| # taz.de -- Grüne Fraktion in Berlin: „Wir sehen uns als Schwungrad“ | |
| > Fraktionschefin Antje Kapek sieht ihre Partei trotz schlechter | |
| > Umfragewerte auf dem richtigen Kurs. Sie legt sich nicht auf R2G nach der | |
| > Bundestagswahl fest. | |
| Bild: „Politik ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint“: Antje Kapek, grü… | |
| taz: Frau Kapek, fünf Jahre lang waren Sie Teil einer Oppositionsfraktion, | |
| die mantraartig davon sprach, den Senat vor sich herzutreiben. Nun ist | |
| dieser Senat zu einem Drittel grün – treiben Sie ihn noch? | |
| Antje Kapek: Nein, das müssen wir nicht mehr. Wir, die | |
| Fraktionsvorsitzenden der Koalition, sehen uns als einen wärmenden und | |
| Rahmen gebenden Mantel. Wir sind ein wichtiger Begleitkreis des Senats und | |
| ein eigenständiger Teil der Koalition, der hervorragend zusammenarbeitet. | |
| Wir können Berlin nun endlich voranbringen, im kooperativen Stil. | |
| Und wie ist das über die Chefs hinaus? Haben in Ihrer Fraktion inzwischen | |
| alle 27 Abgeordneten umgeschaltet? Oder müssen Sie noch manche zügeln, im | |
| Parlament wie jahrelang kritische Fragen an SPD-Senatoren zu richten? | |
| Jeder und jede ist ja Teil von Koalitionsrunden, auch die Fachpolitiker, | |
| die sich alle ein bis zwei Wochen regelmäßig treffen. Und nun hat man den | |
| Senat als Ansprechpartner direkt dabei und kann Einfluss nehmen, anders als | |
| eine Oppositionsfraktion. | |
| Letztlich bleiben es aber drei Parteien, und an diesem Freitag geht Ihre | |
| Fraktion vor allem zum Thema Wohnen und Mieten, wo die Senatorin der | |
| Linkspartei angehört, in Klausur. Was ist gerade hier die Rolle der | |
| Fraktion: Zulieferin der Konkurrenz? Kritikerin? | |
| Wir haben ja einen sehr umfangreichen Koalitionsvertrag miteinander | |
| vereinbart – das ist ein echter Fundus, aus dem wir schöpfen können. | |
| Nichtsdestotrotz gibt es eine Aufgabenteilung zwischen Senat und | |
| Fraktionen: Bei unserer grünen Klausur stellen wir deshalb die | |
| Bezirkspolitik und das grüne Konzept einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit | |
| in den Mittelpunkt. | |
| Neue Wohnungsgemeinnützigkeit – was soll das sein? | |
| Das ist eine ganz einfache Idee: Bei privaten Anbietern von Wohnungen | |
| werden Steuern erlassen oder gesenkt, wenn sie dauerhaft gemeinnützige, | |
| bezahlbare Wohnungen bereitstellen. So können Tausende Wohnungen für | |
| Berliner Familien entstehen. Gerade wir als Grüne sehen uns als | |
| Innovatoren, als Ideenentwickler und insofern als Schwungrad einer solchen | |
| Regierung. | |
| Auf Landesebene ist viel ausgereizt, um Mieten zu begrenzen – | |
| Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Mietpreisbremse, Sanierung, die weniger | |
| stark auf die Mieter umgelegt werden darf. Auf Bundesebene ist aber noch | |
| Potenzial. | |
| Wir haben, glaube ich, alles, was auf der Landesebene möglich ist, in | |
| unserem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag geregelt … | |
| Na ja, viel hatte die SPD ja schon unter Rot-Schwarz abgeräumt… | |
| Angestoßen – man muss zugeben, dass Herr Müller und Herr Geisel [frühere | |
| SPD-Stadtentwicklungssenatoren, d. Red.] viel angestoßen haben, was | |
| Vorgängerregierungen liegen gelassen hatten. Aber die | |
| Zweckentfremdungsverbotsverordnung … | |
| … ein schreckliches Wort. | |
| Heißt aber nun mal so. Also, da ist schon einiges nachzubessern. In der | |
| Klausur schauen wir zum einen auf die Bezirksebene und fragen, wie wir | |
| Landesregelungen dort konkret umsetzen können. Dafür sind auch unsere fünf | |
| grünen Baustadträte dabei. Dadurch geht der Blick aber auf die Bundesebene, | |
| weil vieles nur dort zu verbessern ist – das ganze Baugesetzbuch ist ja | |
| Bundesrecht. Das kann man über Bundesratsinitiativen machen, aber besser | |
| über eine Mehrheit im Bundestag. Deshalb muss die Stimme bei der Wahl am | |
| 24. September nicht nur eine gegen Populismus und für ein freies Europa | |
| sein, sondern auch für ein neues Mietrecht. | |
| Was zu der Frage führt: Welche Mehrheit soll das nach der Wahl beschließen? | |
| Wer will, dass das angeschoben wird, muss die Grünen wählen. Wenn Sie | |
| wissen wollen, mit welchem Partner das funktioniert – da muss man in | |
| Wahlprogramme der anderen Parteien schauen. | |
| Jetzt sagen Sie auch nicht gleich: mit R2G. Die SPD streitet ja gerade | |
| darüber, ob Berlin als Vorbild für die Bundesebene dienen kann: Parteichef | |
| Müller mag es nicht empfehlen, Fraktionschef Saleh hingegen schon. Und Sie? | |
| Wir kämpfen für starke Grüne – nur mit uns gibt es eine Alternative zur | |
| bestehenden Politik. Uns geht es um echte Veränderungen: weg von dreckiger | |
| Kohle, für die Ehe für alle und ein Einwanderungsgesetz. Wir wollen dieses | |
| Land voranbringen: ökologisch, weltoffen und gerecht. Darum geht es und | |
| nicht um die Frage, wer mit wem. Das entscheiden letztlich die Wählerinnen | |
| und Wähler. | |
| Aber was sagen Sie denn Ihren Bundespolitikern, wenn die Sie fragen und von | |
| Ihnen eine Einschätzung zu R2G haben wollen? | |
| Meine Bundesvorsitzenden wissen, was Stand der Dinge in den grün | |
| mitregierten Bundesländern ist – wir sind selbstverständlich im | |
| regelmäßigen Austausch. Und mit R2G in Berlin packen wir die Probleme der | |
| Stadt endlich an. | |
| … die Sie vor allem wo sehen? | |
| Bei den Bürgerämtern, beim Wohnungsbau und bei der Schulsanierung. Politik | |
| hängt aber sehr stark von den handelnden Personen ab, und die sind im Land | |
| andere als im Bund. Deshalb finde ich es zum jetzigen Zeitpunkt nicht | |
| hilfreich, eine Prognose abzugeben. Hilfreicher finde ich stattdessen, | |
| darauf hinzuweisen, dass wir offensichtlich eine große | |
| Politikverdrossenheit in Deutschland verzeichnen, und nicht nur hier – das | |
| werden wir ja auch am Sonntag bei der Wahl in Frankreich sehen. | |
| Da wir schon bei Frankreich sind: Können Sie nachvollziehen, dass dort | |
| Teile der Linken einen Sieg von Marine Le Pen riskieren, weil sie nicht für | |
| Emmanuel Macron stimmen wollen, den einzig verbliebenen anderen Kandidaten? | |
| Nein, das kann ich nicht. Leider findet sich diese politisch | |
| verantwortungslose Haltung nicht nur bei der französischen Linken, sondern | |
| auch bei der deutschen. Wenn ich mich nicht für Macron ausspreche, bedeutet | |
| das ganz klar, dass ich billigend einen Sieg der extremen Rechten in Kauf | |
| nehme, was nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa fatal und | |
| brandgefährlich wäre. | |
| In der jüngsten Meinungsumfrage sacken die Grünen, bei der | |
| Abgeordnetenhauswahl noch bei 15,2 Prozent, auf müde 12 Prozent ab, ihren | |
| schlechtesten Wert seit 2006. Was machen die Grünen falsch? | |
| Wenn man sich die Ressortverteilung in der Koalition anschaut, sieht man, | |
| dass wir Grünen vor allem in langfristige Maßnahmen investieren: in das | |
| Klima-Stadtwerk oder in Busse, Bahnen und Radverkehr. Berlin gerechter, | |
| sozialer und ökologischer zu machen ist nicht in 100 Tagen zu schaffen. Das | |
| gilt auch für das wichtige Thema Antidiskriminierung. | |
| Über mangelnde Aufmerksamkeit können Sie sich trotzdem nicht beklagen. Was | |
| vor allem von Ihrem Verkehrsstaatssekretär Kirchner zu Autoverkehr, | |
| Fahrspuren und Parkgebühren zu hören war, sorgte für viele Diskussionen. | |
| Meine Erfahrung mit solchen Umfragen ist, dass sie ein Schnappschuss dessen | |
| sind, was vor ein oder zwei Monaten war. Und deshalb ist die Frage nicht, | |
| was die Grünen falsch gemacht haben – wir haben in Ruhe unsere Ideen | |
| abgearbeitet. Andere haben für mehr Aufmerksamkeit gesorgt … | |
| Sie meinen die Linke mit der Holm-Affäre … | |
| Ich meine das insgesamt. Politik ist aber eher ein Marathonlauf als ein | |
| Sprint. Es dauert, bis Ergebnisse sichtbar werden und in der Breite | |
| ankommen. Unsere Sympathisanten sind zudem sehr kritisch und haben höchste | |
| Ansprüche. Aber wir werden das erste Bundesland sein, das ein | |
| Mobilitätsgesetz hat … | |
| … das aber auch erst mal nur Stück Papier ist. | |
| Das stimmt ja nicht, denn das Geld dafür steht bereit. | |
| In der Praxis ist damit aber auch noch kein einziger Radwegkilometer | |
| gebaut. | |
| Es muss erst gebaut werden, klar, und das dauert natürlich. Ein bis zwei | |
| Jahre wird das in Anspruch nehmen. Dann aber, das sage ich voraus, werden | |
| alle begeistert sein. Ich erinnere nur an die Einführung der Busspuren. Da | |
| war der Aufschrei damals riesengroß, und heute kann man sich Berlin nicht | |
| ohne Busspuren vorstellen. | |
| 5 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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