# taz.de -- Debatte Jamaika-Koalition: Der Grünen Himmelreich | |
> Die Grünen sollten mutig auf ein Jamaika-Bündnis setzen. Rechnerisch und | |
> inhaltlich wäre das die beste Wahl. Eine Antwort auf Ulrich Schulte. | |
Bild: Come together: Haben die Grünen mit Schwarz und Gelb bessere Chancen? | |
Der französische Mathematiker und christliche Philosoph Blaise Pascal hat | |
im 17. Jahrhundert eine ebenso einfache wie bestechende Rechnung | |
aufgemacht: Es spreche stets mehr dafür, an Gott zu glauben als an das | |
Nichts. Wer nämlich an den Schöpfer glaube, werde im Falle seiner | |
tatsächlichen Existenz üppig entlohnt (Himmelreich), verliere aber auch | |
nichts, wenn es ihn nicht gibt. Der Ungläubige hat bei der Pascal’schen | |
Wette schlechtere Karten: Existiert kein Gott, gewinnt oder verliert auch | |
er nichts, gibt es ihn aber doch, scheitert er total (Hölle). | |
Pascals Gedanken gibt es als Reclam-Taschenbuch, und ein paar Exemplare | |
wären eine gute Investition für die Bundesgeschäftsstelle der Grünen. Denn | |
für eine kühl kalkulierte Kosten-Nutzen-Rechnung der Handlungsoptionen in | |
den verbleibenden vier Monaten bis zur Bundestagswahl ist jetzt genau der | |
richtige Zeitpunkt. | |
Im jüngsten Politbarometer verlor die Ökopartei erneut einen Punkt und | |
liegt jetzt bei 7 Prozent, gleichauf mit der AfD und hinter FDP und Linken. | |
Nicht einmal vom Abflauen des Hypes um Martin Schulz konnte die Partei | |
profitieren. Die als profillos empfundene Anschlussfähigkeit nach allen | |
Seiten funktioniert erkennbar nicht, weil potenzielle Grünwähler vor den | |
Wahlen nicht wissen, welche Regierung sie bekommen. | |
## Jünger fallen vom Glauben ab | |
So ist der erwartete Gewinn bei einem bündnispolitischen Neustart ungleich | |
höher als beim „Krönchen richten und weitermachen“-Kurs der | |
Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Und bei diesem Neustart spricht | |
alles für ein Bündnis mit der CDU. | |
Der Reihe nach: Der Glaube an die Machtperspektive Rot-Grün dürfte selbst | |
den unerschütterlichsten Jüngern vergangen sein, eine solche Mehrheit ist | |
schlicht unerreichbar. Und weil Sahra Wagenknecht nicht ablässt, vom | |
verbotenen, süßen Apfel des Populismus zu kosten, und die Linke es versäumt | |
hat, sich realpolitisch zu erneuern, gilt auch Rot-Rot-Grün als praktisch | |
ausgeschlossen. | |
Ein Bündnis mit der Union hat hingegen unter vielen Funktionären und | |
Anhängern der Grünen seinen Schrecken verloren. Auch aufgrund der | |
Erfahrungen in Hessen und Baden-Württemberg. | |
Natürlich sollte Politik bei aller Freude an Wetten und Zahlenspielen nicht | |
von rein mathematischen Größen bestimmt sein. Doch auch bei einem Blick auf | |
die Inhalte haben die Schwarz-Grün-Befürworter gute Argumente. Denn dass | |
die Grünen „einfach näher bei der SPD stehen“, wie es [1][Ulrich Schulte | |
vergangene Woche an dieser Stelle] schrieb, ist gerade mit Verweis auf die | |
Realisierungschancen der besonders wertvollen Kernthemen der Partei nicht | |
erkennbar. | |
Sollten die Grünen Teil der künftigen Bundesregierung sein, bestünde ihre | |
wichtigste Aufgabe darin, einen konsequenten Kohleausstieg einzuleiten, | |
der, wenn uns der Klimavertrag von Paris etwas wert ist, 2030 abgeschlossen | |
sein muss. Doch der Kohleausstieg wird im Kapitel „Energiewende vollenden“ | |
im Programmentwurf der Sozialdemokraten zur Bundestagswahl nicht nur mit | |
keiner Silbe erwähnt – es besteht auch berechtigter Anlass zur Sorge, dass | |
die SPD diesen nach Kräften hintertreiben würde. | |
Die Bemühungen von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, eine Abkehr | |
vom klimaschädlichsten Energieträger auf den Weg zu bringen, werden seit | |
Jahren zumeist von eigenen Parteikollegen teils brüsk zurückgewiesen. | |
Zuletzt ließ der Landesverband NRW mitteilen: „Wir brauchen die Braunkohle | |
noch lange, um mit ihr die Energiewende zu bewältigen.“ | |
Dieser Kurs – der den Kernanliegen grüner Programmatik fundamental | |
widerspricht – ist eine klimapolitische Bankrotterklärung der | |
Sozialdemokraten. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich die SPD im | |
Schnelldurchlauf ihrer strukturellen Verbundenheit mit dem Kohlemilieu | |
entledigt. Da der CDU diese Wurzeln fehlen, dürfte sie grundsätzlich der | |
flexiblere Ansprechpartner beim wichtigsten grünen Programmpunkt sein. | |
Auch bei der Verkehrswende steht es 1:0 für Schwarz-Grün. Es ist die | |
baden-württembergische Landesregierung, die wegen der Abgasbelastung | |
konkret mit Fahrverboten droht. Währenddessen ist es im Autoland | |
Niedersachsen erstaunlich ruhig. Dabei haben die mitregierenden Grünen die | |
komfortable Situation, den Kabinettstisch mit einem Ministerpräsidenten zu | |
teilen, der als Aufsichtsratsmitglied bei Europas größtem Autobauer über 20 | |
Prozent des Stimmgewichts verfügt. Dass die Landes-SPD lautstark ihren | |
Einfluss nutzt, um den Konzern zu einem Treiber der Verkehrswende zu | |
machen, ist indes nicht überliefert. | |
## Verbündeter für Bürgerrechte | |
Da Dreierbündnisse wahrscheinlicher werden, könnte nach der Bundestagswahl | |
auch die FDP auf der schwarz-grünen Regierungsbank Platz nehmen. Wer dabei | |
kulturelle Unterschiede geltend macht, sollte auch hier kühl rechnen und | |
auf die Kernthemen schauen. Denn mit der FDP hätten die Grünen einen | |
Verbündeten, um ihr zentrales Anliegen einer offenen Gesellschaft und | |
solider Bürgerrechte gegenüber der CDU durchzusetzen. | |
Die Liberalen bieten sich als Partner bei der Abschaffung der | |
Vorratsdatenspeicherung und der Eindämmung von Onlinedurchsuchungen ebenso | |
an wie bei der Durchsetzung der Ehe für alle. Vor allem seit die SPD ihre | |
Liebe zur Law-and-Order-Seite wieder entdeckt, 15.000 neue Polizisten | |
einstellen, Ausländer rigoros abschieben und die Zusammenarbeit der | |
Sicherheitsbehörden stärken will, ist nicht ersichtlich, dass sie für die | |
Grünen die bessere Wahl wären. | |
Sicher, ein starkes Plädoyer für ein Jamaika-Bündnis im Bund wäre für die | |
Partei ein Kraftakt, und die programmatischen Differenzen bei der | |
Agrarwende und in der Finanzpolitik würden eine hohe Hürde darstellen. | |
Zumindest das Argument der kommunizierenden Röhren im linken Lager ist seit | |
der NRW-Wahl schon einmal ausgeräumt. Und mit Blick auf den erwarteten | |
Gewinn eines „Weiter so“ wäre ein mutiges Bekenntnis zur auch inhaltlich | |
gebotenen Koalition mit CDU und FDP der richtige Schritt. | |
Also, riskiert es, liebe Grüne, wir brauchen euch. Und in diesem Punkt | |
pflichte ich Ulrich Schulte bei: Ja, wir wollen euch kämpfen sehen! | |
24 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Kurt Stukenberg | |
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