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# taz.de -- Ministerpräsidentin in NRW: Die Kraft schwindet
> Das Image der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) als
> „Kümmerin“ ist angeknackst – vor allem seit den Übergriffen am Kölner
> Bahnhof.
Bild: Nicht mehr so dynamisch wie einst: Hannelore Kraft
Köln taz | Ihre Augenringe sind nicht zu übersehen. Frühmorgens wühlt sich
Hannelore Kraft durch einen Stapel Zeitungen und seufzt in die Kamera:
„Erst mal muss ich gucken, dass ich klarkomme.“ In ihrem Videoblog, dem
„Vlog“, [1][filmt sich die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin
selbst], gibt kurze Einblicke in ihre Arbeit, plaudert beiläufig über
anstehende Termine und Politik.
Die Kameraschwenks sind holprig, ab und zu rutscht ein Finger auf die
Linse. Die User finden das gut. „Sympathisch“, „glaubwürdig“, „Weite…
Komplimente satt auf YouTube. Einer findet, die Landeschefin lächle wie
Malu Dreyer: „Voll süß.“
Der „Vlog“ ist Krafts neue Selbstvermarktungsstrategie in Zeiten
schwindenden Zuspruchs. Und eine der wenigen Möglichkeiten, über das
politische Alltagsgeschäft der Landeschefin Näheres zu erfahren.
Journalisten lässt sie kaum an sich heran. Alle paar Monate lädt sie in den
„Kraft-Raum“ – so der vollmundige Name für ein Hintergrundgespräch mit …
Presse.
Vergeblich baten die Düsseldorfer Korrespondenten um regelmäßigere
Informationen. Sie verwiesen auf Krafts baden-württembergischen Kollegen
Winfried Kretschmann: Der tritt einmal pro Woche vor die Presse. Auf
Nachfrage der taz teilt der Regierungssprecher nun mit, man werde künftig
alle sechs Wochen einladen.
Dabei gilt Kraft eigentlich als bodenständig und bürgernah. In den
vergangenen Monaten war davon allerdings wenig zu spüren, sie wirkte müde.
In der Woche vor dem Superwahlsonntag litt sie an einer Lungenentzündung,
an der sie noch immer laboriert. Die Umfragewerte der rot-grünen
Landesregierung dümpeln seit Monaten auf einem Tiefststand.
## Nach Köln abgetaucht
Jeder zweite Bürger Nordrhein-Westfalens ist mit ihrer Arbeit unzufrieden,
das ergab der vergangene NRW-Trend. Demnach liegt die CDU knapp vor der
SPD, die AfD würde drittstärkste Kraft. Für ein rot-grünes Bündnis wird es
nach der Landtagswahl im Mai 2017 nicht reichen. Kraft ist noch immer die
beliebteste Politikerin im Land, aber ihr Rückhalt schwindet.
Ein Grund dafür ist Köln. Erst fünf Tage nach den Ereignissen der
Silvesternacht ließ sie dem Kölner Stadt-Anzeiger eine Erklärung zukommen,
mit der Bitte, diese an die Agenturen weiterzugeben. Kein Vor-Ort-Termin,
kein öffentliches Statement – die Ministerpräsidentin tauchte ab, als die
Übergriffe weltweit Schlagzeilen machten. Das war fatal.
Nach der Loveparade-Katastrophe und dem Absturz der Germanwings-Maschine
hatte die 54-Jährige bewegende Worte gefunden, trauernde Angehörige in den
Arm genommen. Erst Mitte Januar entschuldigte sich Kraft bei den Opfern der
Übergriffe in der Silvesternacht. Ihr Mitgefühl kam zu spät, ihr Image als
„Kümmerin“ ist seither angeknackst.
Bald sechs Jahre steht die gebürtige Mülheimerin als erste Frau an der
Spitze des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Ihr Start war schwierig:
Zunächst regierte Kraft in einer Minderheitsregierung mit den Grünen. Das
funktionierte weitgehend reibungslos, doch ein Dreivierteljahr später löste
sich der Landtag nach Scheitern der Haushaltsverhandlungen auf. Bei der
anschließenden Neuwahl im Mai 2012 holte die Sozialdemokratin fast 39
Prozent für ihre Partei. Ein Traumergebnis, für das ihr auch die Kanzlerin
Respekt zollte.
Doch die Herausforderungen blieben gewaltig. Etwa die Verschuldung. Während
die meisten Bundesländer wegen der guten Konjunkturlage seit Jahren
Altschulden tilgen, muss Düsseldorf weiter Millionenkredite aufnehmen. Der
Sanierungsstau ist zu groß. Das Ruhrgebiet, Dauersorgenkind, hat auch Kraft
nicht in den Griff bekommen. Die Armutsquote beträgt 20 Prozent – auch das
Präventivprogramm „Kein Kind zurücklassen“ konnte das nicht verhindern.
Besserung? Fehlanzeige. NRW schneidet in Wirtschaftsrankings seit Jahren
schlecht ab. Krafts Herausforderer bei der Landtagswahl, NRW-CDU-Chef und
Bundesparteivize Armin Laschet, ätzt ständig: „Unser Land wird weit unter
Wert regiert.“
## „Nie, nie Kanzlerkandidatin“
Traditionell galten die Ministerpräsidenten in Düsseldorf immer als
„Ersatzkanzler“. Kraft jedoch wollte „nie, nie Kanzlerkandidatin“ werde…
Sie verortet sich zwischen Bonn und Bielefeld, mit dem Bund streitet sie
vorwiegend ums Geld. Manchmal erfolgreich. Auf dem Flüchtlingsgipfel im
vergangenen Herbst bekam sie weitere Milliardenzusagen. Doch es reicht
nicht. Vor einem Monat tat sich der nordrhein-westfälische Finanzminister
Norbert Walter-Borjans ausgerechnet mit seinem bayerischen Kollegen Markus
Söder zusammen und forderte von Bundesfinanzminister Schäuble weitere
Milliarden für die Integration von Flüchtlingen. Bislang erfolglos.
Die Flüchtlingskrise scheint Kraft langsam über den Kopf zu wachsen. Das
Vertrauen in den Rechtsstaat schwindet in der Bevölkerung. Wie ein
Paris-Attentäter unter sieben Identitäten in einer Recklinghausener
Asylunterkunft leben konnte, musste Innenminister Ralf Jäger (SPD) mehrfach
im Landtag erklären. Jäger gilt als Krafts „Zugpferd“, der 55-Jährige
stammt wie sie aus einfachen Verhältnissen. Der gebürtige Duisburger ist
eloquent, medienversiert, dickfellig und verleiht dem eher blassen Kabinett
Farbe.
Doch seit dem Jahreswechsel ist Jäger angeschlagen, Zeugenaussagen im
Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht bringen
den obersten Chef der Landespolizei immer mehr in die Bredouille. Mit
Spannung erwartet die Opposition seine Aussagen im Ausschuss, wann er
geladen wird, steht noch nicht fest. Und auch nicht, ob die
Ministerpräsidentin aussagen muss.
Für Kraft scheint Jäger unersetzlich, die Opposition aber wird nicht müde,
seinen Rücktritt zu fordern. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnet den
Minister als „Klotz am Bein“ und „dauerhafte Flanke“ der
Ministerpräsidentin. Der Wahlkampf ist in vollem Gange.
3 Apr 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/channel/UCaYY9DlXBP3CTHhZzjPj5cw
## AUTOREN
Claudia Hennen
## TAGS
Hannelore Kraft
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