# taz.de -- Erneuerbare in Baden-Württemberg: Frischer Wind und alte Kohle | |
> Vor allem bei der Windkraft macht sich seit 2015 die neue Landespolitik | |
> bemerkbar. Und doch geht die Energiewende nur langsam voran. | |
Bild: Faktisch sind die Zahlen der erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg … | |
Freiburg taz | Ein Stück der baden-württembergischen Energiewende kann man | |
im schwäbischen Lauterstein erleben. Bürgermeister Michael Lenz sitzt im | |
Besprechungszimmer seines Rathauses und erzählt, wie Lauterstein es | |
schaffte, den größten Windpark des Landes auf den Weg zu bringen, ohne dass | |
es „erkennbaren Bürgerprotest“ gab, wie er es formuliert. Dann spricht er | |
vom Zuhören, vom Suchen nach Kompromissen und davon, die richtigen Partner | |
mit ins Boot zu nehmen. Einstimmig befürwortete der Gemeinderat das Projekt | |
anschließend, die Bürgerversammlung zu dem Windpark sei in gelassener | |
Atmosphäre verlaufen. | |
Wie die Zeiten sich ändern. Denn das Projekt Lauterstein ist 20 Jahre alt. | |
Bereits 1996 nahm ein schwäbischer Projektierer sich den Standort vor, | |
wollte erst 5, dann nur noch 4 Anlagen bauen, doch er scheiterte. Der | |
damalige Bürgermeister war erklärter Gegner und sagte, die Anlagen würden | |
die Quellen am Ort vergiften. Auch der Gemeinderat lehnte den Bau | |
mehrheitlich ab. Und weil auch auf Landesebene Ministerpräsident Erwin | |
Teufel die Windkraft nach Kräften torpedierte, scheiterte das Projekt | |
schließlich an Behörden und Gerichten. | |
Heute sind die Fundamente in Bau, in diesem Jahr sollen die Anlagen ans | |
Netz gehen – inzwischen hat man auf 16 Rotoren aufgestockt. Warum die | |
Situation in Lauterstein heute eine ganz andere ist, kann am besten Konrad | |
Rühle erklären. Er ist der Einzige, der vor 20 Jahren schon im Gemeinderat | |
war und es heute auch noch ist. Damals war er gegen das Projekt, heute ist | |
er dafür. „Das waren halt andere Zeiten damals“, sagt der | |
Berufsschullehrer. Seither habe sich die Debatte in der Region | |
versachlicht. „Damals waren Windkraftanlagen neu, heute kennt man sie, das | |
hat Vorbehalte abgebaut.“ | |
Auch faktisch hat sich am Projekt viel geändert. Der Standort ist – dank | |
höherer Türme – in den Wald gerückt, die Anlagen verschwinden damit aus | |
Sicht der Talgemeinde weitgehend hinter der Hangkante des Albtraufs. Die | |
Pachtpreise sind gestiegen, sodass die Stadt, der ein Teil der Flächen | |
gehört, mit höheren Einnahmen rechnen kann. Und eine der Anlagen wird eine | |
Bürgergenossenschaft übernehmen, auch das hat Akzeptanz geschaffen. | |
Zum Spatenstich im Herbst reiste Umweltminister Franz Untersteller nach | |
Lauterstein. Er kann solche Auftritte im Moment gut gebrauchen, denn lange | |
Zeit ging es kaum voran mit der Windkraft im Ländle. Damit drohte der | |
Regierung ein Satz auf die Füße zu fallen, den sie im Jahr 2011 vollmundig | |
in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hatte: „Wir wollen bis 2020 | |
mindestens zehn Prozent unseres Stroms aus heimischer Windkraft decken.“ Zu | |
diesem Zeitpunkt lag der Anteil unter einem Prozent. | |
Aber die ersten Jahre brachten so gut wie keinen Zubau, weil Änderungen im | |
Planungsrecht zäh sind. Zumal dann, wenn in den untergeordneten | |
Verwaltungen häufig noch die gleichen Leute sitzen, die jahrelang | |
blockierten. Erstmals im Jahr 2015 machte sich dann der neue politische | |
Wind bemerkbar: 50 Windkraftanlagen gingen in Betrieb, zusammen 146 | |
Megawatt stark; für das Land ein Rekordwert. | |
## Ernüchternde Zahlen | |
Und doch steigert selbst dieser Zubau den Anteil der Windkraft am | |
landesweiten Strommix nur bescheiden – um 0,4 Prozentpunkte. Aktuell liegen | |
bereits 82 weitere Baugenehmigungen vor, aber auch damit wird | |
Baden-Württemberg im Jahr 2016 bestenfalls einen Windstromanteil von 2 | |
Prozent erreichen. Man muss also kein Prophet sein, um zu ahnen, dass das | |
Ziel von 10 Prozent im Jahr 2020 grandios verfehlt werden dürfte. Aber den | |
Grünen ist im Moment vor allem das Signal wichtig: Die Windkraftpolitik hat | |
sich geändert in den letzten fünf Jahren. | |
Faktisch sind die Zahlen der erneuerbaren Energien insgesamt in | |
Baden-Württemberg hingegen ernüchternd; im bundesweiten Vergleich ist das | |
Land in den vergangenen fünf Jahren weiter zurückgefallen. Während in | |
Deutschland der Anteil der Erneuerbaren am Strommix um 10 Prozentpunkte | |
zulegte, schaffte Baden-Württemberg gerade die Hälfte. Nur jede fünfte | |
Kilowattstunde, die im Land verbraucht wird, stammt aktuell aus | |
regenerativen Quellen, bundesweit ist es schon jede dritte. | |
Und das trotz einer beeindruckenden Landeshistorie: Anfang der neunziger | |
Jahre, als erneuerbare Energien in Deutschland noch rar waren, lag der | |
Südwesten deutlich über dem Durchschnitt: 4 Prozent Erneuerbare gab es | |
bundesweit, 8 Prozent waren es in Baden-Württemberg. Die Zahlen ergaben | |
sich fast ausschließlich aus der historischen Wasserkraft. Aber | |
anschließend gelang es dem Land nicht, mit neuen Erneuerbaren an die | |
ruhmvolle Technikgeschichte anzuknüpfen. | |
Die Photovoltaik erlebte zwar parallel zur bundesweiten Entwicklung einige | |
Jahre lang einen Boom und überholte 2014 erstmals die Wasserkraft. Doch | |
inzwischen sind die Zubauraten dürftig, obwohl so viele südwestdeutsche | |
Dächer bestens geeignet sind. Daran ist die Landesregierung indirekt mit | |
schuld: Nennenswerter Widerstand gegen die von der Bundesregierung per | |
EEG-Novelle vollzogene Solarbremse kam aus Stuttgart nicht. Damit schaffte | |
es dann sogar die „Sonnensteuer“ auf selbst verbrauchten Solarstrom ins | |
Gesetz; eine Landesregierung mit SPD-Beteiligung wollte gegen eine | |
Bundesregierung mit SPD-Beteiligung eben nicht ernsthaft opponieren. | |
## Das Dümpel-Ländle | |
Und so dümpeln nun die Erneuerbaren. Auch das Biogas liegt – obwohl es die | |
Tüftler des Südwestens waren, die die Branche einst aufbauten – heute | |
deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Mit einer Jahresstromerzeugung von | |
2,2 Milliarden Kilowattstunden deckten die 850 Anlagen zuletzt lediglich | |
2,8 Prozent des Strombedarfs, während der bundesweite Vergleichswert bei 5 | |
Prozent liegt. Die Landesregierung hatte in den vergangenen Jahren wenig | |
übrig fürs Biogas. Zugleich hat sie allerdings ambitionierte Ziele für den | |
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) definiert – zumindest vordergründig. | |
Der Beitrag der KWK an der Stromerzeugung soll von 12 Prozent auf 20 | |
Prozent im Jahr 2020 gesteigert werden. | |
Doch die Pläne klingen besser, als sie in Wirklichkeit sind. Denn ein nicht | |
unerheblicher Teil des Zuwachses wird auf klimaschädlicher Kohle basieren. | |
Er resultiert aus Projekten, die schon vor Jahren gestartet wurden, vor | |
allem aus den neuen Kohleblöcken in Mannheim (GKM 9) und Karlsruhe (RDK 8). | |
Der Baubeschluss für RDK 8 zum Beispiel fiel bereits im Dezember 2006. | |
Damit hat Baden-Württemberg nun zwar ein Kraftwerk, das durch | |
Wärmeauskopplung die KWK-Quote im Land erhöht, das zugleich die Klimabilanz | |
des Südweststaates aber belastet. Kurz: Als Musterbeispiel gelungener | |
KWK-Politik taugt RDK 8 nicht. | |
Es ist also aus energiepolitischer Sicht eine gemischte Bilanz, mit der | |
sich Baden-Württemberg vor der Wahl präsentiert. | |
Folge einer früheren Regierung ist die bizarrste Episode der | |
baden-württembergischen Energiepolitik: Die EnBW, deren Großaktionär das | |
Land ist, verklagt dieses gerade auf Schadensersatz in dreistelliger | |
Millionenhöhe. | |
Die Geschichte begann im Dezember 2010, als der Ministerpräsident des | |
Landes, Stefan Mappus (CDU), noch glaubte, es sei eine gute Idee, einen | |
großen Batzen an EnBW-Anteilen von der französischen EdF zu übernehmen und | |
für jede Aktie 41,50 Euro zu bezahlen. 2013 bestätigte ein Gutachten, dass | |
Mappus 780 Millionen Euro zu viel bezahlt hatte, ein schlechtes Geschäft. | |
Das Atomkraft-Moratorium nach Fukushima betraf auch zwei Reaktoren der | |
EnBW. Für die entgangenen Einnahmen will das Unternehmen nun auf | |
gerichtlichem Wege Schadensersatz geltend machen – 261 Millionen Euro, die | |
der Bund und das Land bezahlen sollen. Geld, das dann von der rechten in | |
die linke Tasche des Landes ginge. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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