# taz.de -- Verzögerter Rückbau von AKW: „Unerwartete Kontaminationen“ | |
> Der Rückbau von Atomkraftwerken ist nicht so einfach, wie die Betreiber | |
> behauptet haben. Zeitpläne können nicht eingehalten werden. | |
Bild: Die große Rückbauwelle kommt erst: das AKW Neckarwestheim | |
Freiburg taz | Gerade erst hat der Rückbau der Atomkraftwerke in | |
Deutschland begonnen, und schon kommt die Branche ins Gerede. | |
Zeitpläne mussten über den Haufen geworfen werden, | |
Bürgerinitiativen machen mobil, weil sie grundsätzliche | |
Fehlentwicklungen sehen. | |
Die Atomwirtschaft hatte einst so getan, als sei der Rückbau akribisch | |
planbar. 2008 hoffte die Betreiberfirma Eon noch, der 2003 | |
stillgelegte Meiler Stade werde 2014 aus der atomrechtlichen | |
Überwachung entlassen. Ab dann können die verbleibenden | |
Gebäudeteile wie andere Fabrikhallen behandelt und beseitigt | |
werden. Heute nennt Eon keinen Termin mehr. | |
Der Hintergrund: Im Sockel des Reaktorgebäudes wurden | |
„unerwartete Kontaminationen“ festgestellt, so Eon auf | |
Anfrage. Dieser „befundbehaftete Betonbereich“ führe nun dazu, | |
dass „eine Neuaufplanung der Rückbauarbeiten“ erfolgen müsse. Das | |
wird teuer: Bei Stilllegung hatte Eon Rückbaukosten von 500 | |
Millionen Euro veranschlagt, heute spricht die Firma von „einer | |
Milliarde“. | |
Ähnlich ergeht es den Energiewerken Nord beim Rückbau der | |
DDR-Reaktoren in Lubmin und Rheinsberg. „Als wir 1995 begannen, | |
gingen wird davon aus, bis 2010 fertig zu sein“, sagt eine | |
Firmensprecherin. Inzwischen ist von 2025 bis 2028 die Rede. Die | |
Kostenschätzungen belaufen sich aktuell auf 6,6 Milliarden Euro. | |
Vor allem Rheinsberg hat Probleme: „Es gibt Kontaminationen im | |
Boden, wo keine sein dürften.“ In Obrigheim erklärt die | |
Betreiberfirma EnBW, man werde den Rückbau um 2025 herum beendet | |
haben, ursprünglich hatte es fünf Jahre früher so weit sein sollen. | |
## Bürgerinitiativen fordern mehr Beteiligung | |
Es ist noch einiges zu erwarten, denn die große Rückbauwelle kommt | |
erst. Keiner der neun Reaktoren, die seit Fukushima stillgelegt | |
wurden, hat bisher eine atomrechtliche Rückbaugenehmigung | |
erhalten. | |
„In Stilllegung“ sind derzeit nur die 16 schon länger | |
abgeschalteten Meiler. Aus dem Atomgesetz entlassen sind erst 3 | |
der 36 Anlagen, die in Deutschland gebaut wurden – die ganz frühen | |
Reaktoren Großwelzheim, Kahl und Niederaichbach. Zurückgebaut | |
werden müssen auch die Forschungsreaktoren; von 46 sind noch 7 in | |
Betrieb. | |
Bürgerinitiativen beklagen, dass die Öffentlichkeit lediglich | |
bei der ersten Stilllegungs- und Abbaugenehmigung gehört werden | |
muss – danach kommen noch bis zu vier Anträge. „Wir fordern eine | |
Beteiligung auch bei weiteren Abbaugenehmigungen“, sagt Gertrud | |
Patan von der Initiative AtomErbe Obrigheim. Das | |
Bundesumweltministerium erklärt, die Öffentlichkeit werde nur | |
beteiligt, wo eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig sei – beim | |
ersten Antrag. | |
Auch die sogenannte Freimessung steht in der Kritik: Die Betreiber | |
messen die Strahlung der Bauteile, die das Gelände verlassen. Liegt | |
sie unterhalb definierter Grenzen, dürfen Stahl und Beton | |
andernorts wiederverwendet werden. „Freimessung bedeutet, dass | |
große Mengen radioaktiv belastetes Material unkontrolliert und | |
nicht rückverfolgbar in den Wertstoffkreis gelangt“, sagt Babs | |
Günther vom Schweinfurter Aktionsbündnis gegen Atomkraft. Bürger | |
aus Neckarwestheim protestierten bereits mit Kochtöpfen. Ihre | |
Angst: Die könnten bald aus Reaktorstahl hergestellt sein. | |
2 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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