# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Ein vermeintliches Paradox | |
> Kann man als europäischer Politiker gleichzeitig rechtsextrem und | |
> proisraelisch sein? Ja, man kann. Das zeigen nicht nur die Le Pens. | |
Bild: Womöglich ist die Niederlage Marine Le Pens in Frankreich Anlass zur Ent… | |
Aufmerksamen Beobachtern kann nicht entgangen sein, dass und wie sich die | |
extreme Rechte in Europa verändert hat. Als bestes Beispiel kann der | |
erneuerte Front National gelten, dessen Vorsitzende, Marine Le Pen, ihren | |
eigenen Vater, Jean-Marie Le Pen, seines Antisemitismus wegen aus der | |
Partei ausgeschlossen hat. Kann man als europäischer Politiker gleichzeitig | |
rechtsextrem und proisraelisch sein? | |
Auf jeden Fall: Ein hochrangiger Vertreter der FPÖ, ihr „Bundesobmann“ | |
Heinz-Christian Strache, brachte diese Haltung unübertroffen zum Ausdruck, | |
als er im Jahr 2016 seinen Kopf in der Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem | |
mit einem verbindungsstudentischen Käppi bedeckte. Ein großer Teil dieser | |
Verbindungen ist völkisch und antisemitisch eingestellt. | |
Sei es aus Opportunismus, sei es aus Einsicht: sogar die – hierzulande vom | |
Verfassungsschutz beobachtete – „identitäre Bewegung“ setzt sich verbal … | |
Rassismus nicht nur des Nationalsozialismus ab, mehr noch: sie propagiert | |
einen nicht expansiven, sondern defensiven Nationalismus, ein Bekenntnis | |
zum „eigenen“ Volk, das nicht besser sein als andere, aber doch | |
abgeschlossen, ethnisch homogen unter sich bleiben soll. Gleichwohl sind | |
die nostalgischen Anhänger des Nationalsozialismus mitsamt ihrem mehr oder | |
minder bemäntelten Antisemitismus keineswegs von der politischen Bühne | |
verschwunden – wie etwa die Auftritte von Björn Höcke und des ihn | |
konsequent verteidigenden Alexander Gauland zeigen. | |
Womöglich ist die Niederlage Marine Le Pens in Frankreich Anlass zur | |
Entwarnung – gewiss aber nicht zu neuer Sorglosigkeit. Vielmehr sollte die | |
gegenwärtige Situation dazu genutzt werden, sich noch genauer mit dem | |
wahren Charakter der verharmlosend als „rechtspopulistisch“ bezeichneten | |
Parteien zu befassen. | |
## Ein Buch bringt Tiefenschärfe | |
Auf den ersten Blick erstaunt es etwa, dass in Deutschland die AfD sowie in | |
Österreich die FPÖ sowohl „israelfreundliche“ als auch antisemitische | |
Stimmen repräsentieren. Erhebliche Tiefenschärfe in die Betrachtung dieses | |
vermeintlichen Paradoxes bringt ein soeben von Stefan Grigat | |
herausgegebener Band unter dem Titel „AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer | |
Nationalismus und Geschlechterbilder“. | |
Grigat, der als Politologe in der Tradition der Kritischen Theorie | |
israelbezogenen Antisemitismus in Berlin, Wien und Graz erforscht, hat in | |
diesem Band nicht nur differenzierte Analysen gesammelt, sondern auch im | |
besten Sinne vernünftige, aufklärerische politische Perspektiven zu bieten; | |
etwa, wenn es um den schwierigen Balanceakt zwischen einem Kampf gegen jede | |
Form der Islamophobie hier, aber auch einer begründeten Kritik an | |
repressiven Formen des Islam geht: | |
„Gegen den Kulturrelativismus, der von rechten Ethnopluralisten“, so | |
Grigat, „ebenso bedient wird wie von vielen linken Islamapologeten, gilt | |
es sich sowohl in der Kritik an Parteien wie der AfD und der FPÖ als auch | |
an der Menschenzurichtung in dominierenden Strömungen des Islam an jene | |
Parole zu erinnern, unter der 1979 zehntausende Frauen in Teheran tagelang | |
gegen die Einführung der Zwangsverschleierung demonstriert haben: | |
‚Emanzipation ist nicht westlich oder östlich, sondern universal.‘“ | |
Von diesem Gedanken geleitet weisen weitere Beiträge – etwa von Juliane | |
Lang und Karin Stögner – nach, dass die Geschlechterpolitik beider Parteien | |
ihrem antiislamischen Bekenntnis zur Emanzipation von Frauen zum Trotz am | |
Ende denn doch Sexismus, Homophobie und Transphobie propagiert – Haltungen, | |
die unter der philosemitischen Oberfläche mit judenfeindlichen | |
Grundeinstellungen einhergehen. | |
Ein Unterschied immerhin ist zwischen Österreich und Deutschland, zwischen | |
FPÖ und AfD festzuhalten. Sehr viel stärker als in Deutschland ist der | |
österreichische Rechtsextremismus „akademisiert“, rekrutieren sich die | |
Kader dieser Partei aus völkischen, rechtsextremen Studentenverbindungen. | |
Diese Entwicklung steht Deutschland möglicherweise noch bevor: Studentische | |
Listen der AfD jedenfalls werben bereits mit Flyern des Inhalts, dass | |
Sophie Scholl heute Mitglied der AfD wäre, und gewinnen damit hier und dort | |
Sitze in Studentenparlamenten. Ob derlei als politische Herausforderung | |
anzunehmen oder schlicht zu ignorieren ist, bleibt zu diskutieren. | |
9 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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