# taz.de -- Aufarbeitung der NS-Vergangenheit: Abbruch der Beziehungen | |
> Mehr Diskussion über die Rolle ihres ersten Vorsitzenden Max Traeger in | |
> der NS-Zeit hatten die GEW-Studierenden gefordert. Daraus wurde ein | |
> heftiger Streit. | |
Bild: Hält der GEW die Fahne der Aufklärung hoch? | |
HAMBURG taz | Auf den ersten Blick ist es der Klassiker: Die Jungen fordern | |
die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Alten blockieren. So sieht es | |
zumindest die Hamburger GEW-Jugend. Die GEW (Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft) sieht ebenfalls Blockade, allerdings eher in der mangelnden | |
Bereitschaft des Nachwuchses, die Fakten anzuerkennen, und in der | |
Verweigerung eines internen Gesprächs. Nun ist der Konflikt eskaliert mit | |
allem, was ein Institutionenstreit so hergibt: Entzug des Hausschlüssels | |
und Rücktritt der Jungen. | |
Kern des Streits ist die Rolle des erstes Nachkriegsvorsitzenden der GEW, | |
Max Traeger, im Nationalsozialismus. Die Gewerkschaft sei nicht bereit, | |
sich damit auseinanderzusetzen – so sieht es der Bundesausschuss der | |
Studentinnen und Studenten der GEW (Bass). Sie hätten Aufklärung gefordert, | |
so der Gegen-Vorwurf der GEW Hamburg, und weigerten sich nun, sich mit den | |
Ergebnissen auseinanderzusetzen. Und zudem: Anders als behauptet habe man | |
sich nie der Auseinandersetzung entzogen, doch zu den angebotenen Terminen | |
sei kaum einer der Kritiker und Kritikerinnen gekommen. | |
Die Aufklärung ist so sperrig wie die Bezeichnungen der Gruppen und | |
Untergruppen, die Details sind kleinteilig und vor allem deshalb | |
interessant, weil sie zeigen, wie inhaltliche Debatten an Befindlichkeiten | |
scheitern. Am Beginn stand ein offener Brief des Bundesausschusses der | |
Studentinnen und Studenten der GEW (Bass), die im Oktober 2016 beantragten, | |
eine nach Traeger benannte GEW-Stiftung umzubennen. Sie wollten, so heißt | |
es, eine „breite und öffentliche Debatte“ über den Umgang mit personellen | |
Kontinuitäten des Nationalsozialismus in der GEW anstoßen. Die Hamburger | |
Studierenden unterzeichneten den Brief – die Hamburger GEW reagierte mit | |
„Abwehrreflexen und Nestbeschmutzungs-Vorwürfen“, so beschreiben es die | |
Jungen in einer Pressemitteilung, in der sie nun ihren Rücktritt erklären. | |
Die Hamburger GEW hatte Hans-Peter de Lorent mit einer ersten Aufklärung | |
beauftragt. Hamburg ist Hauptschauplatz der Debatte geworden, weil Traeger | |
Hamburger war. | |
De Lorent, GAL-Politiker, in den 90er-Jahren GEW-Vorsitzender und heute in | |
der Schulbehörde tätig, hat zum Thema Schule und Nationalsozialismus | |
publiziert. Glaubhaft ist seine Aussage für die Hamburger GEW-Jugend nicht: | |
Allzu kurz nach der Auftragsvergabe habe er in einem öffentlichen Vortrag | |
Traeger von allen Vorwürfen freigesprochen. | |
## „Kein Vorbild“ | |
Im Juni 2017 erschien de Lorents Traeger-Biografie, vor wenigen Tagen | |
folgte die Gegenseite im selben Verlag mit „Max Traeger – kein Vorbild“, | |
herausgegeben von den Erziehungswissenschaftlern Micha Brumlik und Benjamin | |
Ortmeyer. Beide sind renommierte Forscher zu NS-Themen. Die beiden nennen | |
die Biografie „apologetisch“ und den Autor zart herablassend den „leitend… | |
Oberschulrat“. So heißt es, de Lorent wolle „in gelegentlichen Skatrunden | |
Traegers mit anderen Mitgliedern der von den Nationalsozialisten verbotenen | |
faschistischen Partei ‚Widerstand‘ erkennen“. | |
Wie ist Traegers Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Lehrerbund | |
(NSLB) zu werten? Immerhin drei Prozent der LehrerInnen hätten sich dem | |
verweigert, erklären die Studierenden. Die Mitgliedschaft im NSLB sei nach | |
wissenschaftlichen Standards kein ausreichendes Indiz für eine | |
Mitläuferschaft, sagt Fredrik Dehnerdt, der erste stellvertretende | |
Vorsitzende der Hamburger GEW. De Lorent sei bereit gewesen, rasch eine | |
Vorstudie zu erstellen. Nun sind zwei Historiker der Uni Leipzig mit | |
umfassender Forschung beauftragt. | |
Zweiter Streitpunkt ist der Umgang mit einem Gebäude, das der | |
Nationalsozialistische Lehrerbund 1935 von einer jüdischen | |
Erbengemeinschaft kaufte. Nach 1945, so der Vorwurf, habe Traeger dafür | |
gesorgt, dass das Haus in den Besitz der GEW gelangte. „Er hätte sich | |
besser verhalten können“, räumt Dehnerdt ein. Damals sei es aber das | |
übliche Verfahren gewesen, innerhalb einer Frist zu warten, ob sich | |
jüdische Vorbesitzer meldeten. Das habe auch Traeger getan und das Haus, | |
nachdem niemand Anspruch darauf erhob, in den Besitz der GEW gebracht. | |
## Emotionaler Streit | |
Zwischen GEW und Studierenden kommt es kaum zu einer inhaltlichen | |
Auseinandersetzung. Stattdessen gerät der Streit rasch in ein emotionales | |
Fahrwasser. Von „Schikanen“ schreiben die Studierenden, von | |
„Vertrauensbruch“ spricht Dehnerdt. Dieses Pingpong lässt sich fortsetzen. | |
Keine Legitimation, wirft die GEW den Studierenden vor, sie hätten | |
allgemein zu ihren Treffen einladen müssen. Das sei erst nach der | |
Eskalation gefordert worden, sagt Gesa Müller von den Studierenden. Als das | |
tatsächlich geschah, hätten die Anwesenden einstimmig beschlossen, am | |
offenen Brief festzuhalten. | |
Im Rückblick klingt auf beiden Seiten durchaus Bedauern mit. Der Rücktritt | |
sei „bitter“, sagt Dehnerdt, praktisch gesprochen gehe die Arbeit aber als | |
„business as usual“ weiter. Gesa Müller wiederum räumt ein, dass man frü… | |
hätte versuchen können, „in Dialog zu gehen“. Vielleicht sei der offene | |
Brief nicht die richtige Form gewesen. Aber: „Wir identifizieren uns nicht | |
mit einer Organisation, die sich so penetrant der Aufklärung verweigert.“ | |
Im Gesamtgefüge der GEW hat sich zunächst die Pro-Traeger-Fraktion | |
durchgesetzt. Der Antrag der GEW Hessen, die Traeger-Stiftung umzubenennen, | |
wurde im März mit über 90 Prozent abgelehnt. In Hamburg sagt Fredrik | |
Dehnerdt, dass der zentrale Vorwurf, Traeger sei Mitläufer gewesen, | |
„widerlegt“ sei. | |
In einer Welt jenseits von Befindlichkeiten könnte man jetzt | |
Teilniederlagen einräumen. Man könnte sich der einen Frage widmen, die für | |
die Zukunft relevant ist: wer angemessener als Traeger Namenspatron oder | |
-patronin der Stiftung sein könnte. „Wir sind da offen“, sagt Fredrik | |
Dehnerdt. „Vielleicht“, so Gesa Müller, „gibt es ja noch mal die | |
Gelegenheit, eine gemeinsame Debatte zu führen.“ | |
28 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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