# taz.de -- Energiewende bei EnBW: Der Transformator | |
> Früher hieß es: Wenn EnBW weg ist, ist alles gut. Heute gilt: Wenn EnBW | |
> es schafft, können es alle schaffen. Ein Tag mit Konzernchef Frank | |
> Mastiaux. | |
Bild: Alte und neue Welt existieren gleichzeitig: Braunkohlekraftwerk und Photo… | |
Karlsruhe taz | Mit dem Ende der Atomkraft brach für die Mitarbeiter der | |
Energie Baden-Württemberg die Welt zusammen, wie sie sie kannten. Dann kam | |
auch noch ein neuer Chef nach Karlsruhe und machte das sichtbar. Er riss | |
die Wände ihrer kleinen Büros ab. Hinter den neuen Glasscheiben herrschte | |
Ratlosigkeit und Angst. War der Anfang einer Welt ohne Atomkraft für sie | |
nicht die Grundlage der Zukunft, sondern das Ende? | |
Die Energie Baden-Württemberg, kurz EnBW, ist Deutschlands drittgrößter | |
Energiekonzern. Früher war man Strommonopolist. Viele Firmenbeteiligungen, | |
aber über 80 Prozent des EnBW-Gewinns kamen aus dem Bereich Strom, auch aus | |
Kohle und dem Geschäft mit Stromnetzen. Die vier Atomkraftwerke waren es, | |
durch die das Geld schubkarrenweise reinkam. | |
In den guten alten Zeiten machte EnBW Millionen Euro Gewinn. Am Tag. 2010, | |
nach der kurzfristigen Rücknahme des Atomausstiegs durch die schwarz-gelbe | |
Koalition, betrug der operative Jahresgewinn 3,3 Milliarden Euro. Das Leben | |
war schön und einfach. | |
Vorbei. Jetzt laufen nur noch zwei Atomkraftwerke. Philippsburg 1 darf noch | |
bis 2019, das bei Atomgegnern als hochgefährlich geltende Neckarwestheim 1 | |
bis 2022. Kohle bringt auch keine Kohle mehr. Mitte Juni hat EnBW | |
angekündigt, das defizitäre Großkundengeschäft aufzugeben. Dieser Markt | |
wird durch kleine und flinke Mitbewerber immer schwieriger. Hunderte | |
Arbeitsplätze wurden gestrichen. Betriebsräte fühlten sich nicht | |
eingebunden. | |
## Strategieprogramme bringen doch nichts | |
In den letzten zwei Jahren waren bereits etwa 1.800 Stellen verloren | |
gegangen. Und das ist nicht das Ende angesichts der sinkenden | |
Atomstromeinnahmen und der niedrigen Strompreise. Problematische neue | |
Geschäftsanbahnungen, etwa in Russland, endeten in der Vergangenheit in | |
einem Desaster. Die Frage, die sich jetzt sowohl Mitarbeiter als auch | |
Politik stellen, lautet: Schafft es der Vorstandsvorsitzende Frank | |
Mastiaux noch, das Unternehmen in die postatomare Zeit zu bringen? | |
An einem grauen Mittwoch eilt Mastiaux durch die Flure des | |
Unternehmenssitzes in Karlsruhe-Durlach. Casual. Kleinkariertes Hemd. Mit | |
Manschettenknöpfen. Bevor Mastiaux da war, sah es hier aus wie in einer | |
Behörde in den 1970er Jahren. Jetzt sieht es in manchen Ecken wie auf einer | |
Baustelle aus, aber beim schnellen Vorbeigehen kann Mastiaux durch die | |
neuen Glaswände alle grüßen – und das tut er auch. | |
Büroräume radikal verändern kann jeder Chef. Anders ist es mit den | |
Mitarbeitern. „You either change people“, sagt Mastiaux, „or you change | |
people.“ Das ist einer seiner Lieblingssprüche. Strategieprogramme allein | |
bringen nichts. Nur wenn die Leute sie auch verstehen, lässt sich was | |
ändern. Mastiaux ist in die Köpfe von 60 Mitarbeitern in Führungsjobs | |
reingekrochen, um eine neue Kultur zu implantieren. Der Leitsatz geht etwa | |
so: Verteidige nicht, wer wir waren. Entwickle mit, wer wir sein können. | |
Das soll noch in 20.000 weitere Köpfe rein. „Das geht nicht mehr weg“, sagt | |
er seinen Leuten. Jeden Tag. Nichts ist mehr wie in der guten alten Zeit. | |
Damals war die Welt noch geordnet. EnBW war ein Atom- und Kohlekonzern und | |
der Hauptfeind der Umweltbewegung. Die CDU war baden-württembergische | |
Staatspartei. Und der Energiewende-Experte Franz Untersteller kritisierte | |
im Landtag ein ums andere Mal, was da aus grüner Sicht schieflief. Im | |
Grunde alles. Als Kurzzeit-Ministerpräsident Stefan Mappus Ende 2010 im | |
Alleingang und für 4,7 Milliarden Euro den Atomkonzern zurückkaufte – der | |
Vorvorgänger Erwin Teufel hatte ihn nach Frankreich verkauft –, hüpfte | |
Untersteller im Viereck. Interessierte aber keinen. | |
Dann kam im März 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima. Der Atomhardliner | |
Mappus bekam am Mobiltelefon von CDU-Kanzlerin Angela Merkel den Ausstieg | |
mitgeteilt. Ein paar Tage später jagten ihn die Bürger aus dem Amt. Seither | |
regiert Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident das Land, das die | |
börsennotierte EnBW besitzt. Jedenfalls zur Hälfte. Die andere Hälfte | |
gehört dem oberschwäbischen Landkreisverbund OEW, politisch eindeutig CDU. | |
## „Nehmt Abschied von den Feindbildern!“ | |
Untersteller ist jetzt Umweltminister, aber die Grünen haben nicht mehr nur | |
Verantwortung für die Bürgerenergiewende, sondern auch für die Rettung von | |
Landesbesitz, Geld und 20.000 Arbeitsplätzen. Wenn er zu den | |
Veranstaltungen der Guten geht, sagt Untersteller regelmäßig: „Leute, nehmt | |
Abschied von euren Feindbildern.“ Dann geht genauso regelmäßig ein Murren | |
durch den Saal. | |
Der grüne Umweltminister muss beweisen, dass die Energiewende tatsächlich | |
geht. Mit Bürgern, Kommunen und einer EnBW, die ab 2022 ganz ohne Atom | |
brummt. Aber weder Kretschmann noch er dürfen sich beim Konzern einmischen. | |
Offiziell. Also musste Untersteller den richtigen Manager finden, ohne dass | |
er ihn suchen durfte. Und seither hoffen, dass der den strapazierten | |
Begriff „neues Geschäftsmodell“ mit Inhalten füllt. | |
Mastiaux hatte zuvor bei Eon die Erneuerbaren verantwortet, neue Märkte | |
gesucht und in der Windenergie auch gefunden. Er ist Jahrgang 1964 und | |
stammt aus Essen. Seitenscheitel, kantiges Gesicht, sein Sound ist geprägt | |
von seiner Herkunft. Mastiauxs Bruder hat das Bauingenieurbüro Mastiaux vom | |
Vater übernommen. Der wiederum hatte es von seinem Vater. Zwei Mitarbeiter. | |
Der Bruder wusste, worauf er sich einlässt. „Der war total glücklich.“ Ihn | |
hätte das bekloppt gemacht. | |
Jedes Gespräch, das Mastiaux an diesem Tag führt, versucht er in der ersten | |
Minute über das Floskelhafte hinaus zu öffnen. Er lässt den Managerschmu | |
fast ganz weg. Englische Einsprengsel ja, aber das machen nicht nur | |
Spitzenmanager. | |
„Lass uns noch mal drauf kucken“, sagt er, in das grundsätzliche Siezen | |
hinein, als ihm ein Mitarbeiter am Besprechungstisch seines Büros mit ein | |
paar Bilanzblättern die aktuelle Entwicklung der | |
Windenergie-Geschäftsanbahnungen skizziert. | |
Ein Mittelständler zögere. | |
„Wenn die eitel sind, dann geh ich auch mit ihnen essen“, sagt Mastiaux. | |
„So be it.“ | |
Mastiaux brachte keine Buddies mit, als er anfing. Erst mal. „Es war ein | |
sehr bewusster Schritt, dass ich allein kam.“ Ich schau mir das an, sagte | |
er anfangs allen. | |
Nach einem Jahr schaute er nicht mehr nur. Von den damaligen | |
Führungskräften haben zwei Drittel jetzt einen anderen Job. Insgesamt hat | |
er 25 Prozent weniger Führungskräfte. Bei den 60, die er auswählte, weiß er | |
ziemlich sicher, dass er in ihrem Kopf drin ist. Bei den 20.000 weiß er es | |
nicht. Aber er will, dass sie ihn sehen. Und er will, dass sie sehen, dass | |
er sie sieht. | |
## Liberalisierung des Strommarkts 1998 | |
Als Folge der Liberalisierung 1998 konnten die vier Atom- und Kohlekonzerne | |
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall den deutschen Energiemarkt unter sich | |
aufteilen. RWE hatte den Westen, Vattenfall den Osten, Marktführer Eon | |
einen riesigen Mittelstreifen von Flensburg bis zur österreichischen | |
Grenze. Und EnBW hatte Baden-Württemberg. Der Ausstieg aus der Atomkraft | |
bis 2022, das zusammengebrochene Kohlegeschäft, der Ausbau der Erneuerbaren | |
Energien, vor allem durch Bürgerengagement, hat das Oligopol gebrochen, den | |
Markt verändert, den Wert der Unternehmen reduziert und die alten | |
Geschäftsmodelle erledigt. Genau, wie es Energiebürger immer wollten. | |
Hermann Scheer ist zweifellos der Marx des Erneuerbaren Zeitalters, und wer | |
seinen Scheer gelesen hat, der hat verinnerlicht, dass es in diesem | |
Systemkonflikt Entweder-oder heißt. | |
Entweder alte Welt oder neue Welt. Entweder die oder wir. Den Wechsel zu | |
Erneuerbaren hat der Weltpolitiker Scheer als „umfassendsten | |
wirtschaftlichen Strukturwandel seit dem Beginn des Industriezeitalters“ | |
definiert. Die globalen Verlierer sind die Verkäufer fossiler Energien. Und | |
deshalb werden sie bis zum letzten Bluts- oder Öltropfen kämpfen. Stimmt | |
das immer noch für die vier großen Konzerne – und stimmt das für die EnBW? | |
Leider Gottes kann Scheer es einem nicht mehr sagen. Er ist 2010 gestorben. | |
## Wie kriegt man sie kleiner, ohne sie kleinzukriegen? | |
Aber Jürgen Trittin kann man fragen, grüner Bundesumweltminister des | |
ursprünglichen Atomausstiegs im Jahr 2000. Als Minister galt Trittin als | |
der personifizierte „Atomschreck“ (Deutschlandfunk). Derzeit ist er Chef | |
der Kommission zur Finanzierung des Atomausstiegs. | |
Trittin hat vorgeschlagen, dass die Konzernrückstellungen für End- und | |
Zwischenlagerung an den Staat übertragen werden. Für den Rückbau und die | |
Behälter für Atommüll bleiben die Unternehmen verantwortlich. Bis alles | |
rückgebaut ist, wird es noch gut 25 Jahre dauern. Trittin muss also an | |
einer gemeinsamen Zukunft mit den Konzernen liegen, denn wenn die vor 2040 | |
kaputtgehen, müssen die Bürger das auch noch bezahlen. „Bis zum Ende des | |
Rückbaus hat die Gesellschaft ein Interesse daran, dass die Unternehmen in | |
der Lage sind, diese Verpflichtungen auch zu tragen“, sagt er. | |
Er sagt auch, dass EnBW zwar mit einem Jahrzehnt Verzögerung, aber halt | |
doch „früher und entschlossener als andere Unternehmen umgesteuert“ habe. | |
Das sei „ein Verdienst von Frank Mastiaux“. Er sehe EnBW „auf einem guten | |
Weg, zu einem gestaltenden Unternehmen der Energiewende zu werden“. Auch | |
manch langjähriger Kämpfer gegen die Energiekonzerne glaubt, dass EnBW | |
wirklich aufgebrochen ist. Anders als RWE, für das Kohle zur DNA gehört. | |
Das alles hat überhaupt nichts mehr mit den politischen Lagern der | |
Vergangenheit zu tun. Kein Politiker in der Regierungsverantwortung wird | |
darauf hinarbeiten, einen der Konzerne abzuwickeln. | |
Das gilt speziell für Nordrhein-Westfalen. Es hängen zu viele Arbeitsplätze | |
und Kommunen mit dran. Verlieren die Kommunen ihr Geld, geht die städtische | |
Sparkasse hopps. Geht die hopps, gibt es bei Hunderten Vereinen kein | |
Kinderfest mehr. Und so weiter. Allerdings kann auch kein Politiker einen | |
Energiekonzern hindern, wenn der sich partout selbst ruinieren will und die | |
neue Welt so lange ignoriert, bis es zu spät ist. Die grundsätzliche Frage | |
im Politikbetrieb ist, ob man sie kleiner kriegt, ohne sie kleinzukriegen. | |
## Wer tanzt alleine Tango? | |
Die neue EnBW soll so aussehen: Am liebsten Offshore-Wind, das ist groß, | |
das kann man. Aber vor allem viel onshore. Vertrieb, Dienstleistungen, | |
kleinteilige Sachen, bleibt ja nichts anderes übrig. Bis 2020 sollen die | |
Bereiche Erneuerbare Energien, Netze und Kundengeschäft 85 Prozent des | |
Gewinns ausmachen. | |
Letztes Jahr wollte EnBW den insolventen Windenergiebetreiber Prokon | |
kaufen. Die Gläubiger aber wollten das Unternehmen behalten und | |
verzichteten auf die Barauszahlung, die Mastiaux anbot. Sie gründeten | |
lieber eine Energiegenossenschaft und entschieden sich, aus Mastiauxs | |
Sicht, für das schlechtere Angebot. „Die mögen uns nicht.“ Beim Versuch | |
Prokon zu übernehmen, lief die Kommunikation über die FAZ und das | |
Handelsblatt, also auf die alte Art. Aber diese Zeitungen lesen die | |
Genossen nicht. „Wenn ihr eure Kritiker erreichen wollt, dann müsst ihr | |
auch mit der taz reden“, sagte ein regierender Grüner zu Mastiaux. | |
So be it. | |
Es ist ein weiter Weg, schließlich sind viele mit völlig berechtigter | |
Skepsis gegenüber Atomkonzernen großgeworden. Je näher man der | |
Anti-Atom-Bewegung kommt, desto negativer werden die Gefühle. Denn der | |
Fortbestand der EnBW konkurriert mit der politischen Vision einer | |
energieautonomen Bürgergesellschaft. Während die vier großen Konzerne | |
blockierten, haben Bürger die Energiewende so vorangebracht, dass heute | |
32,6 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland erneuerbar produziert | |
werden. Und nun? Der Vorwurf lautet, dass die Kretschmann-Grünen nur so | |
tun, als würden sie Bürger und EnBW gleichberechtigt fördern. | |
„Ich sehe die EnBW nicht als Partner für eine Erneuerbare Zukunft, und ich | |
glaube auch, dass die Politik sich entscheiden muss, auf wen sie in der | |
Energiewende setzt“, sagt Ursula Sladek, Gründerin der | |
Ökostromgenossenschaft Elektrizitätswerke Schönau. Sladek ist die integere | |
Stimme der Energiebürgerbewegung. Sie sieht die neueste Änderung des | |
Erneuerbare Energien-Gesetzes als Angriff auf die dezentrale | |
Bürgerenergie-Bewegung. „Zentralistisch und dezentral – beides geht | |
nicht.“ Dabei bleibt sie. Es werde im Moment „politisch alles getan, damit | |
Bürger, Kommunen und Stadtwerke in Zukunft keine Rolle mehr spielen | |
können.“ Für regierende Politik besteht der Systemwechsel in der | |
Produktionsweise, für die Energiebürger auch in den Besitzverhältnissen, | |
das ist der fundamentale Unterschied. | |
„Manche Leute sehen uns am Rand der Gesellschaft“, sagt Frank Mastiaux in | |
seinem Karlsruher Büro. „Ich möchte in der Mitte ankommen.“ Lass uns erst | |
mal reden, sagt er. Manche wollen nicht mal das. Schlecht, denn das sagt er | |
auch gern: „It takes two to tango.“ | |
Mastiaux will zeigen, dass EnBW ein verlässlicher Partner der Energiewende | |
und der neuen Welt ist. Aber die neue Welt und die alte Welt sind | |
gleichzeitig. Manchmal ist er in der neuen und die anderen sind noch in der | |
alten Welt. Manchmal hält er die alte Welt fest. Dann klagt EnBW gegen | |
seinen Besitzer Baden-Württemberg auf Schadenersatz wegen stillgelegter | |
Atomkraftwerke. Dann müssen die Stadtwerke Stuttgart gerichtlich Leitungen | |
von EnBW einklagen, die ihr zustehen. Und sich fragen, ob das jetzt die | |
„partnerschaftliche Zusammenarbeit“ ist, die EnBW verspricht. Alles zum | |
Wohl der Aktionäre und des Überlebens. | |
## Drei, vier Signale – dann ist klar, wie geredet wird | |
Nach ein paar Stunden mit Frank Mastiaux ist ziemlich offensichtlich, dass | |
es ihm nicht nur um die Energiewende, sondern auch um die Mentalitätswende | |
in seinem Unternehmen geht. Die Ironie der Atomkonzerne besteht darin, dass | |
die dort beschäftigten Menschen sich sicher fühlten. Sie gingen – so sieht | |
das Mastiaux, wenn man ihn richtig versteht – in ihre kleinen Büros, und | |
dann war keine Frage offen. Der Tagesbefehl des Kraftwerkmitarbeiters | |
lautete stets: „Sicherheit bewahren.“ Dafür gab es klare Anweisungen. | |
Liefen die Kraftwerke, kam das Geld automatisch. Nun läuft nichts mehr | |
automatisch. Nun muss etwas entstehen. | |
Am Nachmittag lässt Mastiaux sich von seinem Fahrer zum Innovationscampus | |
am Karlsruher Rheinhafen bringen. Da geht er besonders gern hin. Auch wenn | |
er das nicht zugeben darf. Neben dem Campus ist ein neues | |
Steinkohlekraftwerk, gerade erst in Betrieb genommen. Von dort schauen sie | |
misstrauisch rüber, weil der Innovationscampus, ein unternehmenseigenes | |
Start-up, ihnen zu erzählen scheint, dass sie die Vergangenheit sind. | |
Drinnen im Campus pitchen ihm die fidelen Kreativen von Innovationschef Uli | |
Huener ihre neuesten Ideen. Tendenziell werkeln sie hier an kleineren, | |
regionalen Dienstleistungen. Eine Digitalplattform für lokale | |
Stromanbieter. WLAN aus der EnBW-Laterne, die Vorzeige-Innovation. | |
Vielleicht ist ja auch das große Ding dabei. | |
Huener war vorher Chef des EnBW-Ablegers Yello, der Atomstrom gelb anmalte | |
und damit verkaufte. Davor hatte er in Kalifornien IT gelernt, entsprechend | |
locker kommt er rüber. | |
Auf der Powerpointpräsentation leuchtet der Satz: Kann man damit Geld | |
verdienen? | |
„Die Lieblingsfrage unseres Chefs“, sagt Huener. | |
„Surprise!“, ruft Mastiaux. | |
Frank Mastiaux redet fast immer frei. Außer bei der Hauptversammlung. Da | |
zählt jedes Wort. Sonst zählt der Eindruck. Wie er spricht, hängt von | |
seinem Gegenüber ab. Zum Mittagessen hat er sechs sehr junge Mitarbeiter | |
eingeladen, sogenannte Trainees. | |
In den ersten Minuten definiert er durch drei, vier atmosphärische Signale, | |
wie geredet werden soll. Er spricht über die Digitalisierung und ihre | |
Auswirkungen. Dann ist er auch schon bei seinem Lieblingsthema: Neue | |
Arbeitskultur. | |
„Sagen Sie mir offen, wann Sie gedacht haben: ‚Mensch, ist das hier bei | |
EnBW gruselig‘ “, sagt er. | |
## Antiatomkraft ist eine Bewegung, keine Lösung | |
Direkt gegenüber sitzt eine blonde Frau, Mitte zwanzig, Typ | |
Klassensprecherin aus strategischen Gründen. Sie seufzt erschrocken auf. | |
Aber die Generation Y ist ja pragmatisch oder offen genug, um schnell | |
umzuswitchen und den verlangten Gesprächsmodus zu liefern. Die Trainees | |
erzählen. | |
Der Grundsatz ist wie in fast allen Betrieben: Für Fehler ist man nie | |
verantwortlich. In den beiden Atomkraftwerken und auch im | |
Steinkohlekraftwerk Heilbronn fühlen sich viele abgehängt von „denen da | |
oben“. In der alten Welt fragen sie: „Warum sollen wir uns noch verändern, | |
wenn es uns bald eh nicht mehr gibt?“ | |
Irgendwann reicht es Mastiaux mit der Analyse, und er sagt: „Bleiben Sie | |
nie beim Feststellen des Fehlers stecken.“ Sie müssen sagen können, wie es | |
besser geht. Am Ende fragt er die Trainees, ob sie bei EnBW bleiben wollen. | |
Die meisten brummen: Ja. Die Blondine lächelt und sagt jetzt schon ganz | |
kokett: Er bleibe doch auch? | |
„Darüber wird man reden, wenn der Zeitpunkt gekommen ist“, lautet die | |
plötzlich sehr formale Antwort. | |
Für Mastiaux – das ist jetzt eine Unterstellung – ist es nicht | |
entscheidend, ob er Wind oder Atom verkauft. Auf politische Themen, auf | |
grundsätzliche ethische Fragen zur Zukunft der Menschheit geht er überhaupt | |
nicht ein. Er ist Manager. Die Energiewende ist keine moralische Wende. Wer | |
das verwechselt, hat schon verloren. Es ist eine politische Wende, die für | |
ihn eine Diversifizierung des Geschäftsfelds bedeutet. Soft Skills, also | |
soziale Kompetenz, sind sein Werkzeug des Umsteuerns. | |
Und vielleicht ist das ja die Moral von der Geschichte: Vergesst die Moral. | |
Es geht, wenn der politische Rahmen stimmt. Wenn die zuständige Regierung | |
die neue Welt wirklich will. Wenn sie die Energiebürger eben nicht | |
abkoppelt, sondern mit der Kraft derjenigen Bürger verschränkt, die in den | |
Unternehmen einfach einen guten Job machen wollen, jetzt halt mit | |
Erneuerbaren. | |
Antiatomkraft war eine wichtige politische Bewegung. Aber sie ist keine | |
Lösung. Und Entweder-oder ist eine Parole und eine Illusion in der | |
kompliziert-verbundenen Welt. | |
Früher war ein verbreiteter Gedanke unter Klimaschützern: Wenn EnBW weg | |
ist, dann ist alles gut. Heute könnte man fast denken: Wenn EnBW es | |
schafft, dann können wir es alle schaffen. | |
Aber, wie Frank Mastiaux zu sagen pflegt: „It takes two to tango.“ | |
12 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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