| # taz.de -- Landtagswahl im Norden: Der Muschelfrieden als Prinzip | |
| > Vor den Wahlen in Schleswig-Holstein ist der Grüne Robert Habeck der | |
| > beliebteste Politiker des Landes. Seine Strategie: alle mitnehmen. | |
| Bild: Übers Wasser gehen kann Robert Habeck noch nicht | |
| Kiel taz | Mit Ideologien kann der promovierte Philosoph Robert Habeck | |
| nicht viel anfangen. „Politik muss konkrete Probleme konkret lösen“, sagt | |
| Schleswig-Holsteins grüner Umwelt- und Energieminister, der auch für | |
| Landwirtschaft und Ernährung zuständig ist. Und das ist hier in | |
| Deutschlands höchstem Norden ein ganz heißes Thema: Seit rund 1.000 Jahren | |
| ist Schleswig-Holstein ein Land der Bauern und Fischer. Der politischen | |
| Tretminen gibt es somit viele, sie heißen ökologische Landwirtschaft, | |
| Begrenzung des Fischfangs, nachhaltige Fangmethoden und mehr Natur- und | |
| Tierschutz. Habeck ist schon auf alle getreten, und erstaunlicherweise | |
| blieb er unverletzt. | |
| Ende März kündigte der schleswig-holsteinische Bauernverband ein Umdenken | |
| in der Landwirtschaft an. Ziel sei es, „das Vertrauen der Menschen auf dem | |
| Land und in den Städten wieder zu erhalten“, erklärte Verbandspräsident | |
| Werner Schwarz. Ökologisch arbeitende Höfe sollen „als gleichberechtigt mit | |
| konventionellen anerkannt“ werden, findet der Bauernverband nun. Weniger | |
| Gülle, weniger Dünger, weniger Antibiotika, mehr Tier- und Artenschutz – | |
| Ziel des Bauernverbandes sei es nunmehr, „eine ökonomisch, ökologisch und | |
| sozial nachhaltige Landwirtschaft in Schleswig-Holstein sicherzustellen“, | |
| so Schwarz. | |
| „Ein starkes Signal“, kommentiert Habeck diese grüngefärbten Ankündigung… | |
| mitten im Landtagswahlkampf. „Das Verhältnis zwischen Bauernverband und | |
| meinem Ministerium ist nach fünfjährigen Lernprozessen entspannter und | |
| konstruktiver geworden“, sagt er und kündigt Großes für die nächste | |
| Legislaturperiode an: „Noch ein paar Jahre, und wir können hier in | |
| Schleswig-Holstein auf dem Agrarsektor richtig gute Dinge hinkriegen – und | |
| zwar gemeinsam.“ | |
| So wie beim „Muschelfrieden“ von 2015, der nach langjährigen, verbissen | |
| geführten Verhandlungen mit Fischern und Naturschützern geschlossen wurde. | |
| „Mit Messern zwischen den Zähnen haben die sich seit der Gründung des | |
| Nationalparks 1985 bekämpft“, erinnert sich Habeck beim Gespräch mit der | |
| taz in seinem Ministerbüro im zehnten Stock mit dem weiten Blick über die | |
| Kieler Förde. Jetzt aber könnten alle gut mit der Einigung leben. Die | |
| Naturschutzverbände hatten das Fischen von Muscheln und Austern vor allem | |
| für Sylter Nobelrestaurants im Nationalpark Wattenmeer grundsätzlich und | |
| ausnahmslos verbieten wollen, weil die Fangmethoden die Muschelbänke und | |
| andere Riffe nachhaltig schädigen würden; die Fischer hatten blanke | |
| Existenzangst. | |
| ## Kompromiss nach Jahrzehnten | |
| Habeck moderierte „im härtesten aller Konflikte zwischen Naturschutz und | |
| wirtschaftlicher Nutzung“ geduldig und mit Erfolg. Der Friedensvertrag | |
| sieht vor, dass die Fanggründe von 2.000 auf 1.700 Hektar außerhalb der | |
| besonders geschützten Kernzonen des Nationalparks beschränkt werden. An | |
| natürlichen Riffen darf gar nicht mehr gefischt werden. Dieser Punkt war | |
| besonders heikel, denn Muscheln siedeln nun mal auf Riffen oder Steinen an | |
| – und über die Frage, ob zwei Steine schon ein schützenswertes Riff bilden, | |
| wurde hart gestritten. Denn ein Großteil der Muscheln wird mit | |
| Schleppnetzen gefangen, die auf dem Meeresboden und an Steinformationen | |
| weitflächig ganze Biotope samt Seesternen oder Krebsen schädigen. Das wurde | |
| deutlich eingeschränkt. | |
| Alle Seiten seien „nach 30-jähriger Kampfgeschichte über ihre Schatten | |
| gesprungen, um den verhärteten Konflikt beizulegen“, kommentierte Habeck | |
| damals die Einigung. Jetzt sagt er rückblickend, man könne eben „zu | |
| Abschlüssen kommen, in denen sich alle wiederfinden, wenn man die Menschen | |
| und ihre Bedürfnisse ernst nimmt“. | |
| Nicht zuletzt diese Haltung hat dazu beigetragen, dass mit dem 47-jährigen | |
| Schriftsteller laut aktueller Umfrage erstmals ein Grüner beliebtester | |
| Politiker des konservativen Agrarlandes Schleswig-Holstein ist, knapp vor | |
| SPD-Ministerpräsident Torsten Albig und FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki. | |
| ## Respekt selbst von den Jägern | |
| Selbst seine langjährigen Widersacher aus Bauern-, Fischer- und | |
| Jägerverbänden zollen dem Grünen, den sie einst für ihren Untergang | |
| hielten, inzwischen Respekt. Authentisch sei er, suche den Dialog, höre | |
| genau zu und arbeite sich in Themen rasch und detailliert ein, geben sie | |
| zu. Und lassen zugleich durchblicken, dass sie den Verdacht haben, am Ende | |
| setze Habeck doch das durch, was er von Anfang an gewollt habe. | |
| Eine Einschätzung, die bei Habeck ein breites Grinsen hervorruft. Er und | |
| die Grünen im nördlichsten Bundesland, die stolz darauf sind, seit Jahren | |
| keinerlei Flügelkämpfe mehr zu haben, würden „keine Milieupolitik machen�… | |
| sagt Habeck. „Wir folgen unseren Werten und Vorstellungen, wie zum Beispiel | |
| die Ökologisierung der Landwirtschaftspolitik, aber wir versuchen, eine | |
| Zustimmung zu erreichen, die größer ist als unsere 14, 15 Prozent bei | |
| Wahlen.“ | |
| Der Mann aus dem höchsten Norden, ein erklärter Feind der Krawatte, will | |
| seine Partei auch inhaltlich für breitere Kreise wählbar machen, ohne dabei | |
| grüne Prinzipien zu verraten. „Eine Gesellschafts- und Orientierungspartei“ | |
| solle sie werden, warb er im Januar beim parteiinternen Casting für die | |
| Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl, das er dann im Januar hauchdünn | |
| gegen Parteichef Cem Özdemir verlor. Habeck weicht dem Konflikt nicht aus, | |
| weil er den Kompromiss gestalten will: „Ich will, dass wir Grünen nicht nur | |
| uns selbst ansprechen, sondern breite Mehrheiten suchen.“ | |
| Auch bei Bauern und Fischern. | |
| 12 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven-Michael Veit | |
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