# taz.de -- Überraschende Wahlkampfoffensive: Rettet dieses Insekt die Grünen? | |
> Pelzig, fleißig und süß: Bienen sind Sympathieträger. Das wollen sich die | |
> Grünen jetzt zunutze machen. Doch gibt es den Maja-Effekt tatsächlich? | |
Bild: Die grüne Sympathieträgerin | |
Berlin taz | Seit Wochen rätseln die Grünen, warum sie im Bund so unsexy | |
wirken und in der Wählergunst abgestürzt sind. Nun, drei Tage vor der | |
wichtigen Wahl in Nordrhein-Westfalen, startet die Parteispitze in Berlin | |
eine überraschende Offensive, um aus dem Umfrageloch zu, äh, summen: Bienen | |
sollen die vom Aussterben bedrohte Ökopartei retten. | |
„Warum grün wählen? Weil wir auch die parlamentarische Vertretung der | |
Bienen sind“, [1][twitterte] Spitzenkandidat und Parteichef Cem Özdemir am | |
Mittwochabend. Der Vorstoß auf dem Kurznachrichtendienst kam gut an – über | |
50 Nutzer retweeteten den Satz, über 120 gaben ihm ein Herzchen. | |
Katrin Göring-Eckardt legte am Donnerstag nach. „Wir gehen vom Menschen aus | |
und haben die ganze Umwelt im Blick, natürlich auch die Bienen“, sagte sie | |
der taz. „Artenschutz ist bei uns zu Hause.“ Özdemir und Göring-Eckardt | |
geben den Ton an bei den Grünen. Sie führen die Partei als | |
Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf und haben die Bienenstrategie | |
offenbar sorgsam abgestimmt. | |
Der Klimawandel, Parasiten und Insektizide in der industrialisierten | |
Landwirtschaft machen den Bienen in Deutschland zu schaffen. Die Grünen | |
treibt einerseits die ehrliche Sorge um die Zukunft der possierlichen Immen | |
um. Ihr Programm sieht deshalb relevante Verbesserungen für den | |
Bienenschutz vor. | |
## Süßer Honig, saftige Wiesen | |
Doch Özdemir und Göring-Eckardt erhoffen sich wohl auch einen Imagegewinn. | |
Die im Kreuzfeuer stehenden Spitzenleute setzen darauf, dass die | |
sensationellen Beliebtheitswerte der Biene auf sie abstrahlen. Der Plan | |
könnte aufgehen: Süßer Honig, saftige Wiesen, sanftes Summen, wer denkt da | |
noch an 7-Prozent-Umfragen? | |
Die Zeichentrickbiene Maja und ihr Freund Willi gelten selbst in | |
ökobürgerlichen Milieus als irgendwie okaye Kinderbespaßung, und die Biene | |
an sich findet eigentlich jeder klasse. Rettet die Grünen der Maja-Effekt? | |
Während Özdemir und Göring-Eckardt nachgesagt wird, zu glatt, zu beliebig | |
und nicht kämpferisch genug aufzutreten, steht die Biene für einen urgrünen | |
Kurs. Sie gehört weltweit zu den wichtigsten Bestäubern, setzt sich sich in | |
Deutschland seit Jahrhunderten kompromisslos für die Umwelt ein und genießt | |
allseits Respekt wegen ihres giftigen Wehrstachels. So gesehen ist sie die | |
ideale Ergänzung des grünen Spitzenteams. | |
Die Biene ist zudem anschlussfähig in alle Richtungen. Einerseits trudelt | |
sie von Blume zu Blume und verkörpert die locker-lässige Lebensart. Nicht | |
ohne Grund twitterte Özdemir, wie man so sagt, mit einem Augenzwinkern: | |
„Die Sache mit den Blumen und den Bienen sollte man nicht unterschätzen.“ | |
## Zartes Signal für Jamaika | |
Gleichzeitig sind viele Bienenarten schwarz-gelb, etwa die häufig | |
vorkommende Wollbiene – sie tragen also die Farben der | |
Liberalkonservativen. Der neue Coup der Grünen lässt sich deshalb durchaus | |
als zarte Sympathiebekundung für eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und | |
Grünen lesen. | |
Die Bienenoffensive, das ist entscheidend für die regierungswilligen | |
Grünen, funktioniert lagerübergreifend. „Die Bewahrung der Schöpfung ist | |
ein Kernelement der Programmatik von CDU und CSU“, sagte Marie-Luise Dött, | |
umweltpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion im Bundestag. Dazu, so | |
Dött, gehörten auch die Bienen. Die fleißigen Tausendsassas könnten also | |
als Türöffner für Schwarz-Grün funktionieren. | |
Auch bei den Naturschutzverbänden kommt die neue Schwerpunktsetzung gut an. | |
„Gut, dass die Grünen das Thema auf die Tagesordnung setzen“, sagte Rüdig… | |
Rosenthal, Sprecher des BUND. „Sie sollten dafür sorgen, dass es im | |
Koalitionsvertrag einer neuen Regierung endlich einen wirksamen | |
Bienenschutzplan gibt.“ | |
Ihren Bienen-Schwerpunkt haben die Grünen offenbar von langer Hand geplant. | |
Im April 2016 wurde ein Bienenstock im Reichstag aufgestellt – auf Anregung | |
der Grünen. Harald Ebner, der sich in der Bundestagsfraktion um Bioökonomie | |
kümmert, verteilte bereits im Wahlkampf 2013 Samentütchen mit dem Aufdruck: | |
„Bienen würden Ebner wählen“. Ebner sagte: „Die Rechnung ist einfach: k… | |
Bienen, keine Bestäubung, kein Obst und Gemüse.“ | |
## „Bienen sind einfach toll“ | |
Die Grünen, die von allen gemocht werden wollen, leiden sehr darunter, wenn | |
Journalisten böse über sie schreiben. Auch deshalb waren die vergangenen | |
Wochen nicht einfach für Özdemir und Göring-Eckardt, alle Zeitungen | |
druckten Abgesänge. Aber der Bienen-Coup hat das Zeug, den Trend zu drehen. | |
Ein süßes Tierchen, ein Jahrhundertthema, ein Alleinstellungsmerkmal, das | |
begeistert sogar kundige Journalisten. | |
Ulf Poschardt, liberaler Leitartikler der Welt, zeigte sich in einer ersten | |
[2][Reaktion auf Twitter] angetan. „Cem Özdemir zu den Bienen hat mir | |
gezeigt, was ich bei den Grünen so oft vermisse: Humor und Selbstironie.“ | |
Auch die taz, die eigentlich immer etwas zu nörgeln hat, ist entzückt. „Die | |
redaktionelle Unabhängigkeit ist für uns ein hohes Gut“, sagte | |
Parlamentsbüroleiter Ulrich Schulte. „Aber Bienen sind einfach toll.“ | |
Nur eine Frage bleibt offen: Wollen die Bienen eigentlich von den Grünen | |
vertreten werden? Oder empfinden sie das Ganze als Ranwanze einer nervigen | |
Bevormundungspartei? Im Berliner Regierungsviertel ließ sich am Donnerstag | |
keine einzige Biene auftreiben, die zu einer Stellungnahme bereit war. Was | |
ja auch schon wieder ein Alarmsignal ist. | |
11 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/cem_oezdemir | |
[2] https://twitter.com/ulfposh | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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