# taz.de -- Schwerpunkt Rechtpopulismus: „Wir weichen nicht“ | |
> Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Kiel, hat vor 25 Jahren noch die | |
> DVU miterlebt. Bei den Landtagswahlen im Mai droht ihm nun ein Deja-vu | |
> mit der AfD | |
Bild: Parteiprominenz in Schwerin: Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD… | |
taz: Herr Kubicki, nach der Wahl im April 1992 saß die FDP im Parlament | |
neben den Abgeordneten der rechten DVU. Wie sind Sie mit diesem Nachbarn | |
umgegangen? | |
Wolfgang Kubicki: Wir alle haben ein distanziertes Verhältnis mit der DVU | |
gepflegt. | |
Was heißt das genau: Hat man mal einen Kugelschreiber rübergereicht? Oder | |
gar keinen Kontakt gehabt? | |
Wir haben sie ignoriert, wie man Menschen überhaupt nur ignorieren kann. | |
Bei der Landtagswahl im Mai 2017 könnte mit der AfD eine | |
rechtspopulistische Partei einziehen. Kann das Kieler Parlament von | |
Erfahrungen aus der DVU-Zeit profitieren? | |
Dazu zwei Bemerkungen: Ich habe Probleme damit, die AfD als rechtsradikal | |
zu bezeichnen. Und – hier kommt jetzt ein Punkt, in dem SPD-Fraktionschef | |
Ralf Stegner und ich uns mal einig sind – wir wollen die AfD in | |
Schleswig-Holstein so klein wie möglich halten. Wir werden deutlich machen, | |
dass dies Leute sind, die im Parlament unseres Landes nichts zu suchen | |
haben. | |
Wo sehen Sie Unterschiede zwischen der AfD und noch rechteren Parteien? Wo | |
in dem Feld steht die Landes-AfD? | |
Keine Ahnung, ich hatte bisher keinen Anlass, mich mit denen zu | |
beschäftigen. Generell sehe ich die AfD als unseren größten Antipoden im | |
Spektrum. Fremdenfeindlich, europafeindlich, also das genaue Gegenteil von | |
liberal. Heutzutage meint ja jeder, er könne den Begriff „liberal“ | |
benutzen. Demnach wäre auch Seehofer ein Liberaler. Aber damit ist er lange | |
noch kein Freier Demokrat. | |
Von der CSU kurz zurück zur DVU. Das Parlament hat damals ziemlich | |
getrickst. So leitet seither in Schleswig-Holstein nicht der älteste, | |
sondern der dienstälteste Abgeordnete die erste Sitzung. | |
Mit der Geschäftsordnung wird nicht getrickst, sondern die Mehrheit des | |
Parlaments bestimmt die Regeln. | |
Aber das Ziel war klar: eine DVU-Abgeordnete als Alterspräsidentin zu | |
verhindern. | |
Präzise gesagt, eine 84-Jährige daran zu hindern, einen wirren Text des | |
DVU-Vorsitzenden und Herausgebers der National-Zeitung, Gerhard Frey, zu | |
verlesen. Dieses Recht hat ein Parlament. Und für mich persönlich hatte es | |
die Konsequenz, dass ich 2012 Alterspräsident geworden bin. | |
Sind solche Kniffe heute noch denkbar? Oder wäre das Wasser auf die Mühlen: | |
Schaut an, die Alt-Parteien und ihre Hinterzimmer-Methoden? | |
Wir haben uns sehr transparent für ein Verfahren entschieden, das als | |
„schleswig-holsteinischer Weg“ von anderen Parlamenten übernommen wurde. | |
Die DVU stellte zahlreiche Anträge, die meist per Fax aus der | |
Parteizentrale kamen – da stimmte nicht einmal das Bundesland. Wir haben | |
diese Anträge nach dem Motto „Einer für alle“ beantwortet, also ein | |
Abgeordneter für alle Fraktionen. Wir wollten die DVU nicht durch vier oder | |
fünf Reden aufwerten. Gleichzeitig hat das Parlament dokumentiert: Wir | |
weichen nicht. | |
Wäre das ein Weg für den Umgang mit der AfD? | |
Das würde ich empfehlen. Rechtspopulistischen Tönen muss deutlich | |
widersprochen werden, ansonsten stellen wir uns Debatten. Denn auch wenn | |
diese Parteien behaupten, den Bürgerwillen zu vertreten: In einer | |
Demokratie bilden zehn Prozent noch lange keine Mehrheit. Wer überall | |
Verschwörungen wittert, endlos skandalisiert und damit die Arbeit der | |
Parlamente behindert, der handelt gegen den Bürgerwillen. | |
Aber genau da liegt doch das Problem: Die etablierten Parteien schaffen es | |
nicht, diese Botschaft zu vermitteln. Warum? | |
Wir tagen öffentlich, alles wird per Livestream übertragen. Man kann von | |
Menschen erwarten, dass sie sich informieren. Von uns zu fordern, dass wir | |
Hausbesuche machen und einzelne Sachfragen erklären, wäre ein bisschen | |
albern. | |
Aber erleben wir nicht, dass sich Gruppen in ihre Social-Media-Nischen | |
zurückziehen und die Debatte verweigern? | |
Das behaupten Politikwissenschaftler und Journalisten, aber die liegen | |
manchmal auch daneben. Messbar feststellen lässt sich, dass die | |
Wahlbeteiligung wieder zunimmt. | |
Aber doch nur deshalb, weil jetzt Leute AfD wählen, um den anderen Parteien | |
einen Denkzettel zu erteilen. | |
Das ist der Preis der Demokratie. Wenn wir anfangen, zwischen guten Wählern | |
und schlechten Wählern zu unterscheiden, könnten wir uns das Ganze sparen. | |
Die AfD erreicht Menschen, die sich aus dem Prozess verabschiedet hatten | |
und die jetzt wieder wählen gehen – das ist das einzig Gute, das sich über | |
diese Partei sagen lässt. Es gibt in jeder Gesellschaft einen Anteil von 20 | |
Prozent von Menschen, die die Demokratie ablehnen, die den Kaiser | |
wiederhaben wollen und so weiter. Aber wenn diese Gruppe sich jetzt mehr zu | |
Wort meldet, dann weckt das andere, die ein bisschen demokratiemüde | |
geworden sind. Wenn es um etwas geht, begreifen die 80 Prozent, welchen | |
Wert dieses Land, freie Medien und kritische Debatten darstellen. Wenn also | |
mehr Unterstützer der Freien Demokraten, Grünen, SPD, CDU zur Wahl gehen, | |
will ich mich über ein paar Stimmen für die AfD nicht beschweren. | |
13 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Sven-Michael Veit | |
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