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# taz.de -- Habeck-Syndrom: Der Sympathieträger
> Schleswig-Holsteins beliebtester Politiker kommt von den Grünen und heißt
> Robert Habeck. Zur Landtagswahl tritt er nicht an.
Bild: Paradedisziplin Wattwandern: Wenn ein Meer in der Nähe ist, zieht der Um…
Robert Habeck kann sogar Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zum Schmunzeln
bringen. Am 1. September vorigen Jahres war das, im taz.Salon im
Schanzenviertel, wo der Grüne aus Schleswig-Holstein und der Rote aus
Hamburg ein Jahr vor der Bundestagswahl diskutierten. Als sie als
„möglicherweise Deutschlands nächsten Kanzler und Vizekanzler“ begrüßt
wurden, sagte Habeck grinsend: „Ich wusste gar nicht, dass Sie Vizekanzler
werden wollen, Herr Scholz.“
Es war eine der Bühnen, die dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von
Schleswig-Holstein liegen. Hier kann er seine Entertainer-Qualitäten
ausspielen, aus dem Stegreif Durchdachtes von sich geben und Witzchen
reißen. Politik ausführlich erläutern, herleiten, präsentieren, rhetorisch
geschickt und, wenn es sein muss, auch mit Spott und polemischer Schärfe
die Debattenhoheit anzustreben, zählen zu seinen Stärken. Und auf die setzt
er jetzt auch im Landtagswahlkampf im nördlichsten Bundesland. „Außerhalb
der gewohnten Politikformate“, wie er es nennt, zu agieren, käme ihm
entgegen: „Es passt zum dem, wie wir Grüne in Schleswig-Holstein Politik
machen“, sagt er. „Nicht mit der kleinen Parteibrille, sondern für die
Menschen.“
## Star im hohen Norden
Robert Habeck ist der grüne Star im hohen Norden, aber er ist nicht der
Spitzenkandidat. Nicht einmal einen Platz auf der Landesliste hat er, weil
er lieber Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl geworden wäre
und gar nicht erst für den Landtag kandidierte. Die hauchdünne Niederlage
des Außenseiters aus der Provinz gegen den altgedienten Partei-Hierarchen
Cem Özdemir im Januar hat Habeck zwar mächtig gewurmt, aber sie hat ihn
stärker gemacht. Und unabhängiger.
Und so tourt der 47-Jährige durch das Land zwischen den Meeren ohne
offizielle Funktion. „Mit Habeck fürs Land“, steht auf seinen Wahlplakaten,
das Logo der Grünen sucht man dort vergeblich. One-Man-Shows zieht er
zumeist ab auf seinen Abendterminen in Rathäusern oder Buchhandlungen, wo
er wie immer ohne Schlips, meist mit Drei-Tage-Bart und neuerdings mit
Lesebrille auftritt. Es sind nicht die üblichen Podiumsdiskussionen,
sondern kleinere und feinere Termine mit Menschen, WählerInnen, die sich
auch für die Person Habeck und ihre Motive interessieren.
„Das ist kein klassischer Wahlkampf“, räumt er ein: „Ich habe den Raum f…
Veranstaltungen, die nicht gewohnt parteipolitisch sind.“ Volkshochschulen
und Bücherhallen laden ihn ein, auch der Landfrauenverband möchte ihn, der
seit fünf Jahren Minister für Umwelt, Energie, Agrarpolitik und ländliche
Räume ist, näher kennenlernen – nicht zuletzt deshalb, weil inzwischen
selbst der Bauernverband erkannt hat, dass Habecks ökologisch ausgerichtete
Agrarpolitik nicht zum Höfesterben führt, und weil es so aussieht, als ob
er für eine weitere Legislaturperiode im Amt bleiben könnte.
## Feind der Krawatte
Der Mann von der dänischen Grenze, ein erklärter Feind der Krawatte –
Lieblingswitz: „Was ist der Unterschied zwischen einem Schlips und einem
Kuhschwanz? Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch“ – kommt gerne
solchen Einladungen nach, die nicht unbedingt Heimspiele sein müssen, weil
er seine Partei für breitere Kreise wählbar machen will, ohne dabei grüne
Prinzipien zu verraten. „Eine Gesellschafts- und Orientierungspartei“ solle
sie werden, weg vom alten Klischee der Verbotspartei: „Ich will, dass wir
Grünen nicht nur uns selbst ansprechen, sondern breite Mehrheiten suchen.“
Er und die Grünen im nördlichsten Bundesland, die stolz darauf sind, seit
Jahren keinerlei Flügelkämpfe mehr zu haben, würden „keine Milieupolitik
machen“, sagt Habeck. „Wir folgen unseren Werten und Vorstellungen, wie zum
Beispiel die Ökologisierung der Landwirtschaftspolitik, aber wir versuchen,
eine Zustimmung zu erreichen, die größer ist als unsere 14, 15 Prozent bei
Wahlen.“
Und deshalb gefällt sich der Vater von vier Söhnen, der trotzdem oder
gerade deshalb sein jungenhaftes Grinsen nicht verloren hat, in der Rolle
des vagabundierenden Freigeistes. „Ich komme nicht als Parteipolitiker, der
mit fünf anderen Parteipolitikern auf einem Podium sitzt, und jeder muss in
30 Sekunden seine Haltung zu Hartz IV darstellen“, sagt Habeck. Das
empfinde er als Freiheit, verhehlt er nicht. Zugleich ist es eine
Möglichkeit, dem Konflikt nicht auszuweichen, um den Kompromiss gestalten
zu können.
## Nicht das Auto ist schlecht
Denn es gehe darum, „anders und ressourcenärmer zu wirtschaften und eine
klimafreundliche technische Entwicklung voranzubringen. Es geht nicht
darum, gar nicht zu wirtschaften“, stellt er klar. Und weil es gutes und
schlechtes Wirtschaftswachstum gebe, müsse eben das qualitative Wachstum
gefördert werden – nicht das Auto ist schlecht, sondern der
Verbrennungsmotor. „Das Zurückdrängen zerstörerischer Prozesse bedeutet
nicht, weniger innovativ oder entwicklungsfreudiger zu werden“, findet
Habeck.
Seinen Rückzug aus der parteipolitischen Präsenz, seine Hinwendung zum
grünen Entertainer findet Habeck nicht problematisch. Er bestreitet,
dadurch im Landtagswahlkampf zu wenig als Grüner identifizierbar zu sein.
Seine Auftritte seien nur ein bisschen anders, „etwas eigentümlich
vielleicht“, aber komfortabel für ihn und zielführend für die Grünen.
Eine Einschätzung, die man nicht teilen muss. Zwei Prozentpunkte haben die
Grünen nach Meinungsumfragen binnen eines Monats verloren, von 14 auf zwölf
Prozent sind sie, die bei der Wahl 2012 mit 13,2 Prozent als drittstärkste
Partei in den Landtag einzogen, bei der Sonntagsfrage abgerutscht.
## Die Sache verzockt
Das ist immer noch schwindelerregend hoch im Vergleich zu den sechs bis
sieben Prozent, mit denen die Grünen im Bund taxiert werden. Doch sollte
die Zustimmung für die Grünen in Schleswig-Holstein noch ein bisschen
weiter sinken und die Mehrheit für eine Neuauflage der Küstenkoalition aus
SPD, Grünen und SSW verfehlt werden, wird Habeck sich der Frage stellen
müssen, ob nicht er es war, der die Sache verzockt hat.
Schon einmal, am Wahltag 2012, hatte Habeck an Rücktritt gedacht und von
der Politik lassen wollen. Im November zuvor lagen die Grünen in
Schleswig-Holstein in Umfragen bei 19 Prozent und Habeck wurde zum
siegesgewissen Spitzenkandidaten gekürt. Dann, drei Wochen vor der Wahl,
eine neue Umfrage, eine böse Klatsche: Nur noch 12 Prozent für die Grünen,
weder mit der SPD noch mit der CDU würde es zum Regieren reichen. „Ich
wollte meiner Partei einen großen Sieg geben und spielte jetzt gegen den
Abstieg“, erinnert sich Habeck in seinem Buch „Wer wagt, beginnt“.
Ganz so schlimm wurde es dann doch nicht, und dank SSW reichte es auch noch
zum Regieren. Aber eben das ist natürlich bei diesem Wahlgang erneut die
Messlatte für jemanden wie Habeck, billiger geht es nicht für den
Grünen-Star, der nicht der Spitzenkandidat ist, aber laut Umfragen der
beliebteste Politiker Schleswig-Holsteins. Doch Habeck, der promovierte
Philosoph, der gern Albert Camus' Worte zitiert, dass man sich den
lebenslänglich Steine rollenden Sisyphos aus der griechischen Mythologie
„als glücklichen Menschen vorstellen“ müsse, lässt sich davon nicht
schrecken: „Scheitern ist immer eine Möglichkeit“, sagt er: „Aber so ist
meine Welt.“
taz.meinland: „Kein schöner Land?“ Robert Habeck im Gespräch mit Barbara
Junge und Jan Feddersen. So, 30. April, 14.30 Uhr, Nordkolleg, Am
Gerhardshain 44, 24768 Rendsburg
28 Apr 2017
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Landtagswahl Schleswig-Holstein
Wahlkampf
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