| # taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Stuttgart: Die viel zu lang verbotene Fr… | |
| > Zweimal schon hätte die CDU in Baden-Württemberg schon mit den Grünen | |
| > verhandeln können. Traumatisiert geht die Partei in die | |
| > Koalitionsgespräche. | |
| Bild: Winfried Kretschmann auf der Trauerfeier für seinen Vorgänger Lothar Sp… | |
| Stuttgart taz | Manches ist ja doch noch wie früher. Zum Beispiel der | |
| quälende Streit zwischen Fundis und Realos: geprägt von Eifersüchteleien, | |
| ideologischen Grabenkämpfen und alten persönlichen Verletzungen. Soll man | |
| sich an die Macht wagen oder lieber aus der Opposition heraus die reine | |
| Lehre vertreten? Mühsam abgemildert werden die Zankereien durch eine | |
| Doppelspitze, die sich alles andere als grün ist. | |
| Die Rede ist nicht von den Grünen. Es geht um die Union. | |
| Da drängeln sich Thomas Strobl und Guido Wolf vergangene Woche bei den | |
| Sondierungsgesprächen mit Kretschmanns Partei gleichzeitig durch die Tür | |
| zum Konferenzsaal, weil weder der Parteivorsitzende (Realo) noch der frisch | |
| gewählte Fraktionschef und Wahlverlierer (Fundi) dem jeweils anderen den | |
| Vortritt lassen will. Da reden die Verlierer der städtischen Wahlkreise von | |
| der neuen, konservativ geprägten „Landeier-Fraktion“, die jetzt im | |
| Stuttgarter Landtag Platz nehme und Modernisierung verhindere. | |
| Die anderen warnen vor massenhaften Austritten, falls die Union tatsächlich | |
| als Juniorpartner in eine Koalition mit den Grünen eintritt. Sie fordern | |
| vorher einen Mitgliederentscheid. Gleichzeitig empfehlen 20 | |
| CDU-Oberbürgermeister in einem offenen Brief geradezu leidenschaftlich eine | |
| solche Koalition. Ein Hühnerhof ist eine geschlossene Formation gegen das | |
| Bild, das die CDU in Baden-Württemberg in den Tagen nach der Wahl bietet. | |
| ## Am Grab von Lothar Späth | |
| „Eigentlich ist die Südwest-CDU eine gespaltene Partei. Und das nicht erst | |
| seit gestern“, sagt einer, der sich gut auskennt mit Flügelkämpfen. Oswald | |
| Metzger war lange Hyperrealo bei den Grünen, 2008 trat er dann genervt und | |
| gekränkt zur CDU über. Ganz unerwartet fand er sich erneut in einer | |
| zerstrittenen Partei wieder; die Wunden, die der Mitgliederentscheid für | |
| die Nachfolge von Erwin Teufel gerissen hatte, waren noch frisch. Seitdem | |
| ist die Partei in zwei Lager geteilt, die Teufel-Traditionalisten und die | |
| Oettinger-Reformer. | |
| Würde Regisseur Francis Ford Coppola diesen Stoff verfilmen, dann wäre die | |
| Beerdigung in der Stuttgarter Stiftskirche eine gute Einstiegsszene. Am | |
| Mittwoch wurde Lothar Späth bei grauem Regenwetter und zu Klängen der | |
| Stargeigerin Anne-Sophie Mutter zu Grabe getragen. „Das Cleverle“, wie sie | |
| ihn hier respektvoll nannten, hat Baden-Württemberg mit viel Steuergeld und | |
| großem Geschick politisch, wirtschaftlich und kulturell geprägt wie kein | |
| anderer. Späth war sicher eine Ausnahmefigur. | |
| Für seine Partei muss der Tote so kurz nach diesem historischen Wahldebakel | |
| aber geradezu wie ein Gigant aus einer anderen Zeit erscheinen. Er war der | |
| letzte CDU-Ministerpräsident, der mit einer absoluten Mehrheit regierte. | |
| Ihm ist es gelungen, Reformer und Konservative bei Laune zu halten. Was | |
| sicher beides miteinander zu tun hat. | |
| ## Schwache Nachfolger | |
| Ganz vorne in den Kirchenbänken sitzen die drei Nachfolger Späths. Erwin | |
| Teufel, weder Visionär noch Erneuerer, aber dafür der letzte echte | |
| Landesvater, den die CDU zu bieten hatte. Gleich daneben Stephan Mappus, | |
| ebenfalls ein Konservativer. In 15 Monaten als Ministerpräsident machte er | |
| fast vollständig zunichte, was die CDU sich die Jahrzehnte zuvor an | |
| Regierungsbonus aufgebaut hatte, es blieben Milliardenschulden durch den | |
| Kauf der EnBW, damit verbunden diverse Prozesse und | |
| Untersuchungsausschüsse. | |
| Auf der anderen Seite des Mittelgangs, in maximaler Entfernung zu den | |
| beiden, sitzt der Vertreter des liberalen Parteiflügels, Günther Oettinger, | |
| heute EU-Kommissar. Er wollte als Ministerpräsident in Späths Fußstapfen | |
| treten und die Partei modernisieren. Deshalb hätte Oettinger gern schon | |
| 2006 mit den Grünen koaliert. Politisch hat er nur wenige Spuren | |
| hinterlassen. | |
| ## Orgie an Konjunktiven | |
| Der vierte Nachfolger, der Grüne Winfried Kretschmann, nennt Späth in | |
| seiner Trauerrede dann tatsächlich einen „Lehrmeister der Grünen“. In den | |
| Ohren der versammelten Unions-Elite muss das wie Hohn klingen. Aber so | |
| meint das Kretschmann wohl nicht. Die CDU kann sich über schlechten Stil | |
| wahrlich nicht beklagen. Kein Triumphgeheul war nach dem Wahlerfolg von den | |
| Grünen zu hören. Sie zeigten stattdessen erstaunlich viel Geduld mit dem | |
| potenziellen Koalitionspartner. Drei weitgehend inhaltsfreie | |
| Sondierungsgespräche ließen sie über sich ergehen, so als hätten sich die | |
| Akteure nicht jahrelang im Landtag gegenübergesessen. | |
| Die Statements nach diesen Treffen waren aus Angst vor der CDU-Basis jedes | |
| Mal eine Orgie an Konjunktiven: Falls man koalieren würde oder müsste, wäre | |
| das aber keine Fortsetzung von Grün-Rot, sagte Thomas Strobl und dass man – | |
| wenn man dann tatsächlich einer Koalition näherträte – gewiss keine | |
| Liebesheirat einginge. | |
| Die Grünen wissen, dass sie es mit einem traumatisierten | |
| Verhandlungspartner zu tun haben, der nur schwer berechenbar ist. Belastet | |
| mit einem ehemaligen Spitzenkandidaten, der gar nicht daran denkt, die | |
| Verantwortung für die historische Wahlniederlage zu übernehmen, sondern | |
| zeitweilig sogar glaubte, er könne entgegen dem Wählerwillen eine Koalition | |
| der Verlierer bilden. Und getrieben von einer Basis, die tief verunsichert | |
| ist. So mancher sieht in Neuwahlen oder gar einem Flirt mit der AfD | |
| angenehmere Alternativen, als Juniorpartner der Grünen zu werden. Mit solch | |
| einer labilen Partei kann man nur schwer tragfähige Bündnisse schließen. | |
| Die weitere bittere Wahrheit für die CDU ist: Die drei | |
| Altministerpräsidenten in der ersten Reihe der Trauergemeinde sind bis | |
| heute die markantesten Köpfe ihrer Partei. Es fehlt an überzeugendem | |
| Personal, das ein grün-schwarzes Bündnis mit Leben füllen könnte. Liberale | |
| wie Andreas Renner, der als Sozialminister unter Oettinger schon mal einen | |
| kessen Spruch gegenüber den mächtigen Kirchen riskierte, haben sich längst | |
| in die Wirtschaft verabschiedet. | |
| Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. Nur so ist | |
| zum Beispiel zu erklären, warum Guido Wolf noch immer eine Rolle spielt. | |
| ## Schwarz-Grün ist keine Revolution mehr | |
| Eine Erneuerung ist noch am ehesten Thomas Strobl zuzutrauen, der die | |
| Landespartei als Vorsitzender von Berlin aus lenkt. Strobl diente sowohl | |
| dem Modernisierer Oettinger wie auch dem Traditionalisten Mappus. Sogar die | |
| Niederlage gegen Guido Wolf beim Mitgliederentscheid über die | |
| Spitzenkandidatur hat er tapfer weggelächelt und dann im Wahlkampf | |
| Geschlossenheit mit seinem Kontrahenten gezeigt, dem er sich sichtlich | |
| überlegen fühlt, zumindest simuliert. Doch Strobl laviert, bisher will er | |
| sich nicht festlegen, ob er aus Berlin nach Stuttgart zurückkehrt. | |
| Und so ist von dieser Koalition – mal ganz ohne Konjunktiv – leider wenig | |
| zu erwarten. 1992, als Teufel und Kretschmann das erste Mal flirteten, wäre | |
| Schwarz-Grün eine kleine Revolution für beide Parteien und das Land | |
| gewesen. 2006, als der Fraktionschef Mappus die schwarz-grünen Pläne von | |
| Oettinger durchkreuzte, hätte sie zumindest die Union erneuert und manche | |
| Weichen in Naturschutz und Energiewende ein paar Jahre früher stellen | |
| können. Jetzt ist sie allenfalls ein Pflichtbündnis, in | |
| Hintergrundgesprächen wird bereits der Hang zu Formelkompromissen deutlich. | |
| Liegt die CDU mit ihren 27 Prozent also unwiederbringlich am Boden? Ist die | |
| schwarze Vormacht gebrochen? Man sollte sich da nicht täuschen. | |
| Programmatisch hat die Union kaum etwas zu bieten, wie der Wahlkampf | |
| gezeigt hat. Aber die CDU hat etwas viel Effizienteres: eine nach wie vor | |
| mächtige Basis. In den Rathäusern und Landratsämtern, in den Ministerien, | |
| den einflussreichen Industrie- und Handelskammern, beim Blasmusikverband | |
| und bei den Landfrauen wird man noch lange Zeit nur dann etwas werden, wenn | |
| man ein schwarzes Parteibuch hat. | |
| Oswald Metzger, der grüne Schwarze, jedenfalls gibt Stadt und Land für die | |
| Union noch nicht verloren. Es gebe in Baden-Württemberg eine riesige | |
| Bandbreite von Konservativen. Viele haben diesmal Kretschmann gewählt. | |
| Trete der nicht mehr an, werden sie wieder die Union wählen, hofft Metzger. | |
| Als Regierungspartei stünden die Chancen dafür gut, glaubt er. Stimmt. Das | |
| Spiel des Machterhalts lag der Südwest-CDU schon immer mehr als echte | |
| Programmarbeit. | |
| 3 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Stieber | |
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