# taz.de -- Reaktorschutt in Schleswig-Holstein: „Gesundes Misstrauen“ blei… | |
> Wo Atommeiler weg kommen, fällt belasteter Schutt an. Für einen | |
> „Entsorgungspakt“ wirbt der Kieler Minister Robert Habeck nun an | |
> Deponie-Standorten. | |
Bild: Gefährlich oder nicht? Messung der Radioaktivität eines Steins | |
Harrislee taz | Blut und Wasser habe er schon geschwitzt in dieser Halle, | |
bekannte Robert Habeck. Schließlich wohnt er nicht weit weg vom Örtchen | |
Harrislee, und die Sportmannschaften seiner Kinder sind oft genug in der | |
Blomberg-Halle angetreten. An diesem Abend ist Habeck aber nicht bloß | |
Nachbar, auch nicht Zuschauer, er ist die Hauptfigur: Der grüne Umwelt- und | |
Energieminister moderiert, hält Mikrofone hin – und beantwortet die meisten | |
Fragen am Ende selbst. | |
Rund 200 Menschen sind gekommen an diesem Dienstagabend, aus Harrislee oder | |
den benachbarten Orten diesseits und jenseits der dänischen Grenze. Sie | |
alle vereint die Sorge. Denn auf der nahen Deponie Balzersen lagern | |
möglicherweise bald Abfälle aus dem Atomkraftwerk Brunsbüttel. | |
„Atommüll gehört nicht in die Abfalltonne“: Auf diesen Slogan bringt es d… | |
Bürgerinitiative gegen die Einlagerung des Brunsbüttler Schutts. Sie ist | |
noch jung, hat sich gegründet, als die örtliche Deponie benannt worden war | |
– als einer von sieben denkbaren Standorten im Land. Auch in den anderen | |
betroffenen Regionen kämpfen Gruppen gegen diese Pläne. | |
Das Problem: Eigentlich entscheiden weder der Minister noch die | |
EinwohnerInnen darüber, wo Kraftwerkbetreiber Vattenfall den Schutt vom | |
Abriss der schwarzen Reaktorkuppel lässt. Denn wenn Material wie Steine, | |
asbesthaltige Folien oder lackierte Spinde erst für eine Deponie | |
freigegeben wird, gilt es nicht mehr als radioaktiv belastet. Damit ist es | |
der Atomaufsicht des Ministeriums entzogen. Und welchen Müll eine Deponie | |
aufnimmt, das entscheidet im Zweifelsfall deren Geschäftsführung – | |
eigentlich. | |
Habeck wirbt für einen „Entsorgungspakt“, in dem Betreiber, Deponien, | |
Gemeinden und Umweltverbände Regeln für den Umgang mit dem | |
Kraftwerksschrott vereinbaren sollen. Der Deal: Man einigt sich auf mehr | |
Kontrolle und mehr Sorgfalt bei Transport und Deponierung, als das Gesetz | |
es vorschreibt – im Gegenzug profitieren alle vom reibungslosen Ablauf. | |
„Das Zeitfenster für den Abbau ist nicht ewig geöffnet“, sagt Habeck. | |
„Unsere Generation muss das Atomzeitalter jetzt beenden.“ | |
Der Grünen-Politiker, der als Spitzenkandidat seine Partei in den | |
Bundestagswahlkampf führen will, sagt solche Sätze sicher in Richtung | |
Berlin. Aber die Argumente, die er und seine Fachleute aus Ministerium und | |
Atomaufsicht vortragen, überzeugen auch in Harrislee den einen oder die | |
andere im Saal: Den Müll einfach auf dem Kraftwerksgrundstück lassen, das | |
kann wegen der nahen Elbe gefährlich sein. Das Gebäude mit einem | |
„Sarkophag“ einschließen? | |
Hat schon in Tschernobyl nicht geklappt – und entließe nur die Betreiber | |
aus der Verantwortung. Einer Frau, die sich als Vertreterin der „alten | |
Anti-AKW-Bewegung“ vorstellt und verlangt, nichts „von hier nach da zu | |
transportieren“, antwortet Habeck: „Wir sind in der zweiten Spielhälfte. | |
Wer jetzt auf dasselbe Tor schießt wie bisher, schießt Eigentore.“ Niemand | |
wisse, „ob wir in 100 Jahren noch eine Gesellschaft haben, in der wir offen | |
und demokratisch über Entsorgungsfragen diskutieren“. | |
Doch Kritik und Bedenken blieben: Jörg Wolff, Sprecher der | |
Bürgerinitiative, führte die hohe Krebsrate in den Elbmarschen an, ein Mann | |
pochte auf eine Garantie, dass kein gefährliches Atom in die Umwelt | |
gelange. Für viele Anwesende sprach wohl jene Frau, die sich zwar für die | |
Informationen bedankte – aber nachschob: „Es bleibt ein gesundes Misstrauen | |
gegenüber dem Betreiber Vattenfall.“ | |
Ob Harrislee sich am „Entsorgungspakt“ beteiligt, ist offen. Am 21. Juli | |
treffen sich alle möglicherweise betroffenen Orte nochmal. Kommt es nicht | |
zu einer Vereinbarung, „ziehen wir uns zurück“, sagte Habeck. Die Lagerung | |
der Abfälle bliebe dann den Kraftwerksbetreibern und den Deponien | |
überlassen. Der Abbau der Kraftwerke – ab 2017 geht es auch um Krümmel – | |
geht aber weiter. | |
30 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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