| # taz.de -- Umweltstaatssekretär über Artenschutz: „Gefahr durch Wölfe ist… | |
| > Für Menschen gefährliche Tiere würden geschossen, sagt | |
| > Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Er kritisiert Tierrechtler, die | |
| > Wolf und Mensch gleichsetzen. | |
| Bild: Wölfe leben gefährlich: überfahrenes Tier in Niedersachsen | |
| taz: Herr Flasbarth, wie groß ist das Risiko, von einem Wolf angegriffen zu | |
| werden? | |
| Jochen Flasbarth: Über Jahrzehnte sind keine Fälle aus Europa bekannt | |
| geworden. Das gilt auch für Länder mit sehr viel größeren Wolfpopulationen | |
| als hier. Der Wolf ist ein wild lebendes Raubtier. Deshalb muss man | |
| vorsichtig sein. Aber Panik ist nicht angesagt. Die Gefahr durch den Wolf | |
| ist sehr gering. | |
| Allein im 20. Jahrhundert töteten Wölfe weltweit [1][mindestens 446 | |
| Menschen]. 2005 starb ein Mann in Kanada, [2][2010 eine Frau in Alaska]. | |
| Zeigt das nicht, dass das Risiko real ist? | |
| Man sollte auch geringe Risiken nicht relativieren. Aber gleichwohl muss | |
| man darauf hinweisen, dass es viele Gefahren gibt. Und der Wolf ist auch | |
| eine. | |
| Diese Gefahr ist neu, weil wir 150 Jahre in Deutschland keine Wölfe hatten. | |
| Könnte man sie noch zurückdrängen, beispielsweise durch Abschüsse? | |
| Der Wolf ist ohne menschliches Tun zurückgekommen. Er gehört hier zur | |
| Natur. Als potenziell gefährlich eingestufte Wölfe dürfen schon jetzt | |
| geschossen werden. Aber präventiv zu sagen, wir rotten den mal wieder aus, | |
| das fände ich ziemlich absurd. | |
| Statt ihn auszurotten, ließe er sich auf bestimmte Bereiche beschränken. | |
| Es ist mir ein Rätsel, wie man das machen soll. Wölfe sind hoch mobil. | |
| Viele Deutsche haben Angst vor Hunden. Ist es nicht verständlich, wenn | |
| Menschen Angst vor Wölfen haben? | |
| Ja, deshalb muss man aufklären. Ihr übliches Verhalten ist, dass sie nicht | |
| die Nähe zum Menschen suchen. Wenn es Wölfe gibt, die ein nicht natürliches | |
| Verhalten haben, dann müssen sie vergrämt oder entnommen, also erschossen | |
| werden. | |
| Manche Wölfe sind nicht scheu. Sie nähern sich Menschen, ihren Siedlungen | |
| und Tieren. Sollte man das ändern, indem man Wölfe schon dann schießt, wenn | |
| sie durch Dörfer laufen? | |
| Wenn ein Wolf durch ein Dorf läuft, ist das noch kein auffälliges | |
| Verhalten. Wenn da ständig der gleiche Wolf durch die Dörfer streift, wenn | |
| er plötzlich sich am Müll zu schaffen macht oder wenn er gezielt immer | |
| wieder Vieh angreift, dann muss man eingreifen. | |
| Sie befürworten, dass Bauern ihre Nutztiere auf der Weide und nicht nur im | |
| Stall halten. Gleichzeitig plädieren Sie für die Ausbreitung des Wolfs, der | |
| immer mehr dieser Tiere tötet. Wie passt das zusammen? | |
| Das ist der Konflikt, der anders als die Gefahr für den Menschen wirklich | |
| Bedeutung hat. Wir wollen die Weidehaltung, weil sie viele Umwelt- und | |
| Naturschutzvorteile mit sich bringt. Deshalb muss sie unterstützt werden, | |
| sich an den Wolf anzupassen. Die betroffenen Bundesländer tun das, indem | |
| sie Zäune und Hunde bezuschussen, die die Herden schützen. | |
| Viele Bauern klagen, dass die Entschädigungen für getötete Tiere zu gering | |
| und zu schwer zu bekommen seien. | |
| Wir wollen erreichen, dass die Abläufe beschleunigt werden. Wenn die | |
| genetische Untersuchung von Rissen ein Engpass ist, muss man gucken, ob das | |
| nicht auch andere machen können. Darüber reden wir mit den Ländern. | |
| Niemand bezahlt den Landwirten, dass sie die niedrigen Drähte der | |
| wolfsicheren Elektrozäune ständig frei mähen müssen, damit der Strom nicht | |
| ins Gras abgeleitet wird. Könnten diese Belastungen Bauern davon abhalten, | |
| auf Weidehaltung umzustellen? | |
| Eine Welt ohne Veränderung kann ich niemandem versprechen. Aber insgesamt | |
| gilt: Wir wollen die Agrarsubventionen genau zugunsten solcher | |
| Betriebsformen umverteilen, damit sie eine bessere wirtschaftliche | |
| Situation haben als jetzt. Das hilft im Augenblick nicht, aber im | |
| Augenblick ist die Belastung auch überschaubar. | |
| Weite Teile Deutschlands wie die Berg- und Küstenregionen und die Grünland- | |
| und Naturschutzgebiete können laut Bauernverband zum Beispiel wegen ihrer | |
| schieren Größe nicht wolfsicher eingezäunt werden. Wollen Sie, dass dort | |
| keine Tiere mehr auf der Weide gehalten werden können? | |
| Nein, das will ich nicht. Probleme gibt es etwa bei der Schafhaltung auf | |
| Deichen oder bei der Almwirtschaft in Bayern. Ich weiß nicht, ob es dort | |
| gelingt, durch Zäune oder Hunde Nutztiere vor Wolfübergriffen zu schützen. | |
| Die Deiche werden in der Regel ja auch von Fahrradfahrern und Fußgängern | |
| genutzt. Die Hunde könnten ihnen gefährlich werden. Niedersachsen macht | |
| Untersuchungen, wie man dennoch Herden auf den Deichen schützen kann. | |
| Und wenn das auf Deichen und Almen nicht funktioniert? | |
| Das sind dann möglicherweise Gebiete, wo man die Ansiedlung von Rudeln | |
| verhindert, indem man komplette Rudel schießt. Das löst noch nicht das | |
| Problem von durchwandernden Wölfen. Mit der Gefahr muss man dann | |
| möglicherweise leben. Die Entnahme von Rudeln diskutieren wir bislang nur. | |
| Aber wir sind in dieser Frage komplett romantikfrei. Der Wolf steht nicht | |
| über anderen Gütern. Wenn die Weidehaltung auf Almen nicht mehr möglich | |
| wäre, dann müsste man entweder Herdenschutzmaßnahmen ergreifen, die ich | |
| jetzt noch nicht kenne, oder, wenn das alles nicht funktioniert, Rudel | |
| schießen. | |
| Das Tierschutzrecht verlangt Schatten spendende Hütten für | |
| Herdenschutzhunde und verbietet Elektrozäune. Sollte das geändert werden? | |
| Ja. Die Herdenschutzhunde wissen mit den stromführenden Zäunen umzugehen. | |
| Schäfer beklagen, dass sie Hütten bereitstellen müssen, die der Hund gar | |
| nicht benutzt. Wir haben schon an das zuständige Landwirtschaftsministerium | |
| herangetragen, dass diese Verordnung geändert wird. | |
| Selbst in der Ihnen freundlich gesinnten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche | |
| Landwirtschaft (AbL) oder bei Bioland gibt es immer lautere Kritik an der | |
| Wolfpolitik. Gibt Ihnen das nicht zu denken? | |
| Insgesamt ist die Gemeinsamkeit des Naturschutzes mit der AbL und | |
| Bioanbauverbänden in den agrarpolitischen Fragen so groß, dass man auch | |
| Unterschiede an bestimmten Punkten ertragen kann. Dennoch bin ich | |
| zuversichtlich, dass man gemeinsam Lösungen für kritische Bereiche finden | |
| wird. | |
| Warum sollten wir überhaupt die Risiken im Zusammenhang mit dem Wolf | |
| eingehen? | |
| Der Wolf gehört hier natürlicherweise hin. Ich bin dagegen, Arten | |
| festzulegen, die in der Natur nichts zu suchen haben, weil sie auch | |
| unangenehme Begleiterscheinungen haben. Da könnte man auch sagen, wir | |
| lassen keine Schwalbennester mehr zu, weil diese Vögel uns die Balkone | |
| zukacken. | |
| Könnte man für Artenschutz sein, aber Ausnahmen machen – zum Beispiel beim | |
| Wolf? | |
| Das machen wir auch dann, wenn er zu einer Gefahr wird. Alle anderen | |
| Probleme lassen sich mit einem vernünftigen Aufwand regeln. | |
| Das Naturschutzrecht erleichtert den Abschuss von Wölfen, wenn ihre | |
| Population den „günstigen Erhaltungszustand“ erreicht hat, also der Bestand | |
| so groß ist, dass er langfristig überlebt. Wie viele Tiere brauchen wir | |
| dazu? | |
| Das weiß ich nicht. | |
| Ist das nicht entscheidend? Könnte man mit dieser Zahl nicht auch Kritiker | |
| beruhigen? | |
| Wir handeln doch heute als Staat, wenn es dafür Gründe gibt. Und wenn der | |
| günstige Erhaltungszustand festgestellt ist, könnte man auch aus | |
| wirtschaftlichen Erwägungen eingreifen. Aber man kann auch dann nicht | |
| sagen, wir geben den Wolf jetzt zur Jagd frei oder erlassen Jagdquoten. | |
| Wann werden unsere Wölfe den günstigen Erhaltungszustand erreichen? | |
| Es wird vermutlich nicht mehr als eine Dekade dauern. | |
| Warum wird die Wolfdebatte teils so unsachlich geführt, dass Kritik an der | |
| unbegrenzten Ausbreitung des Wolfs oft als Wolfhass oder -hetze bezeichnet | |
| wird? | |
| Das liegt offenbar an der Geschichte, die Mensch und Wolf miteinander | |
| haben, und an unseren Märchen. Und es gibt Zuspitzungen. Das lese ich auch | |
| in Ihren Artikeln. Ich habe Sie an jeder Stelle verteidigt, weil ich finde, | |
| dass die Debatte geführt werden muss. Aber wenn man schreibt, [3][es gibt | |
| auch Leute, die leben vom Wolf] – Biologen und Beamte beispielsweise –, | |
| bezweifle ich, dass das ein Beitrag zur Versachlichung ist. | |
| Nützt es dem Wolf, wenn Tierrechtler den Abschuss eines Wolfs mit dem Mord | |
| an einem Menschen gleichsetzen? | |
| Das glaube ich nicht. Deshalb habe ich mich davon auch immer distanziert. | |
| Ein vernünftiger Naturschützer wird zustimmen, dass in bestimmten Fällen | |
| Wölfe auch geschossen werden müssen, und zwar nicht nur, um Menschenleben, | |
| sondern auch, um die Weidehaltung zu schützen. Einige Tierschützer tun sich | |
| damit schwerer. | |
| 19 Jun 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.nina.no/archive/nina/PppBasePdf/oppdragsmelding/731.pdf | |
| [2] http://www.adfg.alaska.gov/index.cfm?adfg=pressreleases.pr12062011 | |
| [3] /Woelfe-in-Deutschland/!5385189 | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
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