# taz.de -- Rot-Rot-Grün in Berlin vor der Klausur: „Startschuss für den Au… | |
> Die Koalition stellt ihr 100-Tage-Programm vor. Die grünen | |
> Fraktionschefinnen Silke Gebel und Antje Kapek über dessen Inhalt, den | |
> Fall Holm und Panzerfaust-Radler. | |
Bild: „Große Worte gehören zum politischen Spiel“: Die grünen Fraktionsc… | |
taz: Frau Gebel, Frau Kapek, am heutigen Montag sitzt der Senat samt | |
Fraktionschefs in Klausur zusammen. Was soll diese Sitzung bringen? | |
Antje Kapek: Sie soll der Öffentlichkeit das 100-Tage-Programm des Senats | |
vorstellen. | |
Das Programm selbst steht schon? | |
Silke Gebel: Dieses Programm ist quasi das Destillat des | |
Koalitionsvertrags. Es ist der Startschuss für den Aufbruch, den wir als | |
rot-rot-grüne Koalition für diese Stadt erreichen wollen. | |
Stehen da nur Dinge drin, die in 100 Tagen erledigt werden? Oder auch | |
welche, die der Senat bloß anschieben will? | |
Kapek: Das ist unterschiedlich. Die Idee von 100 Tagen ist schon, dass man | |
da Dinge in Gang bringt, die auch in 100 Tagen zu schaffen sind – | |
vielleicht sind es auch mal 120 Tage. Da bitten wir um Kulanz. | |
Wie würden Sie das Klima in der Koalition nach dem ersten Monat | |
beschreiben? | |
Kapek: Wir waren jetzt alle im Urlaub und sind wieder entspannter … | |
… was ja auch nötig war. „Koalition auf Messers Schneide“, titelte eine | |
Zeitung nach dem Krisentreffen Mitte Dezember wegen des Streits über den | |
Stasi-belasten Staatssekretär Andrej Holm. | |
Kapek: Dass wir Urlaub brauchten, lag nicht an der Koalition, sondern | |
daran, dass wir alle ein sehr hartes Jahr hinter uns hatten mit Wahlkampf, | |
Koalitionsverhandlungen und dann dem Anschlag. | |
Sie klangen aber ziemlich verärgert, als Sie sich darüber äußerten, dass | |
viele Interna aus einer streng vertraulichen Sitzung der Koalition nach | |
außen drangen. | |
Kapek: Das stimmt. Ich glaube, dass interne Sitzungen auch vertraulich sein | |
müssen. Wir werden da mit Sicherheit noch mal drüber sprechen. | |
War das jetzt das letzte Durchstechen von Infos? | |
Kapek: Ich kann das nur hoffen. | |
Kann sich die Koalition denn auf Inhalte konzentrieren, solange die Causa | |
Holm nicht geklärt ist? | |
Kapek: Sie ist ja so weit erst mal geklärt. | |
Das wäre uns neu – ob Holm Staatssekretär bleibt, ist völlig offen. | |
Kapek: Ich verstehe das mediale Interesse, weil es ja gar nicht so sehr um | |
ihn als Menschen und um das geht, was er getan oder nicht getan hat, | |
sondern weil es symbolisch um zwei große gesellschaftliche Themen geht. | |
Welche denn? | |
Kapek: Zum einen die mieten- und wohnungspolitische Debatte in dieser | |
Stadt. Sie hat in den letzten zehn Jahren an Brisanz gewonnen und spiegelt | |
sich in Holm als Gentrifizierungskritiker. In dieser Rolle wird er zu Recht | |
unterstützt – mit der Hoffnung, dass künftig nicht die Immobilienwirtschaft | |
den Ton angibt, sondern dass wir zu einer nachhaltigen Wohnungs- und | |
Stadtentwicklungspolitik kommen. | |
Und das zweite Thema? | |
Kapek: Offensichtlich gibt es noch einen großen gesellschaftlichen Bedarf, | |
über unsere deutsch-deutsche Vergangenheit zu sprechen – was sich auch in | |
dieser Koalition zeigt. Es ist darum nicht nur wichtig, dass wir uns mit | |
der Stasi-Vergangenheit auseinandersetzen – da erwarte ich vom | |
Kultursenator, dass er die entsprechenden Schritte in die Wege leitet –, | |
sondern auch mit der Frage: Brauchen wir einen Aussöhnungsprozess? | |
Sie würden das mit Ja beantworten? | |
Kapek: Ich bin Westberlinerin, Jahrgang 1976. Meine Eltern wurden von | |
beiden Seiten beobachtet – aber ich selbst bin kein Opfer. Nach den | |
Reaktionen, die ich jetzt bekommen habe, habe ich allerdings das Gefühl, | |
dass wir einen solchen Dialogprozess brauchen. | |
Frau Gebel, Sie sind keine Westberlinerin. | |
Gebel: Ich bin Westdeutsche. | |
Und das lässt Sie die Sache wie sehen? | |
Gebel: Mein Wahlkreis ist in Alt-Mitte. Ich bin deshalb viel im Ostteil der | |
Stadt unterwegs, auch durch mein Bürgerbüro in Lichtenberg, einem Bezirk, | |
der mit diesem Thema besonders viel zu tun hat … | |
… weil dort die Stasi-Zentrale und ihr Gefängnis waren. | |
Gebel: 27 Jahre nach dem Mauerfall muss man sich aber fragen: Sind unsere | |
Herangehensweisen noch die richtigen? Das kann man aber nicht anhand eines | |
Menschen diskutieren, sondern muss das abstrakt machen und es dann wieder | |
auf den konkreten Fall runterbrechen. Dafür muss die Politik Regelungen | |
schaffen, die nicht für den Einzelfall gelten, sondern Allgemeingültigkeit | |
haben. | |
Im Fokus der Causa Holm steht allerdings längst nicht mehr, was ein | |
19-Jähriger ein paar Monate bei der Stasi gemacht hat, sondern wie ein | |
35-Jähriger 2005 an der Humboldt-Universität seinen Lebenslauf geschönt hat | |
und deshalb überhaupt im öffentlichen Dienst noch tragbar ist. | |
Kapek: Da gibt es ein klares Verfahren. | |
Und wie sieht das aus? | |
Kapek: Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass Holm Staatssekretär | |
bleibt und die inhaltliche Arbeit aufnimmt. Er ist wie fast jeder neue | |
Staatssekretär auf Probe benannt und nach einem Jahr wird der Senat | |
eruieren, ob er Beamter auf Lebenszeit wird. Es ist klar, dass es ein | |
Untersuchungsverfahren an der HU gibt. Und nicht nur ich habe schon | |
öffentlich gesagt, dass, wenn die HU zu dem Schluss kommt, dass Holm nicht | |
tragbar ist, die Senatorin die entsprechenden Konsequenzen ziehen würde. | |
Sie meinen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei? | |
Kapek: Sie ist die Einzige, die das entscheiden kann. Darum liegt die | |
politische Verantwortung bei ihr, auch wenn wir uns zusammen entschieden | |
haben, diesen nicht einfachen Weg zu gehen. | |
Uns kommt es eher so vor, als mache es sich die Linkspartei, aber auch der | |
Senat in Gänze ziemlich einfach. Sie überlassen es schlicht und ergreifend | |
der HU, den Daumen zu senken oder zu heben. | |
Kapek: Es wird nicht bloß abgewartet, wie die HU entscheidet. Es gibt auch | |
eine Prüfung durch die Stasi-Unterlagenbehörde und andere Verfahren | |
formaler Natur in der Hoheit von Frau Lompscher. Darüber müssen Sie mit ihr | |
sprechen. | |
Lassen Sie uns über den Volksentscheid Fahrrad reden, Verkehr ist ja | |
zentrales Thema der Grünen. Am Freitag haben sich die Initiative und die | |
neue grüne Verkehrssenatorin erstmals an einen Tisch gesetzt. Was können | |
Sie der Initiative bieten, damit die nicht mit dem Volksentscheid drohen | |
muss? | |
Kapek: Wir haben uns ganz klar im Koalitionsvertrag dazu bekannt, nicht nur | |
ein Radgesetz, sondern – viel weitergehender – ein Mobilitätsgesetz auf den | |
Weg bringen zu wollen, das Regeln zum Rad-, aber auch zum Fuß- und | |
Nahverkehr beinhaltet. Und ganz ehrlich: Ich verstehe die Debatte der | |
vergangenen Tage nicht … | |
… Sie meinen die am Dienstag von der Initiative geäußerten Zweifel und die | |
Kritik am Koalitionsvertrag … | |
Kapek: … und ich verstehe auch die Initiative nicht, wenn sie die eigenen | |
Erfolge, die wir längst politisch zugesichert haben, wieder in Frage | |
stellt. Ich finde es wenig kreativ, wenn immer wieder die gleiche Kritik | |
kommt. Wir sind kurz davor, ein Fahrradbündnis auf den Weg zu bringen. Und | |
die Grünen-Fraktion hält am Zeitplan fest: Im März wird das Gesetz | |
verabschiedet! Meine Bitte: Die Initiatoren sollten sich mal nicht mit der | |
Panzerfaust, sondern mit der Planungszelle äußern und Vorschläge machen, | |
was über ihren Entwurf hinausgehend umgesetzt werden sollte. | |
Haben Sie Ideen? | |
Kapek: Ich kann mir vorstellen, auch das Thema Leihfahrradsystem noch ins | |
Gesetz mit aufzunehmen; das könnte man sogar in das Tarifsystem des VBB | |
einpassen. | |
Die Initiative hat Angst vor einem „Papiertiger“, ihre – wie Sie sagen – | |
„Panzerfaust“ versucht halt, Druck zu machen. | |
Gebel: Große Worte gehören zum politischen Spiel. Ich glaube, dass in der | |
Stadt angekommen ist, dass mit einer grünen Verkehrssenatorin die | |
Verkehrswende eingeleitet wird. Da gibt es einen Vertrauensvorschuss an uns | |
Grüne, auch aus dem Umfeld der Initiative. Wir haben immer gesagt, eine | |
andere Mobilitätspolitik hat für uns hohe Priorität; das wird sich | |
politisch niederschlagen und da werden sich die Forderungen der Initiative | |
wiederfinden. | |
Die Initiative fordert immer wieder eine Verlässlichkeit, also das | |
Festschreiben konkreter Ziele. | |
Kapek: Wir haben doch sogar schon die Finanzierung vereinbart. Eine festere | |
Zusage, als das Geld im Haushaltsplan festzuschreiben, gibt es doch gar | |
nicht bei Politikern! Das Mobilitätsgesetz wird auch, so viel kann ich | |
verraten, im 100-Tage-Programm der Koalition stehen. | |
Frau Gebel, Sie sind neu als Fraktionschefin. Haben Sie eine | |
Aufgabenteilung mit Frau Kapek? | |
Gebel: Werden wir haben. Wie die aussieht, ist noch offen. Bisher sind ja | |
noch nicht mal die Ausschüsse im Abgeordnetenhaus konstituiert. | |
Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt? | |
Gebel: Wir waren als Grüne mit kurzen Ausnahmen in Berlin immer in der | |
Opposition. Jetzt betreten wir ganz neues Terrain, als Regierungsfraktion, | |
in einer historischen Koalition, auf die viele aufmerksam blicken. Das als | |
Vorsitzende mitzugestalten, Geschlossenheit einzuhalten, gemeinsam was | |
hinzubekommen, bessere Politik für Berlin zu machen und auch einen grünen | |
Regierungserfolg aufzuzeigen – das finde ich spannend und dafür werde ich | |
hart arbeiten. | |
Wird es schwierig werden, die grüne Fraktion zusammenzuhalten? | |
Kapek: (schüttelt den Kopf) | |
Gebel: Wir Grüne wollen alle gut regieren und dazu gehört Teamgeist. Das | |
ist Teil einer neuen politischen Kultur, die wir als Rot-Rot-Grün in die | |
Stadt tragen wollen – und da fangen wir bei uns an. Es wurde ja immer | |
gesagt: Wir sind zum Erfolg verdammt. Es gibt Leute in der Stadt, die | |
wollen, dass wir scheitern. Und denen möchte ich keinen Grund zur Freude | |
geben. | |
Was erwarten Sie von der Opposition aus CDU, AfD und FDP? Das ist ja ein | |
starker konservativer Block, auch die Richtung ist erkennbar. | |
Kapek: Ich glaube nicht, dass der Block homogen ist. Es gibt da eine | |
unterschiedliche Haltung und Reflektiertheit in der Wahrnehmung der | |
Berliner Landespolitik. Und ich hoffe, dass sich da noch einige finden | |
werden, um eine konstruktive und auch verantwortungsvolle Oppositionsarbeit | |
zu machen. | |
Sie meinen die CDU? | |
Kapek: Ja. Es ist verständlich, dass man sich nach so einem Wahlergebnis | |
auch erst mal finden muss … | |
… die Union bekam nur 17,8 Prozent bei der Wahl im September. | |
Kapek: Man darf der Union deswegen auch innerparteiliche Streitigkeiten | |
nicht anlasten. Das ist nicht ungewöhnlich, das kennt jede Partei aus | |
eigener Geschichte. Aber sie sollte aufpassen, dass sie nicht in den reinen | |
Populismus abrutscht. | |
Sie spielen auf die Reaktionen nach dem Anschlag am Breitscheidplatz an. | |
Kapek: Wir haben am Anfang alle mit der gleichen Betroffenheit darauf | |
reagiert. Dann haben sich die Wege geteilt bei der Frage: Wie gehen wir | |
jetzt damit politisch um? Wie erreichen wir tatsächlich mehr Sicherheit für | |
Berlin? Da hat Innensenator Andreas Geisel eine gute und | |
verantwortungsbewusste Rolle gespielt, früh alle Fraktionsvorsitzende | |
eingeladen und den Informationsstand weitergegeben, den sie brauchen, um | |
einer solchen Situation gerecht zu werden – und nicht Dinge zu behaupten, | |
die sich so nicht bestätigt haben. Am kommenden Donnerstag wird es sicher | |
eine interessanten Schlagabtausch im Parlament geben nach der | |
Regierungserklärung von Michael Müller – und da wird sich zeigen, wie | |
verantwortungsbewusst die Opposition mit dem Thema umgeht. | |
Die CDU hat angekündigt, bei Anträgen im Parlament nicht zu schauen, wer | |
sie stellt, sondern was drinsteht. Was machen die Grünen, wenn die AfD noch | |
100 Kilometer mehr Radwege fordern? | |
Kapek: Wir werden das Problem nicht haben: Zwischen unseren Positionen und | |
denen der AfD gibt es so gut wie keine Schnittpunkte. Bei der CDU war das | |
Wahlprogramm zu 75 Prozent deckungsgleich mit dem der AfD. Die Union steht | |
da unter ganz anderem Zugzwang. Was ein Grund mehr ist, nicht populistisch | |
zu agieren, sondern eine starke Sachpolitik zu machen. Sonst schwächen sie | |
sich immer weiter. | |
Wie schätzen Sie die AfD ein? | |
Kapek: Die AfD wird, wenn man sie nur machen lässt, sich von ganz alleine | |
entzaubern. | |
9 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
Stefan Alberti | |
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