# taz.de -- Krise bei den Grünen: Bloß cool bleiben | |
> Die Grünen schwächeln in den Umfragen. Woran das liegen könnte, mögen | |
> viele Parteifreunde lieber gar nicht wissen wollen. | |
Bild: Augen zu und durch? Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, die Spitzenk… | |
BERLIN taz | Trifft ein Grüner einen anderen im Reichstag. „Und, was machst | |
du so im nächsten November?“ | |
Die Witze, die derzeit auf den Fluren der Ökopartei-Fraktion im Bundestag | |
gerissen werden, klingen manchmal etwas zynisch. Nach der Bundestagswahl, | |
heißt das, könnten wir beide arbeitslos sein – weil es die Fraktion nicht | |
mehr gibt. „Galgenhumor, große Verunsicherung, Ratlosigkeit.“ So fasst ein | |
Parlamentarier die Stimmung vieler KollegInnen zusammen. | |
Es steht nicht gut um die einst so selbstbewussten Grünen. Seit der | |
Inthronisierung von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt als Spitzenduo im | |
Wahlkampf geht es in den Umfragen stetig bergab. Die Partei, die früher | |
einmal eine neue Volkspartei werden wollte und vor einem Jahr bei | |
komfortablen 13 Prozentpunkten lag, wirkt müde und kraftlos. | |
Gerade einmal 8 Prozent der Bürger würden sie laut Meinungsumfragen wählen, | |
mehrere Institute taxierten sie im Bund Ende April auf 6 Prozent. Da | |
scheint der Tod durch die Fünfprozenthürde plötzlich greifbar nahe, zumal | |
die Grünen bei Wahlen oft noch etwas schlechter abschneiden als in Umfragen | |
kurz zuvor prognostiziert. Geht es also ums Überleben der Grünen? Und, wenn | |
ja, was tun sie dafür? | |
## Nicht der heiße Scheiß | |
Dass das Spitzenteam etwas mit dem Abstieg zu tun haben könnte, streiten | |
die beiden Protagonisten standhaft ab. Die Vorstellung des grünen | |
Wahlprogramms im März feierten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir als | |
eigenen Erfolg – am Imageproblem der Grünen änderte es nichts. Das | |
Spitzenduo der Grünen sieht sich als Opfer von Stimmungen, die sie nicht | |
beeinflussen können. Kurzum – Pech. Göring-Eckardt erklärte nach der | |
deprimierend verlaufenen Saarland-Wahl lakonisch, die Themen der Grünen | |
seien derzeit eben nicht „der heiße Scheiß“. | |
Und nun? „Kühlen Kopf behalten“, sagt Göring-Eckardt am Telefon. Sie klin… | |
heiter und entspannt, gerade ist sie in Schleswig-Holstein unterwegs, wo am | |
nächsten Sonntag der Landtag gewählt wird. „Wir dürfen uns nicht nach innen | |
orientieren, sondern müssen draußen für unsere Themen kämpfen.“ | |
Kohleausstieg, die Ehe für alle, ein Einwanderungsgesetz. „Die Leute wählen | |
keine Partei, die an sich zweifelt.“ | |
Göring-Eckardt und Özdemir touren durch Deutschland, lange Tage, kurze | |
Nächte, Termin folgt auf Termin. „Drüber reden“, heißt das Wahlkampfform… | |
Tatsächlich sind viele dieser Veranstaltungen gut besucht, die Bürger | |
wollen reden. Aber dass sie diese Grünen dann auch wählen, das heißt das | |
noch lange nicht. | |
Göring-Eckardt und Özdemir waren eine maximal pragmatische Entscheidung der | |
Parteibasis. Beide gehören zum Realo-Flügel, beide sind sind erfahrene | |
Profis und stehen seit über einem Jahrzehnt in unterschiedlichen Funktionen | |
in der ersten Reihe der Grünen. Und beide gelten als Sympathisanten von | |
Schwarz-Grün, der Koalition, über die sich die Grünen jahrelang stritten. | |
Manche Linksgrüne halten genau das für den Kern des Problems. | |
Göring-Eckardt und Özdemir wollten so gerne an der Seite Merkels in der | |
Kabinettsbank sitzen, dass sie bereit seien, alles mitzumachen, lautet der | |
Verdacht. „Alles“ meint in dem Fall: zu viel. Außerdem verprelle die | |
demonstrative Offenheit nach allen Seiten diejenigen Wähler, die sich eine | |
linke Konturierung wünschten. „Die Grünen müssen deutlicher links sein, um | |
die Abwanderung ihrer Wähler zur SPD zu stoppen“, sagt Christian Ströbele, | |
der Kreuzberger Haudegen und Bundestagsabgeordnete. | |
## Kretschmann und Trittin | |
Ströbele ist einer der wenigen, die sich mit einer solchen Einschätzung | |
zitieren lassen. Öffentlicher Streit wirkt zerstörerisch, das hat die | |
Partei in den Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre gelernt. Die | |
Erschütterungen gehen so tief, dass selbst erklärte Feinde zueinander | |
finden. Kretschmann und Trittin – zwei ältere Herren markierten zuletzt die | |
gegensätzlichen Pole der Grünen. | |
Hier der ökokonservative Ministerpräsident Baden-Württembergs, der auf | |
Versöhnung mit bürgerlichen Milieus und der Wirtschaft setzt, für Merkel | |
betet und Kompromisse schmiedet, die grüne Programmatik konterkarieren. | |
Dort der gewiefte Parteilinke, Ex-Bundesminister, Ex-Fraktionschef, | |
Ex-Spitzenkandidat, der die ökologische Frage mit Sozialpolitik und | |
Umverteilung kombinieren will. Beide beharkten sich in einer Weise | |
öffentlich, die manche Parteifreunde entsetzt und ratlos zurückließ. | |
Doch damit soll nun Schluss sein. Als im März der neue Bundespräsident | |
gewählt wurde, trafen sich Kretschmann und Trittin zu einem | |
Vier-Augen-Gespräch in der baden-württembergischen Landesvertretung in | |
Berlin. Seitdem herrscht Ruhe. Trittin taucht ab, wenn man ihn um eine | |
Einschätzung zum Kurs der Grünen bittet – und auch aus Stuttgart sind keine | |
Anmerkungen zum Bundeskurs mehr zu hören. Die beiden scheinen ein Agreement | |
getroffen zu haben, ihren Zwist zum Wohle der Grünen auszusetzen, wenn | |
nicht zu begraben. | |
Für die Wahlkampfmanager in Berlin ist dieses Stillhalteabkommen eine gute | |
Nachricht, allerdings ist es auch ein Alarmsignal. Wenn Kretschmann und | |
Trittin kooperieren, muss die Lage wirklich ernst sein. | |
## Auf Koalitionsfähigkeit getrimmt | |
Dass ausgerechnet Martin Schulz die Partei in eine bedrohliche Krise | |
schickt, entbehrt nicht der Ironie. Seit 2013 haben die Grünen viel dafür | |
getan, um sich für die bürgerliche Mitte – und eine mögliche Koalition mit | |
der Union – aufzuhübschen. Sie trugen in der Flüchtlingskrise harte | |
Verschärfungen des Asylrechts mit, schwächten Forderungen nach | |
Steuererhöhungen ab und dimmten alles, was nach klassischer Sozialpolitik | |
und Umverteilung klang, herunter. | |
Die Personalien Göring-Eckardt und Özdemir passten zu diesem | |
Versöhnungsangebot an das gut verdienende und ökoaffine Bürgertum. | |
Eigentlich spräche vieles dafür, dass diese Kursanpassung gut ankommen | |
könnte. Die gehobene Mittelschicht mag eine theoretische Sympathie für arme | |
Menschen hegen, aber Hartz-IV-Erhöhungen betreffen sie nicht in ihrer | |
Lebenswelt. Özdemir, das belegen andere Umfragen, ist der beliebteste | |
Oppositionspolitiker in Deutschland. Er müsste Leute ziehen, eigentlich. | |
Nur merkt man bisher nichts davon. | |
Sicher ist: Seit Schulz verstehen viele Grüne die Welt nicht mehr. Sie | |
zielen mit ihrem Kurs auf die Mitte. Und jetzt rennen ihnen die Leute weg, | |
weil ein Traditionssozi mit Glatze und Kassengestell die Agenda 2010 ins | |
Visier nimmt? „Ehrlich gesagt bin ich ratlos“, sagt eine kluge und gut | |
vernetzte Grüne im Bund. „Schulz mag anfangs mit seinem cool-dreisten | |
Machtanspruch attraktiv gewirkt haben. Aber die Leute müssten längst zu uns | |
zurückkommen.“ Das Wort „Ökologie“ tauche schließlich in keiner Rede v… | |
Schulz auf. | |
## Kein Ausweg in Sicht | |
Die Analysen über einen Ausweg aus der Misere gehen auseinander. Linksgrüne | |
wünschen sich hinter vorgehaltener Hand ein kantigeres Profil und eine | |
stärkere Betonung des durchaus ambitionierten Programms. Trittin riet | |
seiner Partei schon vor Monaten, eine Priorisierung erkennen zu lassen, | |
sich also zur Nähe zur SPD zu bekennen. Dies tun Özdemir und Göring-Eckardt | |
längst. „Cem und ich singen im Chor, dass wir am liebsten mit der SPD | |
regieren würden“, sagt Göring-Eckardt. „Das wissen auch alle.“ | |
Rot-Grün allein, dieses Lieblingsbündnis, hat aber den eklatanten Nachteil, | |
dass es mangels Wählern keine Chance auf die Macht hat. Das hätte nur | |
Rot-Rot-Grün. Und da bleibt Göring-Eckardt skeptisch. „Dreierbündnisse sind | |
immer schwierig“, sagt sie. Für grüne Realos ist das Umfragetief besonders | |
verwirrend. Denn die Stagnation auf niedrigem Niveau widerlegt scheinbar | |
die beliebte These vom Erfolg in der bürgerlichen Mitte, den die Grünen mit | |
ihrer gesamten Aufstellung sehnsüchtig suchen. | |
Dieter Janecek, Abgeordneter und Koordinator des Realo-Flügels, rät seiner | |
Partei zur Coolness. In den ersten Wochen nach der Urwahl seien die Grünen | |
zu unentschieden aufgetreten, sagt er. „Gut, dass wir uns da keine | |
Richtungsdebatte ans Bein gebunden haben, denn der Schulz-Hype verblasst | |
bereits wieder.“ | |
Augen zu und durch, das scheint das Motto der Grünen-Spitze zu sein. Ein | |
„Weiter so“, auch weil es keinen besseren Plan gibt. „Wir werden unser | |
Kernthema, die Ökologie, stärker zuspitzen“, sagt Göring-Eckardt. „Wenn … | |
einen Grünen nachts um vier wecke, muss er in ein, zwei Sätzen erklären | |
können, warum die ökologische Modernisierung nur mit uns wirklich kommt und | |
vor allem warum wir sie so dringend brauchen.“ Welche ein, zwei Sätze das | |
allerdings sein könnten, das wissen die Grünen im Moment selbst noch nicht. | |
3 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Stefan Reinecke | |
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