Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Liberalismus von Grünen und FDP: Bloß nicht runterziehen lassen
> Robert Habeck von den Grünen und Christian Lindner von der FDP wollen
> ihre Partei neu positionieren. Der Test: zwei Landtagswahlen.
Bild: Robert Habeck, quo vadis? Kiel? Berlin?
Rittergut Orr/Hallig Hooge taz | Die „MS Seeadler“ schaukelt durch die
brodelnde Nordsee Richtung Hallig Hooge. Der Kapitän gibt Kotzalarm aus, da
setzt sich ein Graubart neben den Minister und sagt: „Wir haben bei der
Urwahl gebetet, Robert.“
Robert Habeck sieht ihn an. Vielleicht ahnt er schon etwas.
Lassen wir die beiden erst einmal sitzen und blenden über in den Garten des
Rittergutes Orr, drei Kilometer außerhalb des Kölner Stadtteils Pulheim.
Dort steht an einem anderen Tag im April ein Mann auf und sagt zu seinem
Nebensitzer: „Hältst du mir meinen Stuhl frei?“ Antwortet der: „Nö, fre…
Marktwirtschaft, den verkauf ich an den Meistbietenden.“
Das würde bei den Grünen keiner sagen. Niemals. Wir sind hier also bei der
FDP. Christian Lindner ist da, der Spitzenkandidat in NRW, und die Symbolik
des Ortes ist nicht zu übersehen. Auf Orr zelebrierte einst eine
Unternehmerfamilie gehobenes Bürgertum. Dann verfiel das Teil zu einer
Ruine. Jetzt ist es renoviert und wird ständig gebucht. Außentoilette, aber
sonst tipptopp. Wer denkt da nicht an die FDP, von der die Anwesenden
hoffen, dass Lindner sie saniert hat?
Frankreichs Politikalternative Emmanuel Macron scheint weit weg zu sein,
von Schleswig-Holstein wie von NRW. Aber bei beiden Landtagswahlen der
nächsten acht Tage gibt es zwei Versuche, klassische Ergänzungsparteien neu
zu positionieren. In beiden Fällen besteht der Reiz in den Führungsfiguren:
Der FDP-Vorsitzende Lindner in NRW, der als künftiger Grünen-Vorsitzender
gehandelte Habeck in Schleswig-Holstein.
## Anwälte der Gesellschaft, nicht Ankläger
Warum sind die Volksparteien in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich noch
relativ stark? Warum gibt es keinen Macron- oder Van-der-Bellen-Effekt?
Erst mal: Wo das Illiberale konkret droht, wie in Frankreich und
Österreich, ist das Liberale die naheliegende Gegenposition. Zudem hat eine
große Mehrheit in Deutschland durch die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün
und die Krisenpolitik von Merkel den Eindruck, das läuft hier mit Business
as usual weiter. Radikale Veränderungen wollen nur die AfD-Wähler und ein
paar NGOs. Der jüngste Umfrageanstieg der SPD ist genauso eine konservative
Sehnsucht wie das Festhalten an Merkel. Die Lösung soll im „Weiter so“
liegen oder im Zurücknehmen des Neuen (Teilen der Schröder-Politik), in
einem Oberflächenwechsel von den sozialdemokratischen Konservativen zu den
konservativen Sozialdemokraten. Die dann am Ende weiter miteinander
regieren.
Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein an diesem Sonntag kann man als
Plebiszit über die Grünen als mehrheitenorientierte ökosozialliberale
Regierungspartei verstehen, für die es überhaupt keine Frage mehr ist, dass
Regieren besser als nicht Regieren ist. Für die Partei. Und für das Land.
Anwälte der Gesellschaft, nicht Ankläger seien sie, pflegt Habeck zu sagen.
Der Wahlkampf wird in maximal verträglicher Distanz zur Bundespartei
geführt.
## Lindner positioniert sich als alternative Politikerfigur
Bei Lindner sind Land und Bund deckungsgleich. Er ist im Moment – was er
bestreitet – die Partei. Er nutzt die Landtagswahl eine Nummer kleiner,
aber in der Logik Gerhard Schröders bei der Niedersachsenwahl 1998, die
seiner Kanzlerschaft vorausging. Als Plebiszit für die neue FDP im Bund, an
der er von Düsseldorf aus seit dem Sturz in die APO nach der Bundestagswahl
2013 arbeitet. Eigentlich schon seit er 2011 den Posten als Generalsekretär
aufgab, nach NRW zurückging und 2012 gegen den Bundestrend 8,6 Prozent
gewann.
Er arbeitet für ein „Comeback in Demut“, wie seine Sprachregelung lautet.
Ein Comeback, das nicht auf Gremienarbeit oder einer Bundesgeschäftshölle,
sondern auf Marktforschung (Boston Consulting Group) und einer
professionellen Außendarstellung basiert. Lindner positioniert sich als
alternative Politikerfigur. Selbstbewusst und demütig – das ist seine
Formel. Keiner quatscht dazwischen. All eyes on him.
## Trump: doof. Lindner: megadoof.
Die FDP hat hinter sich, was die Grünen vor sich haben. Letztere können an
ihr die Nachteile, aber auch die Chancen eines Sturzes studieren. Erst
liefen Lindner die Mitglieder weg, und wenn der Vorsitzende in Berlin etwas
loswerden wollte, kam keine Sau in die Bundespressekonferenz. Er musste
alle intellektuellen Register ziehen und eine zusätzliche Parteifarbe
ankündigen (Magenta), damit die Hauptstadtjournalisten berichteten. Dann
kamen 2014 die kontrovers diskutierten Beine der Hamburger
Spitzenkandidatin Katja Suding und die erste erfolgreiche Landtagswahl,
dann Erfolge in Bremen, in Baden-Württemberg, Berlin und die erste Rückkehr
in die Regierung in Rheinland-Pfalz.
Jetzt steigt die Mitgliederzahl, der Welt-Chef und die Apotheken-Umschau
sind begeistert, die Säle füllen sich. Der Unterschied zu früher sei, sagt
Lindner beim Bundesparteitag: „Früher hatten wir nach der Wahl keine Sitze
mehr, jetzt haben wir vor der Wahl keine Sitzplätze.“
Ja, das gehört auch zur neuen FDP: Witz, sogar Selbstironie. Das war in den
Westerwelle-Jahren undenkbar, vom Brüderle-Humor mal abgesehen. Lindners
Schwarz-Weiß-Wahlvideo ist eine ästhetisch gelungene Pseudo-Dokumentation,
die seine Themen (Bildung, Bürokratismus, Stau, Sicherheit – das sind die
in Umfragen ermittelten Probleme der NRW-Wähler) und ihn als gestressten,
aber gut aussehenden, nonkonformistisch-unbeirrten Wahlkämpfer
zusammenschneidet. Bei Auftritten erzählt er gern, dass er etwas verlebt
daherkomme, eine Frau habe ihm gesagt, so sehe er besser aus. In einem
anderen Werbeclip sind alle „doof“, Trump, Putin, Erdoğan. Aber einer wird
als „megadoof“ bezeichnet: Lindner. Woraus folgen soll: Wenn die grünen und
linken Konformisten den für megadoof halten, trete ich als Individualist
sofort in die FDP ein.
## Schneidige Stimme, marktforschungsgeprüft
Tatsächlich passen die Leute auf Gut Orr nicht alle in den Rittersaal,
weshalb man in den Garten gegangen ist. Aber dann kann der
Marktwirtschaftler den Stuhl seines Nachbarn nicht mehr verkaufen, weil es
regnet und er damit wertlos geworden ist. Bei der Linkspartei hätte man
vielleicht im Regen über den fehlenden staatlichen Schutzschirm geschimpft.
Aber hier stehen die freien Demokraten eigenverantwortlich auf und pressen
sich stehend in den Saal.
Lindner steht frei im Raum, locker und selbstsicher wie ein Talkshow-Host
beim Eingangsmonolog, Markenanzug, Krawatte, glänzend schwarze Schuhe,
Ehering, große Männeruhr, die Rechte in der Hosentasche, die linke
illustriert seine Sätze. Er ist ein sehr guter Politentertainer, und das
ist nicht despektierlich gemeint. Etwas schneidige Stimme, aber das ist
sicher marktforschungsgeprüft.
## Sich aus der Gut-böse-Aufteilung der liberalen befreien
Er macht Politik, seit er 21 ist oder genauer, er verkauft Politik, als
Minister umgesetzt hat er sie nie. Er kennt Showtime und er kann Showtime.
Er stellt keine persönliche Nähe her, aber spürt den Stimmungen nach,
verstärkt sie („Ich sach Ihnen was“), passt aber auf, dass es nicht zu
lustig wird, dann wechselt er umgehend in die Staatsmann-Tonlage.
Hinterher setzt er sich für ein kurzes Gespräch in eine Ecke. Emmanuel
Macrons Aufstieg mit seinem doppelten Liberalismus findet er
selbstverständlich hochinteressant. „Nur im Spaß ist ein direkter Vergleich
gerechtfertigt, aber die progressive und optimistische Dynamik ist
angesichts der schlechten Laune in Deutschland ein Vorbild“, sagt er. Das
schwebt ihm offenbar auch vor. Eine zentrale liberale Kraft, ein
Befreiungsschlag aus der Gut-böse-Aufteilung des Liberalen in links
(gesellschaftspolitisch) und neoliberal (wirtschaftspolitisch).
## Freie Marktwirtschaft, Bürgerrechte, Toleranz
Beim Parteitag in Berlin am vergangenen Wochenende bringt er dieses Modell
auf die zentrale Formel, die alle Retrofantasien von den glücklichen Zeiten
des „Sozialliberalen“ wie des „Wirtschaftsliberalen“ zerschmettert.
Liberalität sei kein Spartenprogramm und bestehe nicht im Senken von
Steuern (dieses Vorurteil will er zertrümmern), sondern in der Überzeugung,
dass der Mensch weder schwach (links) noch böse (konservativ) sei, sondern
vernünftig. „Es gibt keinen Bindestrich-Liberalismus“, ruft er in die
Kreuzberger Halle. „Entweder du bist liberal oder nicht“.
Er nennt: freie Marktwirtschaft, Bürgerrechte, Toleranz. Klingt stark, ist
aber kaum in die Realität zu übersetzen. Auch bei Macron spielt der
Sozialstaat weit über die Bürgerrechte hinaus eine wichtige Rolle.
## „Ich beabsichtige, noch 30 Jahre Politik zu machen“
Lindners „neue FDP“ wird bisher nur behutsam in konkrete Politik übersetzt,
etwa in der Forderung nach einem kanadisch-orientierten
Einwanderungsgesetz, aber auch im Festhalten an Abschiebungen nach
Afghanistan. Man will bloß nicht in einen Konter der Konkurrenz laufen.
Worüber er gar nicht redet, ist der Klimawandel als zentraler Kern jeder
künftigen Politik, auch nicht als Treiber von erfolgreicher
Wirtschaftspolitik.
Das Vorurteil, der FDP ginge es nur um Macht und Dienstfahrzeuge, spricht
Lindner selbst an. Dagegen setzt er das Versprechen, niemals solche
Koalitionen einzugehen. Als Beleg hat er die Ampel in NRW ausgeschlossen.
Die Grünen braucht er, zum Draufhauen. Schulministerin Löhrmann – schlimm.
Umweltminister Remmel – lebe seine Ressentiments unter dem Deckmantel des
Ökologischen aus. Wenn Regieren, dann nur, um „den ganzen grünen Krempel
abzuwickeln.“
Gleichzeitig achtet er darauf, eine Zusammenarbeit mit der CDU als möglich,
aber nicht natürlich erscheinen zu lassen. In Lindners verbalen Konturen
kann man eine FDP jenseits der alten Mehrheitsbeschafferin für eine der
Volksparteien erkennen. Als zentrale Kraft der bürgerlichen Mitte. Wirklich
hellhörig wird man, wenn er sagt: „Ich beabsichtige, noch dreißig Jahre
Politik zu machen“. Dass er das nicht für eine kurzfristige Koalition
wegschmeißt, lässt er unausgesprochen.
## Nochmal auf die Förde schauen
Wie lange Robert Habeck noch Politik macht, hängt vom Wahlausgang am
Sonntag ab. Als er sich als grüner Spitzenkandidat für den Bund bewarb, hat
er auf die Spitzenkandidatur im Land und sogar eine Absicherung als
Landtagsabgeordneter verzichtet. Um klarzumachen, dass es ihm nicht um
dreißigjährige Karriereplanung geht. Sondern um alles. Inzwischen dämmert
das der Bundespartei auch.
Ändert aber nichts daran, dass er die Urwahl der grünen Mitglieder verloren
hat. Um 75 Stimmen. Mutmaßlich, weil viele von denen, die jetzt rumheulen,
aus Loyalität doch Cem Özdemir gewählt haben und andere Anton Hofreiter den
Realitätsschock ersparen wollten.
Was soll Habeck jetzt damit anfangen, dass die Omnipotenzprojektionen auf
ihn zunehmen und Boulevardpolitmagazine raunen, von wegen die
Spitzenkandidaten stürzen, den Bundesvorsitz übernehmen, die Partei retten?
Wenn Schleswig-Holsteins Grüne es nach der Wahl nicht wieder in die
Regierung schaffen, kann er sein Ministerbüro im zehnten Stock eines
Funktionalbaus in Kiel ausräumen, nochmal auf die Förde schauen – und dann
hat er frei. Zumindest bis Ende September.
## „Niemals Insel sagen“, flüstert er
Habeck, 47, ist ein Seiteneinsteiger. Doktor der Philosophie,
Schriftsteller, Hetero, Familyman. Vor fünfzehn Jahren kommt er zum Gucken
mal zu den Grünen ins Nebenzimmer einer Flensburger Kneipe. Als er geht,
ist er Kreisvorsitzender.
Er merkt, dass er gut reden kann. Er erkennt, dass sein zunächst naiver
Idealismus emotionale Kraft hat. Er schärft seine Auftritte nicht über
das Studium von Late-Nite-Monologen, sondern über die Analyse von
Shakespeare-Figuren.
Eins kommt zum anderen. Und dann ist er stellvertretender
Ministerpräsident, Minister für Energiewende, Umwelt, Deichbau, Kühe,
Küstenschutz, ländliche Gebiete und der beliebteste Politiker des Landes.
Und an diesem Tag ist er zum fünften Mal auf der Hallig Hooge westlich von
Husum, um die offenbar legendären Ringelganstage zu eröffnen.
In der Außendarstellung trägt er gern Arbeitsuniformen, die ihn als Macher
zeigen, Blaumann oder Friesennerz oder heute eine Jacke seiner Küsten- und
Meeresschutzbehörde LKN. „Niemals Insel sagen“, flüstert er, als das Schi…
die Hallig erreicht.
## Früher waren Ringelgänse und Halligbauern Feinde
Inseln sind vom Wasser umschlossenes Land, Halligen werden regelmäßig
überflutet, weshalb die Häuser geschützt werden müssen. Habeck ist gerade
in Verhandlungen, weil der Klimawandel neue, teure Schutzmaßnahmen nötig
macht. Nachdem die Festversammlung zu den Klängen eines Schifferakkordeons
„Winde wehn, Schiffe gehn“ gesungen hat, redet er. Eine Viertelstunde und
frei. Ein paar Notizen hat er sich kurz davor gemacht.
Im Kern sagt er auf Hooge, was er immer sagt: dass Landespolitik gelingt,
wenn sich Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen an einen Tisch setzen
und respektvoll streiten. Dass man Nachhaltigkeit und Naturschutz mit
Geldverdienen verbinden kann. Früher waren Ringelgänse und Halligbauern
Feinde, die um das Weidegras stritten. Heute leben sie in friedlicher
Koexistenz. Politik hat das möglich gemacht.
Es ist nichts Außergewöhnliches. Aber er sagt es so, dass die Leute
zuhören. Oder genauer: Sie fühlen sich von Habeck angesprochen.
## Wählen sollen die Leute nicht wegen „Inhalten“
Selbstverständlich weiß Habeck, wie man Nähe herstellt, aber das ist nicht
nur Politikerhandwerk, sondern offenbar ein Bedürfnis. Wenn man gemocht
werden will, muss man etwas dafür tun. „Der war ja gut gelaunt“, sagen die
Halligbewohner hinterher.
Das kommt davon, dass der Minister spürbar nicht einen Pflichttermin
runterreißt, sondern sich wohlfühlt. In seinem Job, mit den Leuten auf
diesem fragilen Außenposten des Bundeslandes in der Nordsee, die Füße in
der Scheiße der Ringelgänse. Die diese im Rhythmus von drei Minuten in die
Wiesen der Hallig fallen lassen, wie der zuständige Experte ausführt.
„Ich wünsche mir, dass du unser Minister bleibst“, sagt der Bürgermeister
von Hooge. Und wer das auch wolle, müsse etwas dafür tun. Matthias
Piepgras, der Bürgermeister, ist SPD, und was er sagt, ist
Zweitstimmenwerbung für die Grünen. Er steht auch auf Nachfrage dazu.
„Was immer kommt“, sagt Habeck, „ich würde gern Halligminister bleiben.�…
Schwerer Beifall.
Das ist nicht repräsentativ, aber es ist das, was er schaffen will: Als
Person gewählt zu werden für seine grüne Arbeit. „Mit Habeck fürs Land“…
der Slogan seines Wahlplakats, ein anderes zeigt ihn mit der
Spitzenkandidatin Monika Heinold.
Die hat beim Landesparteitag einen männlichen Spitzenkandidaten verhindert,
um Habeck den Platz auf dem Wahlplakat freizuhalten. Mit Habeck steigt die
Chance zu gewinnen, das ist allen klar. Auch auf dem Doppelplakat sollen
die Leute die Grünen nicht wegen der in mehrfach quotierten Gremien
beschlossenen „Inhalte“ wählen, sondern aus persönlichem Vertrauen in die
beiden Menschen in Regierungsverantwortung.
Das ist schon ziemlich nah am der Botschaft, mit der Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Grünen zur Volkspartei machte.
Dort hieß es: „Grün wählen für Kretschmann“. In den Videospots arbeitet
Habeck die Distanz zur Bundespartei heraus. Sie wollten „den Menschen
dienen“, seien „verliebt in Schleswig-Holstein“, dann strahlen die beiden
auf dem Wahlplakat wie Marianne und Michael.
## Die Partei hat sich vor zehn Jahren erneuert
Bloß nicht von der Wozu-noch-Grüne-Stimmung im Bund runterziehen lassen. In
den Umfragen hat das geklappt: Während die Grünen in NRW die
Regierungsbeteiligung abgeschrieben haben und um den Wiedereinzug ins
Parlament zittern, standen die Schleswig-Holstein-Grünen nie schlechter als
12 Prozent. Am Ende könnte das auch den Bundesgrünen helfen. Die Hoffnung
lautet: Wenn Schleswig-Holstein zeigt, dass es geht, profitiert NRW und
dann auch der Bund.
Das Problem ist allerdings, dass sie dann auch zeigen, wie es geht. So, wie
es im Bund nicht geht. Eine flügelfreie Partei, die sich vor zehn Jahren
mit Konstantin von Notz, mit Habeck und anderen personell und kulturell
erneuert hat. Für die sich die uralten Fragen nicht mehr stellen.
## Mit den Füßen in der Gänsescheiße
Wozu die Grünen? Zum Regieren. Schon angesichts der Konkurrenz. Habeck
führt keinen klassischen Grünen-Wahlkampf gegen die FDP oder irgendwen,
sondern für etwas. Zweitens sieht er die wachsende Bedeutung der
Konfliktachse autoritär vs. liberal. „Beim Kampf für eine liberale
Demokratie ist die FDP nicht unser Gegner“, sagt er.
Das ganze Gerede, etwa von der Zeit, die Grünen hätten gewonnen, woraus
andere schließen, sie könnten abtreten, verpasst das Entscheidende, nämlich
das Politische. [1][Wie Reinhard Bütikofer beim tazlab sagte]: „Wir haben
in Eckpunkten geprägt, wie die Gesellschaft über sich denken will, also ihr
Selbstbild, aber doch nicht die gesellschaftliche Realität.“
Wie schließt man die Lücke? Habecks Antwort: Als Teil derer, die etwas
hinkriegen wollen. Mit den Füßen in der Gänsescheiße.
Dieses Modell auf den Bund zu übertragen ist Habecks Anspruch. Schon mit
der Idee der grünen Volkspartei, was nicht meint, dass alle grün werden,
sondern dass die Grünen für alle da sind. Bei der Urwahl hat er nicht
verbergen können, dass er sich für den Richtigen hält, um die
verfassungspatriotische Kretschmann-Gravität und den idealistischen
Parteiglutkern zu versöhnen und handlungsfähig zu machen. Mit seinem Mix
aus Intellektualität und Einer-von-euch-Style, aus langen Linien und
Spontanität, aus Nonkonformismus und Patriotismus.
## Genau das will er hören. Und gleichzeitig überhaupt nicht.
Macron findet er „großartig“. Das sozialpolitische Programm fehle, okay,
aber hier geht es um das Grundsätzliche. „Mut und Haltung“, sagt er. „Si…
selbst zu erfinden und entschiedenes Pro-Europäertum als Gewinnerthema zu
besetzen.“ Die Frage, wozu es die Grünen noch brauche, stellt sich für ihn
nicht: Sicherheitspolitik, Industriepolitik, Flüchtlingspolitik, nichts
wird ohne sozialökologischen Kern funktionieren. Aber eben auch nicht ohne
Mehrheiten.
Und jetzt sitzt er auf der „MS Seeadler“. Schwerer Wellengang. Und dann
sagt der Graubart auch noch: „Wir haben bei der Urwahl gebetet, Robert.“
Er fixiert den Schiffsboden.
„Wir haben gebetet, dass du verlierst und bei uns bleibst.“
Robert Habecks Gesicht muss man gesehen haben. Genau das will er hören. Und
gleichzeitig überhaupt nicht.
6 May 2017
## LINKS
[1] http://blogs.taz.de/tazlab/2017/04/30/gruene-ist-die-sozialoekologische-pol…
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Robert Habeck
Christian Lindner
Grüne Schleswig-Holstein
FDP Nordrhein-Westfalen
Lesestück Recherche und Reportage
Bündnis 90/Die Grünen
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
FDP Nordrhein-Westfalen
FDP
Daniel Günther
Schleswig-Holstein
Schleswig-Holstein
Grüne
Schwerpunkt Landtagswahlen
Schwerpunkt Landtagswahlen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Grünen nach der NRW-Wahl: Schnell das Krönchen richten
Spitzenkandidatin Göring-Eckardt bemüht sich nach dem Wahldesaster in NRW
darum, heitere Gelassenheit zu demonstrieren. Ob das reicht?
Überraschende Wahlkampfoffensive: Rettet dieses Insekt die Grünen?
Pelzig, fleißig und süß: Bienen sind Sympathieträger. Das wollen sich die
Grünen jetzt zunutze machen. Doch gibt es den Maja-Effekt tatsächlich?
Parkposse in NRW: Liberal eingeparkt
Die FDP hält im NRW-Wahlkampf auf dem Zebrastreifen – vor einem Krankenhaus
in Düsseldorf. Damit will sie junge Eltern ködern.
Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Habeck nimmt Kurs auf Jamaika
Die Küstenkoalition in Schleswig-Holstein ist am Ende. Die Grünen
debattieren nun, ob sie doch mit CDU und FDP regieren wollen.
Kommentar Wahl in Schleswig-Holstein: Der Habeck-Effekt
Gegen den Trend erzielen die Nord-Grünen ein starkes Ergebnis. Aber eine
Koalition mit der CDU würde zum Problem für die Partei im Bund.
Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Deutlicher Vorsprung für die CDU
Die SPD wird abgestraft und fährt das zweitschlechteste Ergebnis ihrer
Geschichte ein. Die CDU schafft einen Sensationssieg.
Albig auf dem absteigenden Ast: Es wird eng in Schleswig-Holstein
Es geht knapp zu in der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Wer am Ende
siegt, und ob es überhaupt Sieger und Besiegte gibt, ist nicht
vorhersehbar.
Kommentar Krise der Grünen: Die Mitte bleibt unerreichbar
Für die Grünen geht es seit Monaten bergab. Egal wie liberal sie sich
geben. Ein letzter Versuch, wieder erkennbar zu werden, kommt wohl zu spät.
Landtagswahl im Norden: Der Muschelfrieden als Prinzip
Vor den Wahlen in Schleswig-Holstein ist der Grüne Robert Habeck der
beliebteste Politiker des Landes. Seine Strategie: alle mitnehmen.
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Die große One-Man-Show der FDP
Beinahe im Alleingang will Christian Lindner die Liberalen retten und in
NRW an die Spitze führen. Sein Hauptfeind sind die Grünen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.