# taz.de -- Die Grünen nach der NRW-Wahl: Schnell das Krönchen richten | |
> Spitzenkandidatin Göring-Eckardt bemüht sich nach dem Wahldesaster in NRW | |
> darum, heitere Gelassenheit zu demonstrieren. Ob das reicht? | |
Bild: Kämpft Göring-Eckardt aus dem Realoflügel engagiert genug für das eig… | |
Berlin taz | Wenn Katrin Göring-Eckardt die Bibel zitiert, dann wird es | |
ernst. Es werde „lebendig, kräftig und schärfer werden“, verspricht also | |
die Spitzenkandidatin mit Blick auf ihre Partei und den | |
Bundestagswahlkampf. Was im Brief an die Hebräer, Kapitel 4, Vers 12, für | |
das Wort Gottes gilt, soll in Zukunft auch für die verstörten Grünen | |
gelten. Lebendig, kräftig und schärfer. | |
Göring-Eckardt müht sich am Montag, heitere Gelassenheit auszustrahlen. | |
Zusammen mit Sylvia Löhrmann, der Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, | |
muss sie in der Berliner Bundespressekonferenz das Desaster erklären. | |
„Heute heißt es: aufstehen, Krönchen richten, weitermachen.“ Die Grünen | |
müssten klar machen, warum die Ökologie eine Existenzfrage sei, sagt | |
Göring-Eckardt. Sie habe den Eindruck, dass ihre Partei „noch sehr viel | |
stärker lernen müsse, mit Leidenschaft dafür zu kämpfen“. Auch müssten d… | |
Grünen bei bestimmten Themen den Angriff suchen. | |
Das ist ein neuer Tonfall für Göring-Eckardt, die lieber einen | |
ausgleichenden Politikstil pflegt. Die Niederlage im wichtigsten Bundesland | |
hat die Partei tief verstört. Nur noch 6,4 Prozent, ein knapper Sprung ins | |
Parlament, eine Halbierung nach sieben Jahren in der Regierung: „Das war | |
ein Schlag in die Magengrube“, sagt Dieter Janecek, Koordinator des | |
Realoflügels. Die Grünen befinden sich auf einer emotionalen | |
Achterbahnfahrt. Eben noch hatten sie das hübsche Ergebnis in | |
Schleswig-Holstein bejubelt, nun führte ihnen NRW vor Augen, was | |
Kleinparteien drohen kann: ein Existenzkampf mit unsicherem Ausgang. Kann | |
das, so die bange Frage, auch im Bund passieren? | |
## Hannelore Kraft überstrahlte alles | |
Die Gründe, das sagen viele in der Partei, sind vor Ort zu suchen. | |
Löhrmann, noch Bildungsministerin, verweist in Berlin auf die Tücken der | |
Schulpolitik. Die Inklusion von Kindern mit Behinderung sei für Lehrer eine | |
Herausforderung gewesen, der Prozess sei in den Schulen auf Widerstand | |
gestoßen. Dann 40.000 Flüchtlingskinder, die plötzlich in den Schulklassen | |
sitzen. Die Frage, wie es in den Schulen aussieht, trieb die WählerInnen am | |
meisten um. Für die Grünen wurde Löhrmanns Ressort zum Problem. | |
Löhrmann spricht auch die geräuschlose Zusammenarbeit in der abgewählten | |
rot-grünen Koalition an. Nach Erfahrungen mit zerstrittenen Koalitionen sei | |
man „zu sehr ins andere Extrem gegangen“ und habe Konflikte „hinter | |
verschlossenen Türen ausgetragen“. In der Tat überstrahlte die starke | |
SPD-Frau Hannelore Kraft alles, Löhrmann und ihre Grünen wirkten wie blasse | |
AssistentInnen. Die effiziente, pragmatische Doppelte-Lottchen-Strategie | |
scheiterte grandios. | |
Interessant sind die Wählerwanderungen, die Ökopartei wurde geradezu | |
pulverisiert – und die Teilchen flogen in alle Richtungen. 110.000 | |
Grünen-Wähler gaben laut Infratest dimap lieber der SPD ihre Stimme, 60.000 | |
wechselten zur Linken. Doch die grünen Milieus flüchteten auch ins | |
bürgerliche Lager – 90.000 gingen zur CDU, 30.000 zur FDP. Löhrmanns Partei | |
schloss kurz vor der Wahl eine Jamaika-Koalition offensiv aus. Durch diese | |
Schlussmobilisierung sei es gelungen, die Grünen im Landtag zu halten, sagt | |
sie. | |
## Wofür stehen die Grünen eigentlich noch? | |
Und hier kommen dann doch wieder Berlin und die Bundestagswahl ins Spiel. | |
Denn in der Bundespartei gärt es. Wofür stehen die Grünen eigentlich noch? | |
Verschwimmen die Grenzen zu den Konservativen? Kämpfen Göring-Eckardt und | |
Cem Özdemir, zwei Spitzenleute aus dem Realoflügel, engagiert genug für das | |
eigene Programm? Solche Fragen stellen sich viele Linksgrüne – und nicht | |
wenige mahnen nach NRW mehr Unterscheidbarkeit an. | |
„Wir müssen härter und klarer in Konflikte gehen“, sagt Sven-Christian | |
Kindler, Haushälter der Fraktion. „Standpunkt kommt von Stehen, nicht von | |
Wackeln.“ Die Union blockiere und bekämpfe den Politikwechsel, für den die | |
Grüne stritten, etwa ein Ende der Massentierhaltung. Im Bund müsse deutlich | |
werden, dass wir die Botschaft verstanden haben und lernfähig sind, sagt | |
Fraktionsvize Katja Dörner. „Es muss klarer werden, wofür wir stehen.“ | |
Das sind feine Spitzen in Richtung Göring-Eckardt und Özdemir. Beiden wird | |
eine Vorliebe für Schwarz-Grün nachgesagt. In der Tat fiel in den | |
vergangenen Monaten auf, dass beide Spitzengrüne die SPD munter | |
attackierten, sich bei Angela Merkel und der Union aber zurückhielten. | |
Özdemir stellte zum Beispiel den Doppelpass für spätere | |
Nachfolgegenerationen von ausländischen Eltern infrage. Das war inhaltlich | |
nicht falsch, taktisch aber eine Dummheit – der Doppelpass ist ein grünes | |
Herzensanliegen. Auch in der Leitkulturdebatte klang Özdemir auf Twitter | |
versöhnlich. | |
Eine bemerkenswerte Ironie: Weil sich die Grünen im Bund alle Koalitionen | |
offenhalten, wirkt es bei den beiden Spitzenkandidaten manchmal so, als sei | |
die Schulz-SPD der Hauptgegner – und nicht die Merkel-CDU. Ob solche | |
internen Konflikte ausbrechen, ist offen. Die Grünen haben gelernt, wie | |
wichtig Geschlossenheit für den Erfolg ist. „Jetzt müssen wir uns im Bund | |
unterhaken“, sagt Janecek. „Das Letzte, was wir brauchen, ist ein | |
Flügelstreit.“ | |
Lesen Sie auch: [1][Reden, Twittern, Schuften – Die vergangenen Wahlen | |
zeigen: Nur Politiker, die beweglich und bescheiden auftreten, gewinnen.] | |
15 May 2017 | |
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Ulrich Schulte | |
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