# taz.de -- Wolfgang Kubicki über die neue FDP: „Ich bin moralisch gefestigt… | |
> Am Wochenende trifft sich die FDP zum Bundesparteitag. Vizechef Wolfgang | |
> Kubicki über die alten Rösler-Liberalen und die Drogen von Volker Beck. | |
Bild: Lindner sei die Zukunft der Partei, er selbst die Vergangenheit, sagt Wol… | |
taz: Herr Kubicki, wollen Sie in Berlin zum Alkoholiker werden? | |
Wolfgang Kubicki: Sie spielen auf mein [1][Zeit-Interview von 2010] an . . | |
. | |
„Es ist Teil meiner Überlebensstrategie, nicht nach Berlin zu gehen. Ich | |
würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, haben | |
Sie gesagt. Jetzt wollen Sie 2017 für den Bundestag kandidieren. | |
Mittlerweile bin ich sittlich und moralisch gefestigt. | |
Sind Sie Frau Merkel dankbar? | |
Für was? Für die Entscheidung, dass sie Herrn Erdoğan gebeten hat, sich für | |
uns um die syrischen Flüchtlinge zu kümmern? | |
Für die vom September 2015, die Grenzen zu öffnen. | |
Ich kann die Aktion menschlich nachvollziehen, glaube allerdings nicht, | |
dass die Kanzlerin gewusst hat, was sie tut. Denn das Signal in die | |
arabischen Länder hinein war, dass wir geradezu darauf warten, dass | |
Menschen zu uns kommen, weil wir Fachkräfte brauchen. Das hat eine Welle | |
ausgelöst – und korrespondierte weder mit der Situation in Deutschland noch | |
mit europäischem Recht. | |
Immerhin hat das die FDP in bundesweiten Umfragen wieder über 5 Prozent | |
gebracht. | |
Ich glaube nicht, dass das an der Flüchtlingskrise liegt. Die Menschen | |
haben das Gefühl, die Große Koalition redet nur noch darüber, wie man Geld | |
ausgibt, ohne die Frage zu klären, wie man die Leistungsfähigkeit der | |
Wirtschaft erhalten kann. Stellen Sie sich vor, wir hätten das Jahr 2004 | |
oder 2005 mit sechs Millionen Arbeitslosen, fallenden Wachstumsraten und | |
fallenden Steuereinnahmen. Wir hätten eine völlig andere | |
Flüchtlingsdiskussion in Deutschland gehabt. | |
Seit der Bundestagswahl 2013 ist viel von der Neuerfindung der FDP die | |
Rede. Ich habe eher den Eindruck: Die FDP ist die Alte, sie sieht nur | |
besser aus. | |
Die FDP muss sich nicht komplett neu erfinden. Meine Überzeugungen haben | |
sich nicht gewandelt, weil wir den Bundestag 2013 verlassen mussten. Ich | |
fühle mich eher darin bestätigt, dass es vielmehr darum geht, den Menschen | |
unsere politischen Lösungsvorschläge zu erklären. Vor allem müssen sie sich | |
darauf verlassen können, dass wir ernst meinen, was wir sagen. | |
Das hat die FDP 2009 bis 2013 nicht getan? | |
Ein Beispiel: Wir haben im Wahlkampf versprochen, das Entwicklungshilfe- | |
und das Außenministerium zusammenzuführen. Und dann saßen im Außen- und im | |
Entwicklungsministerium liberale Minister, und alles blieb, wie es war. | |
Weil es möglicherweise so schön ist, Minister zu sein. Das kann man nicht | |
gut erklären. | |
An was würden wir uns erinnern, wenn die FDP 2013 in den Bundestag gekommen | |
und noch mal in die Regierung gegangen wäre? | |
Daran,dass die FDP an sich selbst zerbrochen wäre. Für viele Mitglieder | |
wäre es unerträglich gewesen, auf die Dokumentation der eigenen Überzeugung | |
zu verzichten aus lauter Angst, man könnte die Koalition gefährden. Hätten | |
wir die christlich-liberale Koalition mit dem gleichen Personal | |
fortgesetzt, hätten wir es bei folgenden Landtagswahlen schwer gehabt. Das | |
Scheitern 2013 war das konsequente Ende eines Prozesses, der 2009 begonnen | |
hat. Mit einer unglaublichen öffentlichen Überheblichkeit und einer | |
verhältnismäßig geringen Leistung. | |
Wie muss man sich die FDP nach der Wahl 2013 vorstellen? Debattiert sie | |
intern über ihre Fehler oder heißt es nur: Lindner und Kubicki haben ihre | |
letzten Landtagswahlen erfolgreich bestritten, die müssen halt jetzt nach | |
vorne. | |
Erst mal müssen Sie selbst, auch wenn Sie damit rechnen, das Ergebnis | |
verdauen. Ich war in Kiel, Christian Lindner in Berlin. Ich bin um 19 Uhr | |
von Kiel nach Berlin gefahren. Wir haben uns noch für Mitternacht in Berlin | |
in einem Hotel verabredet – mit der Frage: Wie fangen wir diese Partei | |
jetzt wieder auf? | |
Mit ihnen beiden an der Spitze? | |
Nach langer Arbeit in der Partei wissen Sie, wie das Ritual ist: Am | |
nächsten Morgen tritt das Präsidium zusammen. Das tritt geschlossen zurück. | |
Dann tritt der Bundesvorstand zusammen. Der tritt auch geschlossen zurück. | |
Und danach kann die FDP ja nicht sagen, beim Parteitag in vier bis sechs | |
Wochen schauen wir mal, was passiert. Damit die Mitglieder nicht | |
zusammenbrechen, muss man sie auffangen. Also war zwischen Lindner und mir | |
klar, wir müssen ein Signal geben: Es geht weiter. | |
Wie haben Sie entschieden, wer Chef wird? | |
Ich habe gesagt, ich bin doch nicht verrückt, Bundesvorsitzender der FDP | |
werden zu wollen. Das musst du machen. Lindner fragt: Warum? Ich sage: Weil | |
du die Zukunft der Partei bist, ich bin die Vergangenheit. Dann sagt er: | |
Dann musst du mein Generalsekretär werden. Und ich habe geantwortet: um | |
keinen Preis der Welt. Ich kandidiere als dein Stellvertreter. Ich | |
verspreche dir in die Hand, wir beide bauen diese Partei wieder auf und es | |
wird bis 2017 auch keinen Konflikt zwischen uns geben. Umgekehrt genau das | |
Gleiche. Und so sind wir dann am nächsten Morgen in die Gremien gegangen | |
und haben erklärt, wir würden kandidieren. | |
Und danach keine Debatte über Inhalte? | |
Doch, der sogenannte Leitbildprozess. Ich habe das zunächst für eine Art | |
Selbstbefriedigung gehalten, aber dann gemerkt, dass es Sinn macht, | |
nachzudenken: Was hat dich veranlasst, in die FDP einzutreten? Was | |
veranlasst dich, bestimmte Dinge so zu denken, wie du sie denkst? Um dann | |
festzustellen, dass wir einen gemeinsamen Grundkonsens haben, aus dem | |
heraus sich sehr viele politische Folgerungen ableiten lassen. | |
Zum Beispiel? | |
Ich kann jederzeit erklären, warum Bildung, die Vereinbarkeit von Familie | |
und Beruf, Wirtschaft und Leistungsfähigkeit zusammengehören. Ich verstehe | |
bis heute nicht, warum sich in meinem Land die SPD dagegen wehrt, alle | |
Kinder mit Tablets für den Unterricht auszustatten. Bildung ist nicht nur | |
ein Menschenrecht. Es kommt auch darauf an, die Ressourcen, die in jedem | |
Einzelnen stecken, zu heben, weil unsere künftige Leistungsfähigkeit bei | |
einer immer geringeren jüngeren Population darauf angewiesen ist, dass | |
jeder aus sich selbst das Beste machen kann. | |
Wir würden gern mit Ihnen noch über Freiheit diskutieren. | |
Machen Sie das. Das ist sehr schön. | |
Macht es Ihnen eigentlich Spaß, die Grünen als Verbotspartei zu | |
klassifizieren? | |
Das sind sie ja. | |
Weshalb? | |
Weilsie versuchen, alles Mögliche gesetzlich zu regeln und zu verbieten. | |
Siehe Nachtflugverbote, Rauchverbote in Kneipen . . . | |
Das ist alles falsch? | |
Es gab so einen Moment in der Debatte ums Rauchverbot im Kieler Landtag, | |
als die jetzige Finanzministerin Monika Heinold von den Grünen sagte: Wenn | |
ich abends in die Kneipe gehe, will ich nicht von Rauchern belästigt | |
werden. Da habe ich gesagt, ich will, wenn ich abends in meine Stammkneipe | |
gehe, nicht von Grünen belästigt werden. Trotzdem käme ich nie auf die | |
Idee, ein entsprechendes Verbot in die Welt setzen zu wollen. Es reicht | |
doch aus, wenn man den Menschen die Entscheidung überlässt. Beim | |
Rauchverbot finde ich es besonders lustig. Scherzhaft gesagt: Weil die | |
Grünen für Rauchverbote sind, muss Volker Beck auf Crystal Meth ausweichen. | |
Sonst hätte er auch Cannabis rauchen können. | |
In Berlin gibt es einen 19-Jährigen, der mit einer eigenen Partei zu den | |
Wahlen antreten will. Der sagt: Wir sind für die Stärkung des Individuums | |
und die Absicherung durch die Mietpreisbremse. Er begreift Freiheit als die | |
Möglichkeit, etwas auszuprobieren, weil die Mieten niedrig sind. Sie | |
könnten ihn für die FDP gewinnen, wenn sie sich nicht als Partei der | |
Immobilienbesitzer profilieren würde. | |
Wir sind nicht die Partei der Immobilienbesitzer. Aber wenn Sie mehr | |
Wohnraum in der Stadt haben wollen, hilft die Mietpreisbremse nicht weiter. | |
Sie ist ein Geschenk für Besserverdienende. | |
Warum? | |
Weil die Mietpreisbremse dazu führt, dass jemand, der eine Wohnung haben | |
will, sie jetzt preiswerter bekommt, als er sie bekommen hätte, wenn die | |
Mietpreisbremse nicht da wäre. Wie wird sich ein Vermieter entscheiden, | |
wenn 30 Leute die Wohnung haben wollen? Er wird sich den Mieter aussuchen, | |
von dem er sicher ist, dass er es bezahlt, dass er da reinpasst, dass er | |
den entsprechenden sozialen Hintergrund hat. Also wird der Solventeste die | |
Wohnung bekommen. Der geht dann mit seiner Frau anschließend essen und | |
sagt: Ich hätte sonst 1.600 Euro bezahlen müssen, jetzt zahle ich nur 800 | |
Euro. Toll, ich kann mehr Geld ausgeben. | |
Würden Sie den Mietmarkt überhaupt regulieren? | |
Ich würde die Kommunen verpflichten, mehr Bauland auszuweisen. Wenn das | |
Angebot steigt, sinkt der Mietpreis. | |
Klaus Wowereit hat mal gesagt, es gibt kein Recht auf Wohnen in der | |
Innenstadt – für Geringverdiener. Stimmen Sie zu? | |
Ja.Wie wollen Sie die Wohnungen außerhalb des Markts gerecht verteilen? | |
Wenn es nur eine begrenzte Menge Wohnungen in angesagten Gegenden gibt, | |
können Sie nicht erklären, warum die einen eine zugewiesen bekommen und die | |
anderen nicht. Meine Frau und ich waren gerade in Südafrika. Dort haben | |
ungefähr 30 Menschen gebettelt. Meine Frau sagt: Ich muss denen jetzt was | |
geben. Ich habe geantwortet: Lass das sein. Da sagt sie: Warum? Ich sage: | |
Weil du es nicht erklären kannst, warum du dem einen was gibst, aber den | |
anderen 29 nicht. In Indien haben wir schon erlebt, dass so etwas zu | |
Gewalttätigkeiten führt. Weil die anderen nicht verstehen, dass sie jetzt | |
nicht in gleicher Weise bedacht werden. Sie schaffen in einem solchen Falle | |
durch den vordergründig nachvollziehbaren Gedanken der Gerechtigkeit eine | |
neue Ungerechtigkeit und Frustration. | |
Sie kandidieren im Mai 2017 als FDP-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein | |
für den Landtag, im September 2017 als FDP-Spitzenkandidat in | |
Schleswig-Holstein für den Bundestag. | |
So ist der Plan. | |
Das hört sich nach einer etwas schwer vermittelbaren Idee für die Wähler | |
an. | |
Überhaupt nicht. Bei der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein haben | |
nachweislich 66 Prozent der Wähler die FDP mit mir als Spitzenkandidaten | |
gewählt, damit wir größeren Einfluss im Bund haben. Christian Lindner macht | |
es 2017 in NRW so wie ich in Kiel. Wie sollte es auch anders gehen? Und | |
natürlich kann die FDP auch nicht erklären, zur Bundestagswahl anzutreten, | |
aber der Bundesvorsitzende und der stellvertretende Bundesvorsitzende | |
bleiben in ihren Ländern. | |
22 Apr 2016 | |
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