# taz.de -- Grünen-Debatte um Forschungsreaktoren: Gespaltene Gesellschaft | |
> Die Grünen diskutierten im Bundestag über die Forschungsreaktoren in | |
> Deutschland. Drei von einst 48 sind noch in Benutzung. | |
Bild: Der Forschungsreaktor in Jülich ist bereits stillgelegt | |
Berlin taz | Der politisch beschlossene Atomausstieg wird im Jahr 2022 die | |
Ära der Atomkraftwerke für die Stromproduktion in Deutschland beenden, aber | |
einige Reaktoren sind davon ausgenommen: Forschungsreaktoren, die für die | |
Wissenschaft genutzt werden. Über ihre heutigen Sicherheitsprobleme und | |
zukünftigen Entsorgungsfragen haben die Grünen nun in einer Veranstaltung | |
im Bundestag mit Experten und Bürgerinitiativen diskutiert. | |
Die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia | |
Kotting-Uhl, verwies in ihrer Begrüßung darauf, dass auch die | |
Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen von | |
dem Ausstiegsbeschluss nicht erfasst seien. „Wir wollen aber, dass auch | |
diese Atomfabriken stillgelegt werden“, sagte Kotting-Uhl. Die Debatte über | |
die Forschungsreaktoren sei in der Vergangenheit vom „Mantel der | |
Wissenschaftsfreiheit“ zugedeckt worden. Dennoch sei die Frage zulässig, ob | |
es in der Neutronenforschung auch Alternativen jenseits von Atomreaktoren | |
gebe. | |
In der Hochzeit der Atomeuphorie waren in Deutschland (West und Ost) 48 | |
Forschungsreaktoren in Betrieb. An Hochschulen und außeruniversitären | |
Instituten wurde in ihnen Material- und Energieforschung betrieben und der | |
kerntechnische Nachwuchs ausgebildet. | |
Heute sind noch drei Forschungsreaktoren in der Benutzung: der Berliner | |
Forschungsreaktor BER II am früheren Hahn-Meitner-Institut, dem heutigen | |
Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB), der Mainzer | |
Forschungsreaktor TRIGA Mark II an der Uni Mainz und der Garchinger | |
Forschungsreaktor FRM II an der TU München. Die Sorge der | |
Antiatom-Fraktion: Das in einigen Forschungsreaktoren als Brennstoff | |
benutzte hoch angereicherte Uran-235 (HEU), das sich auch für Atombomben | |
eignet, könne wieder in den internationalen Proliferationskreislauf der | |
nuklearen Waffentechnik eingespeist werden. | |
## Widerstand gegen Wannsee-Reaktor | |
Den stärksten gesellschaftlichen Widerstand zieht derzeit der | |
Wannsee-Reaktor BER II (Berliner Experimentier-Reaktor) auf sich. Stephan | |
Worseck vom Anti-Atom-Bündnis Berlin Brandenburg verwies darauf, dass ein | |
„Stresstest“ der Reaktorsicherheitskommission (RSK) nach dem Atomunfall in | |
Fukushima ergeben habe, dass der Berliner Forschungsreaktor „nicht die | |
Schutzgrade der RSK erfüllt, und trotzdem läuft er weiter“, sagte Worseck. | |
Wenig technische Sorgen bereitet der Mainzer Reaktor, da er durch seinen | |
Brennstoff (leicht angereichertes Uran mit Moderatormaterial Zirkonhydrid) | |
„inhärent sicher konstruiert“ sei, wie Heike Fenn von der Atomaufsicht im | |
Mainzer Energieministerium versicherte. Bei einer bestimmten Temperatur | |
wird der Spaltprozess gestoppt, eine Kernschmelze sei unmöglich. Auch die | |
Erdbebengefahr sei an dieser Stelle des Rheingrabens gering, erklärte der | |
Geologe Ulrich Schreiber von der Uni Duisburg-Essen. | |
Unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck steht dagegen der „Forschungsreaktor | |
München“ (FRM), der jüngste Wissenschaftsreaktor, der 2004 seinen | |
Vorläufer, das „Garchinger Atom-Ei“, abgelöst hatte. Obwohl damals schon | |
klar war, dass alle Forschungreaktoren von HEU auf LEU-Betrieb umgestellt | |
werden sollen, wurde der FRM II für die Verwendung von hoch angereicherten | |
Uran konzipiert. Der Grund: Die bei der Kernspaltung entstehenden | |
Neutronenstrahlen haben eine bessere Qualität für die wissenschaftlichen | |
Experimente. | |
Trotzdem handele es sich um „einen Waffenstoff, der nicht in den zivilen | |
Bereich gehört“, betonte Wolfgang Liebert vom Institut für Sicherheits- und | |
Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien. Liebert | |
stellte dar, wie intensiv sich die internationale Wissenschaftsgemeinde | |
bemüht, ihre Neutronenproduktion über andere Strahlquellen zu erreichen. | |
Als der Münchener TU-Physiker Winfried Petry das FRM-Vorgehen verteidigte | |
und bekräftigte, „Deutschlands Wissenschaft ist stolz auf den FRM II“, ging | |
ein Protestschrei durch die Bundestagsrunde: „Nein! Überhaupt nicht!“. | |
Kernspaltung bleibt weiterhin Gesellschaftsspaltung. | |
13 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Forschung | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Energiewende | |
Atomkraftwerk | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Tschernobyl | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Atomausstieg nach Fukushima: Entschädigung für die Konzerne | |
Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen von Eon, RWE und Vattenfall | |
stattgegeben. Die Bundesregierung muss sie entschädigen – in welcher Höhe, | |
ist noch unklar. | |
Nachruf auf Atomphysiker: Vom Atommanager zum AKW-Kritiker | |
Einer, der sich vor der Antwort Zeit zum Nachdenken nahm: Der Atomphysiker | |
Klaus Traube, Vordenker der Energiewende, ist gestorben. | |
Verzögerter Rückbau von AKW: „Unerwartete Kontaminationen“ | |
Der Rückbau von Atomkraftwerken ist nicht so einfach, wie die Betreiber | |
behauptet haben. Zeitpläne können nicht eingehalten werden. | |
Mögliches Ende der Urananlage in Gronau: Feines Signal | |
Umweltministerin Hendricks kann sich vorstellen, die Urananreicherung in | |
Gronau zu beenden. Was mit dem Abfall geschieht, ist weiterhin unklar. | |
Strahlenforschung nach dem Atomgau: „Vergiftete Wissenschaft“ | |
Die Zusammenarbeit ukrainischer und russischer Strahlenforscher ist | |
gestört. Auch die archivierten Daten sind nicht mehr für alle verfügbar. | |
Rückbau des Forschungsreaktors Jülich: „Absurdität der Atomkraft“ | |
1988 wurde der Forschungsreaktor Jülich stillgelegt. Über 26 Jahre später | |
wird das Herzstück entfernt. Eine endgültige Lösung ist das aber noch lange | |
nicht. | |
Report zu Atommüll: „Als wäre es Hausmüll“ | |
Umweltschützer kritisieren die Regierungsbilanz über radioaktive Abfälle. | |
Das entsprechende Verzeichnis des Umweltministeriums sei unzureichend. |