# taz.de -- FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Wir brauchen klare Kante“ | |
> Am Wochenende trifft sich die FDP zum Parteitag. Wolfgang Kubicki spricht | |
> über seine Kandidaturen, die FDP, Armut und Sozialstaat. | |
Bild: Wolfgang Kubicki 2015 vor dem Landtag in Schleswig-Holstein | |
taz: Herr Kubicki, Sie sind gerade 65 Jahre alt geworden. Herzlichen | |
Glückwunsch nachträglich. Was hat Ihnen denn Ihre Partei geschenkt? | |
Zunächst mal einen großen Empfang. Und dann ihre ganze Hinwendung und | |
Zuneigung. Ich habe alle gebeten, mir keine Geschenke mitzubringen, sondern | |
für meine Partei zu spenden, damit wir ausreichend Mittel haben, um unsere | |
politische Botschaft unters Volk zu bringen. | |
Und, wie viel ist zusammengekommen? | |
Reichlich, ein fünfstelliger Betrag. | |
Mit 65 könnten Sie kürzertreten und noch ein bisschen Geld als Anwalt | |
machen. Stattdessen treten Sie jetzt bei gleich zwei Wahlen an. In Kiel für | |
die Landes-FDP und in Berlin für die Bundespartei. Warum? | |
Weil ich von meiner Partei darum gebeten und dafür gewählt worden bin. | |
Das war die offizielle Antwort. Was treibt Sie wirklich an? | |
Der Wille zum Erfolg. Ich bin da ganz preußisch. Ich gehöre dieser Partei | |
46 Jahre an, und ich will nicht damit aufhören, Politik zu betreiben, bis | |
die FDP wieder mit einem ausreichenden Angebot im Deutschen Bundestag | |
vertreten ist. | |
Ende dieser Woche findet Ihr Bundesparteitag statt. Welche Note dürften die | |
Delegierten ihrem stellvertretenden Parteivorsitzenden geben? | |
Ich bin mit mir einigermaßen zufrieden. Letztlich aber werden die | |
Delegierten darüber entscheiden. Ich rechne nicht mit einem schlechteren | |
Ergebnis als vor zwei Jahren, da waren es über 90 Prozent. | |
Vermutlich wird es noch einen Landtagswahlbonus obendrauf geben. | |
Wenn es den gäbe, dann wäre ich bei einem Ergebnis nahe dem von Martin | |
Schulz. Und das halte ich für unwahrscheinlich. Ich bin ja nach wie vor ein | |
unbequemer Typ. | |
Nach dem Türkei-Referendum könnte beim Parteitag die Debatte über das Ende | |
des Doppelpasses geführt werden. Wie stehen Sie dazu? | |
Den Doppelpass abzuschaffen ist eine mittelprächtige Idee, denn sie hilft | |
im Zweifel nicht weiter. Loyalität ist keine Frage des Passes, sondern der | |
inneren Einstellung. Die spannende Frage, die wir klären müssen, ist diese: | |
Die Bundesregierung lässt ja Deutschtürken hier über türkische Politik | |
abstimmen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es zulassen wird, | |
dass in Deutschland zum Beispiel über die Einführung der Todesstrafe | |
abgestimmt wird. | |
Erstaunlich, ich hielt für möglich, dass Sie für Wählerstimmen von Ihrem | |
eigenen Grundsatzprogramm abrücken. | |
Für mich ist der Doppelpass weder ein Schreckgespenst noch eine | |
Heilslösung, den haben wir schließlich auch mit anderen Ländern als der | |
Türkei. Und ich rücke von Positionen, die ich einmal eingenommen habe, | |
nicht deshalb ab, weil Erdoğan diese Abstimmung mit Schummelei gewonnen | |
hat. | |
Nach dem Parteitag wird in Schleswig-Holstein gewählt. Wie ist Ihr | |
Verhältnis zu dem Grünen Robert Habeck? | |
Wir mögen uns. Ich halte ihn für eine herausragende Erscheinung in der | |
schleswig-holsteinischen Politik. Davon haben wir nicht so viele. | |
Haben Sie sich gefreut, dass er nicht antritt? | |
Das verstehe ich bis heute nicht. Das Problem, das die Grünen jetzt haben, | |
tragen sie ja offen vor: Wer will, dass Robert Habeck Minister bleibt, muss | |
Grün wählen. Das wird die Menschen nicht erreichen, im Gegenteil. Das | |
Kriterium ist doch die politische Gestaltungsoption. | |
Wäre Habeck der bessere Spitzenkandidat im Bund gewesen? | |
Auf jeden Fall. Die Grünen hätten mit ihm deutlich mehr Chancen und wären | |
jetzt nicht so im Sinkflug. Anders als mit Cem Özdemir und Katrin | |
Göring-Eckardt. Ich fände es schade, wenn Habeck aus der Politik | |
ausscheiden würde. Aber auch da ist mein Schmerz begrenzt, er gehört ja | |
bedauerlicherweise nicht meiner Partei an. | |
Kommen wir zur Bundestagswahl. Seit Martin Schulz Spitzenkandidat ist, geht | |
es endlich wieder um etwas: um die Frage Union oder SPD. Warum sollten die | |
Leute Ihnen jetzt noch ihre Stimme geben? Es hat in den letzten Jahren auch | |
ohne FDP geklappt. | |
Das sieht eine Reihe von Menschen offensichtlich anders. Wir sind in den | |
Umfragen bei sechs Prozent, das ist doch schon mal erfreulich. Die Menschen | |
merken, dass sie keine Erziehungsberechtigten brauchen, sondern politische | |
Kräfte, die ihnen was zutrauen. Außerdem ist der Schulz-Hype ja schon | |
wieder zu Ende. Und dass sie Angela Merkel noch eine weitere Wahlperiode | |
ertragen müssen, das nehmen die Leute mittlerweile auch wieder in Kauf. | |
Die Verheißung der SPD lautet momentan, dass Koch und Kellner wechseln. Die | |
SPD würde führen, Merkel wäre weg. Wo also würde da die FDP gebraucht? | |
In Berlin scheint sich Tristesse breitzumachen. Deshalb wäre es vielleicht | |
ganz schön, Typen wie Lindner und Kubicki zu haben, die den Laden ein | |
bisschen aufmischen. Und die darüber nachdenken, wie man etwas | |
erwirtschaftet, bevor man es verteilt. Entscheidend ist, wir brauchen eine | |
funktionsfähige Wirtschaft, eine vernünftige Außenpolitik, die auf | |
Ausgleich bedacht ist. Wir brauchen vor allem klare Kante, was Rechtsstaat | |
und Demokratie angeht. | |
In welcher Rolle sähen Sie die FDP denn gern nach der Bundestagswahl – als | |
Sperrminorität oder als kleinen Regierungspartner? | |
Weder noch. Ich sehe die FDP in der Rolle jener Kraft im Deutschen | |
Bundestag, die Politik betreibt, ohne danach zu schielen, wem das gerade | |
gefällt. Was die Menschen am wenigsten mögen, ist, wenn Politiker nur nach | |
bestimmten Positionen gieren. So was wird, jedenfalls unter meiner | |
Beteiligung, nicht wieder stattfinden. | |
Haben Sie auch Inhalte? | |
Selbstverständlich. Ich wünsche mir zunächst eine vernünftige Außen- und | |
Europapolitik. Wir müssen sehr schnell eine neue europäische Euphorie | |
entfachen, damit Europa nicht auseinanderfällt. Wir müssen unsere | |
rechtsstaatlichen Standards verteidigen. Leute, die mir dauernd erklären, | |
man könne Sicherheit nur gegen Freiheitsrechte eintauschen, haben einfach | |
nicht recht. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass junge Menschen optimal | |
ausgebildet werden. Es treibt mich fast zum Wahnsinn, wenn ich sehe, dass | |
viele Schulen nicht einmal über WLAN verfügen. Das sind so einfache Sachen, | |
dass ich mich wundere, warum wir dauernd über Gerechtigkeit reden, wenn es | |
doch nur darum geht, das Aufstiegsversprechen zu erneuern. | |
Aktuell ist es aber so, dass laut dem Armutsbericht vierzig Prozent der | |
Bürger weniger in der Tasche haben als noch in den neunziger Jahren. | |
Ich bestreite das. Wenn derjenige als arm definiert wird, der weniger als | |
sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens hat, dann haben Sie immer Arme. | |
Es ging in diesem Land noch nie so vielen Menschen so gut wie gegenwärtig. | |
Ich habe keinen Respekt mehr vor der Drohung vor Altersarmut und | |
Verelendung. Das gibt es alles, ja. Aber wir haben unser Sozialsystem so | |
ausgestaltet, dass für diese Fälle der Staat einspringt. Und wenn er | |
einspringt, können wir doch nicht sagen: „Was für eine Sauerei, dass das | |
nötig ist.“ | |
Aber Sie sind ja Bürger dieses Landes. Sehen Sie nicht an den Bahnhöfen die | |
Elenden und Obdachlosen? Armut nimmt sichtbar zu. | |
Wenn Sie das meinen, dann wären die Sozialdemokraten schuld. Die regieren | |
seit 1998 dieses Land, bis auf die Ausnahme von vier Jahren. In | |
Schleswig-Holstein regieren die sogar seit 1988 mit Ausnahme von | |
zweieinhalb Jahren. Selbstverständlich gab es Armut früher auch, aber wir | |
haben mittlerweile ausreichend starke Systeme implementiert, um genau | |
dagegen vorzugehen. Ich wundere mich übrigens über Folgendes: Wir haben | |
jedem Flüchtling eine Gesundheitskarte gegeben, was ich vernünftig finde. | |
Aber offenbar hat sich niemand mit der Frage beschäftigt, warum die | |
Obdachlosen keine haben. Wenn ein Staat das nicht gewährleistet, dann muss | |
man die Mehrheiten verändern. Und das sage ich nicht, weil Sie von der taz | |
sind. | |
Das habe ich auch nicht angenommen. | |
Ehrlich, ich krieg da so einen Hals. Die Leistungen von alleinerziehenden | |
Müttern, die können Sie auch nicht hoch genug anrechnen. Dass wir uns über | |
die Frage unterhalten, ob sie fünf oder zehn Euro Hartz IV mehr bekommen, | |
das macht mich wütend. | |
Möglicherweise könnten Sie bald all dies wieder politisch beeinflussen. | |
Aber im Fall einer Ampel- oder Jamaika-Koalition müsste die FDP im Bund mit | |
den Grünen regieren. Und das, obwohl Ihre Mitglieder die so hassen. Warum | |
ist das so? | |
Das liegt an der moralischen Attitüde, die viele Grünen gegenüber den | |
Freien Demokraten aufbringen. Für die sind wir die bösen, egoistischen, | |
neoliberalen Menschen, die zur Verelendung der Massen beitragen, damit es | |
einigen Wenigen gut geht. Wenn Sie auf diese Weise bombardiert werden, | |
haben Sie keine Lust, mit denen auch noch ihre Zeit zu verbringen. Aber | |
klar, Politik besteht nicht allein aus der Frage, wen ich mag oder nicht | |
mag. In der Politik geht es um gemeinsame Arbeit an einer vernünftigen | |
Zukunftsperspektive. Wenn das gewährleistet ist, müssen persönliche | |
Animositäten zurückstehen. | |
Wenn der Wiedereinzug in den Bundestag schiefgeht, bedeutet das das Ende | |
der FDP als bundesrepublikanische Instanz, oder? | |
Sagen wir mal so. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es noch mal gelingen | |
würde, einen solchen Kraftaufwand zu betreiben wie in den letzten | |
dreieinhalb Jahren. Das war ja nicht nur terminlich, sondern auch physisch | |
eine echte Herausforderung. Es wäre auf jeden Fall das Ende meiner | |
politischen Tätigkeit auf Bundesebene. | |
Wenn es doch klappt … | |
… da machen Sie sich mal keine Sorgen. Wenn wir in Schleswig-Holstein und | |
Nordrhein-Westfalen zweistellige Ergebnisse holen, werden wir darüber gar | |
nicht mehr diskutieren. Selbst Gregor Gysi hat mir gerade gesagt, dass die | |
FDP im Bundestag gebraucht wird. | |
2013 haben Sie den Rauswurf auch nicht kommen sehen. | |
Im Gegensatz zu Ihnen hatte ich das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag | |
2013 erwartet. Wer in der letzten Woche vor der Wahl um Stimmen bettelt, | |
kann nicht überbordendes Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit erwarten. | |
Es gilt die alte Weisheit: Wer sich klein macht, wird auch klein gewählt. | |
28 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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