| # taz.de -- Parteitag der FDP: Die neuen alten Liberalen | |
| > In Berlin sticheln die Liberalen gegen die Konkurrenz. Außerdem wird, | |
| > gefördert von Lobbyverbänden, technologischer Fortschritt beschworen. | |
| Bild: Christian Lindner beschwört den Parteitag | |
| Berlin taz | Draußen, zwischen Eingang und Parteitagshalle, stehen alle, | |
| die sich von der FDP etwas erhoffen: der Verband der Arzmittelimporteure, | |
| Gesamtmetall, DHL, Uniper, RWE, VW, die Doc Morris-Apotheken, der | |
| Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (sprich: die | |
| Leiharbeitsbranche), die Immobilienlobbyisten vom Verband ZIA, der Deutsche | |
| Zigarettenverband und der Zigarettenhersteller Philip Morris. | |
| So ist das mit der neuen FDP: Im Vorraum des Berliner Bundesparteitags | |
| stehen wieder die alten Lobbyverbände, lobbyieren und sponsern, und drinnen | |
| redet Wolfgang Kubicki, der Vize-Chef der Partei. Begrüßt Ex-Parteichef | |
| Philipp Rösler, den er regelmäßig wegen des Scheiterns bei der | |
| Bundestagswahl 2013 öffentlich abgewatscht hat, diesmal aufs Herzlichste | |
| („Philipp, wir freuen uns, dass du heute da bist“), zitiert den kürzlich | |
| verstorbenen Ex-Chef Guido Westerwelle: „The show must go on.“ Und plädiert | |
| gegen die geplanten Tabakwerbote von Justizminister Heiko Maas (SPD). | |
| Philip Morris und den Deutschen Zigarettenverband wird es freuen. | |
| Der FDP ist nach ihrem Untergang bei der Bundestagswahl 2013 erstaunliches | |
| gelungen: Sie hat ihre Führung ausgetauscht, ist trotzdem bei den | |
| Europawahlen 2014 noch einmal gescheitert, landete bei den Landeswahlen in | |
| Hamburg und Bremen deutlich über fünf und liegt nun in den bundesweiten | |
| Umfragen bei sieben Prozent. Offen ist nur, ob sie dies eher der eigenen | |
| Kraft verdankt oder der Abwendung früherer CDU-Wähler von der Union wegen | |
| Merkels Flüchtlingspolitik. | |
| „Beta Republik Deutschland“ heißt das Motto das Parteitages am Rande von | |
| Berlin-Kreuzberg: Deutschland soll Neues testen, die Digitalisierung ändert | |
| die Welt. Hinten auf der Leinwand blinken Sprüche auf: „Ohne Angst/ohne | |
| Zögern/lass uns machen/Willkommen in der Beta-Republik Deutschland“. Dann | |
| tritt Parteichef Christian Lindner ans Mikrofon. Die Rede dauert über eine | |
| Stunde, ist gespickt mit den üblichen Witzen über die Konkurrenz und den | |
| Sticheleien gegen die angebliche grüne Verbotspolitik. Diesmal muss eine | |
| Rede vom grünen Bundesparteitag dafür herhalten, in der WLAN-freie Zonen | |
| gefordert wurden – wegen der Strahlengefahr. Dass die Forderung eine | |
| Einzelmeinung war, die keine Mehrheit bekam, sagt Lindner nicht. | |
| ## Fortschritt ohne Verbot | |
| Lindner macht das, was man aus den neoliberalen Angstkampgnen der letzten | |
| Jahrzehnte kennt: Benchmarking. Die anderen sind uns voraus, sagt er. Die | |
| Israelis haben überall kostenloses WLAN, die Esten brauchen nur drei | |
| Minuten für eine digitale Steuererklärung, Google baut Autos, die ohne | |
| unsere deutsche Ingenieurskunst auskommen werden. Wir müssen nachziehen, | |
| sonst ist unser Wohlstand gefährdet, die Bundesregierung schafft es nicht. | |
| Die Arbeitswelt wird sich wandeln, Arbeit wird auch auf dem Weg zum Büro | |
| oder zu Hause gemacht, das ist besonders für Frauen besser. Das ist das | |
| Fortschrittsversprechen der Liberalen. Die Regelungswut der | |
| Sozialdemokraten, besonders von Andreas Nahles, steht ihm im Weg, | |
| suggeriert Lindner. | |
| Die Furcht vor einem Dienstleistungsprekariat versucht er zu zerstreuen. | |
| Für Phasen geringer Einnahmen wollten die Liberalen das Bürgergeld, sagt | |
| der Parteichef – in den einen Monaten zahle man Steuern, in den Monaten, in | |
| denen man nichts verdiene, zahle einem das Finanzamt direkt Geld zum | |
| Lebensunterhalt. Wie man hinkommen soll, wenn man dauerhaft nicht genug | |
| verdient, sagt Lindner nicht. | |
| Sein zweiter großer Diskurs ist zur Rentenpolitik. Die FDP ist für ein | |
| flexibles Renteneintrittsalter. Die drohende Altersarmut für viele | |
| Geringverdiener durch eine höhere staatliche Rente auszugleichen, lehnt | |
| Lindner ab: „Der Staat kann den Lebensstandard nicht alleine garantieren“, | |
| sagt Lindner. Er will stattdessen die private Rentenvorsorge nicht mehr auf | |
| die Grundsicherung anrechnen lassen. | |
| Aber was ist mit denen, die schon vor Renteneintritt Grundsicherung | |
| brauchen oder nicht genug Geld für eine private Vorsorge verdienen? Für die | |
| verlangt er eine Entbürokratisierung – die Grundsicherung soll zukünftig | |
| ohne den Gang zum Sozialamt ausgezahlt werden. Weniger Formulare, aber | |
| nicht mehr Geld für Armutsrentner – es sind die Momente, in denen der Sound | |
| der neuen Liberalen klingt wie der der alten. | |
| 23 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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