhrnsen, und erkennbar hat | |
sich Scherf damals auch nur an Sieling gerächt: Er sorgte dafür, dass | |
Sieling bei seiner Wahl zum Fraktions-Chef den Parteivorsitz abgeben | |
musste. Sich an Böhrnsen vergreifen mochte er nicht. | |
Der war ja alter sozialdemokratischer Adel, Sohn und Neffe von | |
Widerstands-Heroen, die Generation nach dem Aufstieg aus dem | |
Arbeitermilieu. Der wirkte immer präsidial, schlimmstenfalls großväterlich. | |
Böhrnsen hätte ein Erziehungsberechtigter sein können, der sich vielleicht | |
nicht gerade von seinen Kindern siezen ließe, aber den sie doch wenigstens | |
„Vater!“ genannt hätten: Vater, wo bist du, Vater, wir danken dir, | |
Landesvater, Schutz und Rater. | |
## Sind „Landesväter“ überholt? | |
Soll man dieses Bild überhaupt noch ernst nehmen, bedienen, transportieren? | |
Dass es monarchisch-dynastische Ursprünge hat, ist ja klar: In ihm wird | |
jeder Wechsel, jeder Gedanke an Fluktuation, die doch der Demokratie | |
wesentlich ist, in die Nähe des Verbrechens gerückt. Es stinkt seit dem 19. | |
Jahrhundert nach dem Bier und dem Nationalismus korporierter Studenten. | |
Ebenso drückt sich darin die heteronormative Vorstellung der Familie als | |
Keimzelle staatlicher Organisation aus. | |
Das Mindeste ist es, dieses Bild zeitgemäß umzuwandeln. Und dafür ist | |
Sieling der Richtige: Er ist eher der Typ Papi. Einer, dem man zutraut, | |
nach Feierabend mit den Kindern auf dem Bolzplatz zu kicken, bis die Hose | |
reißt. Selbstverständlich könnten die ihn beim Vornamen rufen. | |
Und er riskiert auch ein Witzchen auf der Pressekonferenz, wenn es um die | |
großen Zukunftsfragen, die Überschuldung des Landes und ähnliche Geißeln | |
des Zweistädtestaats geht: Papi legt weniger Gewicht auf die Würde seines | |
Amtes, seiner Rolle. | |
Vielleicht fehlt ihm auch mitunter das Gespür dafür. Das kann dazu führen, | |
dass ihn das tradierte, im Grunde längst überwundene Rollenbild des Vaters | |
als ein reaktionär-traditioneller Maßstab verunsichert, weil er sich | |
verpflichtet fühlt, ihm gerecht zu werden: In die hoch protokollarischen | |
Momente seines Amtes hat sich Sieling erst noch reinfuchsen müssen. | |
## Espresso in Panik | |
Da hat er mitunter linkisch gewirkt, etwa als er bei der Vereidigung ein | |
Victory-Zeichen gemacht hat, statt die klassische Schwur-Geste. Ein anderes | |
Beispiel ist der ranschmeißerische Versuch, sich im Boulevard anhand dort | |
bewusst gepflegter veralteter Stereotypen selbst zu vermarkten. | |
Oder wie sonst sollte man diese Episode aus dem Sommer 2015 verstehen? Eine | |
mehrteilige Bild-Homestory aus dem Urlaub in der Villa eines Ex-KBWlers im | |
Piemont, die Gattin kredenzt Espresso und parliert über Kochrezepte, der | |
Vater liest, die Füße im Pool, die Zeitung im Tablet, und Fußballspielen | |
mit den beiden Kids steht hoch im Kurs. | |
Diese [1][Karikatur einer Inszenierung] von Familienleben wirkte nach | |
seinem Holterdiepolter-Amtsantritt, wie ein geradezu panischer Versuch, | |
nachträglich die Bekanntheit und Volkstümlichkeit herzustellen, die ein | |
Kandidat sich sonst im Wahlkampf erarbeitet. Und die Autorität, die man vom | |
Regierungs-Chef erwartet. | |
Vielleicht war es aber auch nur eine spontane Grappa-Idee: Spontaneität bis | |
zur Sprunghaftigkeit wird Carsten Sieling nachgesagt: Schnell im Kopf, | |
schlagfertig, bedeutet manchmal auch, dass Ideen, die verkündet werden, die | |
Routinen des Zusammenlebens stören – die lieben ebenso wie die notwendigen. | |
Das sorgt für Unruhe. Die kann Bremen allerdings auch gut gebrauchen. | |
1 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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