Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Strategie der Grünen: Die Leute wollen euch kämpfen seh…
> „Lebendig, kräftig und schärfer“ wollen die Grünen werden. Schön wär…
> Ihre Beißhemmung gegenüber Merkel ist kaum auszuhalten.
Bild: Wohin soll's gehen? Man weiß es bei den Grünen nicht so genau
„Lebendig, kräftig und schärfer“ werde ab jetzt der Sound der Grünen,
verspricht Katrin Göring-Eckardt. Dazu zitiert die Spitzenkandidatin der
Grünen eine passende Textstelle aus der Bibel. Angesichts dieser brutalen
Drohung wird Merkels Wahlkampfstrategen die Kaffeetasse aus der Hand
gefallen sein. Nicht vor Schreck natürlich, sondern vor Lachen.
Wenn das grüne Spitzenteam bisher eins nicht ist, dann das, was im Brief an
die Hebräer für das Wort Gottes gilt. Die handzahmen Grünen wollen
plötzlich „schärfer“ werden? Man darf gespannt sein.
Am liebsten wäre es der Ökopartei von heute ja, wenn es keine politischen
Lager mehr gäbe. Wenn sich jene klassische Parteiverortung in den Köpfen
vieler Menschen einfach in Luft auflöste, die ungefähr besagt: CDU und FDP
spielen eher auf der bürgerlich-konservativen Seite, SPD, Grüne und Linke
eher auf der linken Seite.
„Nicht links, nicht rechts, sondern vorn.“ Cem Özdemir und Katrin
Göring-Eckardt setzen diese grüne Gründerparole erstmals konsequent in
einem Bundestagswahlkampf um. Sie weigern sich strikt, vor der Wahl
Sympathien für ein mehrheitsfähiges Bündnis zu signalisieren. Doch diese
Strategie hat ihre Tücken. Sie führt zu einer fortgesetzten Zahnlosigkeit,
die für die Grünen hochgefährlich ist.
## Wofür stehen die Grünen noch?
Im Moment fragen sich viele Menschen, wofür die Grünen eigentlich stehen –
das zeigen die schlechten Umfragewerte im Bund. Und die beiden
Spitzenkandidaten verstärken diese Unklarheit, anstatt sie aufzulösen. Ihre
Attacken fokussieren sie bisher auf diejenigen, die bei vielen Themen
Verbündete sind. Für Göring-Eckardt und ihren Kollegen Cem Özdemir ist die
Schulz-SPD der Hauptgegner, nicht die Merkel-CDU.
Die CDU sägt am Doppelpass? Cem Özdemir findet eine Reform bedenkenswert.
Der Innenminister formuliert ein paar plumpe Leitkultur-Thesen? Kein
scharfes Wort von dem Spitzengrünen. Außenpolitische Debatte im Bundestag?
Göring-Eckardt schießt lustvoll auf die Linke, verliert aber kein Wort über
Merkel. Die Liste ließe sich fortsetzen, das geneigte Publikum bleibt
ratlos zurück.
Die grüne Beißhemmung gegenüber den Konservativen erklärt sich aus der
„Offen für alles“-Logik. Göring-Eckardt und Özdemir möchten es sich mit…
Union nicht verscherzen, Skandalisierungen in der Mainstream-Presse
vermeiden und ökoaffine, bürgerliche Milieus ansprechen. Auch die
auffälligen Attacken der Spitzengrünen auf die Schulz-SPD passen in dieses
Denkmuster.
## Umgekehrte Proportionalität
Wer starke Grüne in einer Koalition mit den Schwarzen will, muss rot-grüne
Wechselwähler binden. Und der Schulz-Hype zeigte, dass sich beide Parteien
quasi umgekehrt proportional verhalten. Schulz flog, die Grünen sackten ab.
Im Moment sinkt Schulz, die Grünen legen leicht zu. Ein Grund (von vielen)
für Winfried Kretschmanns Erfolg in Baden-Württemberg ist die Schwäche der
dortigen SPD.
Nun ist gegen Offenheit gegenüber allen Wettbewerbern nichts zu sagen.
Rot-Grün, die einstige Lieblingskoalition, scheint ein Phänomen der
Vergangenheit zu sein. Und wer den sozialökologischen Umbau der
Gesellschaft gestalten will, muss auch im Bund mit Merkels CDU oder mit
Lindners FDP koalieren können. So viel zum kleinen Einmal-Eins der
Politarithmetik.
Aber demonstrativ vorgetragene Fügsamkeit ist eben auch die falsche
Strategie. Nochmal, die Leute wollen wissen, wo die Grünen stehen. Und sie
stehen einfach näher bei der SPD, ob nun in der Sozial-, Gesellschafts-
oder Finanzpolitik. Wer offensichtliche Schnittmengen verschweigt, erklärt
die Wähler für sehr dumm. 2013 machten die Grünen unter Trittin den Fehler,
zu sehr auf die SPD zu setzen – jetzt driften sie ins andere Extrem ab.
Ihnen ist das Visier verrutscht.
Dabei wären Attacken auf Merkel für Schwarz-Grün nicht so schädlich, wie es
Özdemir und Göring-Eckardt offensichtlich annehmen. Wer Differenzen hart
benennt, wird ernst genommen – und bekommt in Koalitionsverhandlungen mehr.
Im Schlafwagen, das haben die Landtagswahlen gezeigt, fährt heute keiner
mehr ins Amt. Außerdem wären ein paar Absetzbewegungen von Merkel Balsam
für den linksgrünen Flügel, den man für Schwarz-Grün oder Jamaika ja auch
bräuchte.
Robert Habeck macht es in Schleswig-Holstein gerade klug vor. Ein Grüner
kann am Ende nur dann glaubhaft mit den Schwarzen oder der FDP regieren,
wenn er sich vorher ernsthaft mit SPD-näheren Optionen auseinandersetzt.
16 May 2017
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Landtagswahl Schleswig-Holstein
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Robert Habeck
Grüne
Grüne
Grüne Schleswig-Holstein
Jamaika-Koalition
Grüne Berlin
Bündnis 90/Die Grünen
NRW
Jamaika
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zehn-Punkte-Plan der Grünen: Geschlossen in den Wahlkampf
Die Grünen konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenz. Sie setzen im
Wahlkampf auf Klimaschutz, E-Mobilität und nachhaltige Landwirtschaft.
Grüne über Jamaika in Schleswig-Holstein: „Das Ergebnis ist offen“
Eka von Kalben, grüne Fraktionschefin in Schleswig-Holstein, über die
Verhandlungen mit CDU und FDP. Strittig sind Schul-, Flüchtlingspolitik und
die Agrarwende.
Debatte Jamaika-Koalition: Der Grünen Himmelreich
Die Grünen sollten mutig auf ein Jamaika-Bündnis setzen. Rechnerisch und
inhaltlich wäre das die beste Wahl. Eine Antwort auf Ulrich Schulte.
Grünen-Politiker zieht Wahlbilanz: „Wir waren zu harmonisch“
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter über die Wahlschlappe in NRW und die
Lehren, die seine Partei daraus ziehen sollte.
Die Grünen nach der NRW-Wahl: Schnell das Krönchen richten
Spitzenkandidatin Göring-Eckardt bemüht sich nach dem Wahldesaster in NRW
darum, heitere Gelassenheit zu demonstrieren. Ob das reicht?
Debatte Landtagswahlen: Reden, Twittern, Schuften
Laschet, Lindner, Habeck. Die vergangenen Wahlen zeigen: Nur Politiker, die
beweglich und bescheiden auftreten, gewinnen.
Pro & Contra Schwarz, Grün, Gelb: Wollen wir Jamaika?
Schleswig-Holstein hat gewählt: Eine mögliche Kombination wäre jetzt
Schwarz-Grün-Gelb. Können wir diese Koalition wollen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.