# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Scheu vor der historischen Wahrheit | |
> Die Stiftung der GEW ist nach Max Traeger benannt. Er steht beispielhaft | |
> für die vielen Lehrer, die sich dem Nationalsozialismus andienten. | |
Bild: Auch der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) war auf der Linie des N… | |
Keine politische Kraft wird gegenwärtig stärker gebraucht als die | |
Gewerkschaften. Wenn überhaupt, so sind sie in der Lage, rassistischen und | |
fremdenfeindlichen Stimmungen erfolgreich Paroli zu bieten. Eine besondere | |
Rolle kommt dabei jenen Gewerkschaften zu, die im Bereich von Pflege, | |
Erziehung und Bildung tätig sind: Verdi sowie der GEW, also der 1948 | |
gegründeten Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die sich selbst als | |
Bildungsgewerkschaft bezeichnet und für Chancengleichheit, Mitbestimmung, | |
soziale Sicherheit sowie für Demokratie kämpfen will. | |
Indes: Auch diese Gewerkschaft erweist sich als eine „ganz normale | |
Organisation“ (Stefan Kühl), als ein Verband, dem es vor allem auf | |
Selbsterhaltung ankommt sowie darauf, dass alles so bleibt, wie es immer | |
schon war. Damit aber droht ausgerechnet eine Organisation, der es doch um | |
eine emphatisch verstandene „Aufklärung“ gehen sollte, zu einer | |
Vorkämpferin der Gegenaufklärung zu werden. | |
Leser der taz haben den Vorgang verfolgt: Im November vergangenen Jahres | |
forderte die Nachwuchsorganisation der GEW, der Bundesausschuss der | |
Studentinnen und Studenten der GEW (BASS), unterstützt von Wissenschaftlern | |
wie dem Frankfurter Professor Ortmeyer, die gewerkschaftseigene | |
Max-Traeger-Stiftung umzubenennen, [1][da Traeger kein Vorbild sein könne]. | |
Tatsächlich war Max Traeger (1887–1960), was die Gründung der GEW in | |
Hamburg betraf, ein „Mann der ersten Stunde“. Freilich: Bei Kriegsende 1945 | |
deutlich älter als fünfzig Jahre, war Traeger vor 1930 als | |
Bürgerschaftsabgeordneter zunächst Mitglied der liberalen Deutschen | |
Demokratischen Partei, um 1930 einer Partei beizutreten, die sich zwar mit | |
dem hochseriös klingenden Namen Deutsche Staatspartei schmückte, jedoch | |
nichts anderes als eine rechtsradikale Splitterpartei war. | |
## Rechtsradikale Splitterpartei | |
Die von ihr tatsächlich vertretenen Ziele sprachen dem seriös | |
anspruchsvollen Namen Hohn – in Wikipedia lässt sich das nachlesen: „Im | |
Jahr 1930 vereinigte sich die DDP mit der Volksnationalen Reichsvereinigung | |
zunächst für die Reichstagswahl zur Deutschen Staatspartei. Das brachte | |
heftige Konflikte innerhalb der Partei mit sich, denn es handelte sich um | |
den politischen Arm des konservativ-antisemitischen ‚Jungdeutschen Ordens‘ | |
von Artur Mahraun. Nach dieser Fusion traten viele Mitglieder des linken | |
Flügels … aus der Partei aus …“ | |
Nun ist eine Kolumne nicht der Ort, die Innenpolitik der Weimarer Republik | |
zu erörtern, daher zurück zur Gegenwart. Die Biografie Max Traegers, der | |
1933 freiwillig (!!!) dem nationalsozialistischen Lehrerbund beitrat, steht | |
beispielhaft für den Sachverhalt, dass sich viele Lehrer der verendenden | |
Weimarer Republik freiwillig dem Nationalsozialismus andienten, um nach der | |
Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands – durchaus verständlich | |
– einen Weg in die neue Bundesrepublik zu suchen. | |
So kann es auch nicht darum gehen, einen Mann wie Traeger aus der bequemen | |
Position Spätgeborener zu verurteilen; das Mindeste aber, was von einer | |
„Bildungsgewerkschaft“ wie der GEW zu erwarten wäre, ist, dass sie die | |
historische Wahrheit weder verschweigt noch beschönigt. Das aber tut sie | |
mit einer herumgereichten biografischen Skizze Max Traegers aus der Feder | |
des ehemaligen Hamburger GEW-Vorsitzenden Hans-Peter de Lorent, der in | |
gelegentlichen Skatrunden Traegers mit anderen Mitgliedern der von den | |
Nationalsozialisten verbotenen faschistischen Partei „Widerstand“ erkennen | |
will und zu einem „Untergrundvorstand“ verklärt. | |
Muss man also die GEW und ihren Bundesvorstand tatsächlich daran erinnern, | |
dass es gegenwärtig, in einer Zeit, in der ein Björn Höcke und mit ihm die | |
AfD eine Umdeutung der deutschen Geschichte fordern, nicht darauf ankommen | |
kann, mehr noch: nicht darauf ankommen darf, irgendwelchen schon immer | |
verlogenen Traditionen treu zu bleiben, sondern einzig darum, historische | |
Einsicht und Urteilskraft, also „Aufklärung“ zu fördern. Auch und zumal | |
dann, wenn das lieb gewordenen Traditionen zuwiderläuft. | |
2 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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