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# taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen: Das neue Zwischenwohnen
> Viele neu gebaute Häuser für Flüchtlinge sind durch eine Ausnahme im
> Baurecht entstanden. Ganz selbstbestimmt können Flüchtlinge hier nicht
> wohnen.
Bild: Wieviel Familie passt in eine Zweizimmerwohnung?
Berlin/Hamburg/Münster taz | Es ist eine schlichte Zweizimmerwohnung mit
Küche, Bad und Balkon, doch am Eingang stapeln sich die Turnschuhe und
Schlappen von vier jungen Männern und in den beiden Zimmern stehen jeweils
zwei Betten.
„Auf jeden Fall besser als im Heim“, sagt der 19-jährige Mohammad Janat.
„Ich finde es nicht schlimm, zu zweit in einem Zimmer zu leben.“ Die
Wohnung ist für ihn ein wichtiger Schritt, als nächstes möchte er eine
Ausbildung anfangen. Sein Mitbewohner Mohammad Alokleh stimmt nur
halbherzig zu. „Für mich ist es schwierig“, sagt der 23-Jährige, der sich
eher nach einer eigenen Familie als einer WG sehnt. „Ich brauche etwas mehr
Ruhe zum Lesen und Lernen.“
Das zweite Zimmer bewohnen zwei Brüder. Seit fünf Monaten leben die vier
Männer aus Syrien zusammen, in der dritten Etage eines Neubaus in
Hamburg-Jenfeld. Dort hat die Stadt 2016 zwölf baugleiche, dreistöckige
Gebäude mit großen Balkonen fertiggestellt, mit Fahrradstellplätzen vor den
Eingängen und Grill- und Spielplätzen dazwischen. Platz für rund 800
Flüchtlinge. Die Wohnungen entsprechen dem Standard des sozialen
Wohnungsbaus, allerdings mit höherer Belegung. Möglich ist dies, weil die
Anlage von dem städtischen Träger „Fördern und Wohnen“ (F&W) betrieben w…
und damit unter die Regeln öffentlicher Unterbringung fällt.
Wie Hamburg haben auch viele andere Städte im letzten Jahr neue Unterkünfte
gebaut, für Flüchtlinge, die das Asylverfahren bereits hinter sich, aber
noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Eine Ausnahme im Baurecht erlaubt
schnelleres Bauen wenn es um Wohnraum für Flüchtlinge geht. Die
Grundvoraussetzungen dafür setzen die Städte unterschiedlich um: als
lockere Beratungsangebote, aber auch als strikte Kontrolle der
BewohnerInnen. Die Gemeinschaftsunterkünfte, die so entstanden sind liegen
vom Bau oder von der Belegung her unterhalb des üblichen Standards.
## Mehr Kontrolle, mehr Konflikte
In Hamburg heißt das Programm „Unterkunft mit Perspektive Wohnen“ (UPW),
die Betreiber sollen Flüchtlinge dabei unterstützen, das „selbstständige
Wohnen“ zu lernen. Alokleh und Janat wissen, dass sie sich bei Fragen zu
Telefonrechnungen, Anträgen oder Mietverträgen an die Mitarbeiter wenden
können, haben sonst aber kaum Kontakt zu den Betreibern. Das Gelände ist
von allen Seiten frei zugänglich, der Zaun soll laut der F&W-Sprecherin vor
allem „verhindern, dass mal ein Ball wegrollt“. Die Frage, ob es einen
Sicherheitsdienst gibt, stößt bei ihr auf Unverständnis. Dazu gäbe es
keinen Anlass.
Berlin baut derzeit rund 30 Wohnblöcke für jeweils 450 Menschen in
Modulbauweise, die über die ganze Stadt verteilt werden sollen, weitere 30
sind geplant. Eine der fünfstöckigen Anlage in Marzahn ist seit Februar
bewohnt. Das Gelände ist rund um die Uhr bewacht, das Landeskriminalamt
hält dies für notwendig. Es gibt Kontrollgänge und im flachen
Eingangsgebäude sitzen Sicherheitsdienstmitarbeiter. Rein kommt nur, wer
einen Heimausweis vorzeigen kann.
Alleinstehende Männer teilen sich auch hier zu zweit ein Zimmer, 16
Quadratmeter groß, mit Gemeinschaftsküche und -bad auf dem Flur. Auch
dadurch sind sie stärker der Kontrolle durch die Betreiber ausgesetzt.
Bewohner berichten von regelmäßigen Konflikten. Wasserkocher und andere
elektronische Geräte sind in den Zimmern verboten. Die Einrichtung ist auch
heute noch mangelhaft: Vor den Duschen baumeln zwar Ringe an einer Stange,
doch die Duschvorhänge fehlen, ebenso die Handtuchhaken,
Toilettenpapierhalter und Ablagen für Kleidung oder Zahnbürsten. Auf dem
unbehandeltem Beton im Treppenhaus hinterlässt jeder nasse Schuh dauerhafte
Spuren, sodass es inzwischen verdreckt und ungepflegt aussieht.
Familien sind im Erdgeschoss untergebracht, in rund 46qm großen Wohnungen
mit zwei Zimmern, Küche und Bad. Auch sieben- oder achtköpfige Familien
leben auf zwei Zimmern. Walid Sleman und seine Frau haben die drei Betten
nebeneinander geschoben, um Wohnfläche zu sparen. „Mein Mann schläft am
Rand, daneben das Baby und ich, und unsere große Tochter quer am Fußende“,
erklärt Sleman. Kinderbetten gibt es nicht. Die drei Söhne schlafen im
Nebenzimmer. In der Wohnküche ist Platz für einen Esstisch und Regale,
allerdings hat der Raum keine Fenster.
## In Hamburg hofft man auf eine gute Mischung
Eng ist es auch bei der Familie des 16-jährigen Ali, der mit seiner Mutter
und fünf Geschwistern in einer Unterkunft in Münster lebt. Sie haben zwei
Wohneinheiten zugewiesen bekommen, beide sind knapp 40 Quadratmeter groß,
in einem zweistöckigem Gebäude, in dem insgesamt 100 Menschen leben. Die
Unterkunft wirkt hell und offen, Ehrenamtliche und BesucherInnen gehen ein
und aus, SozialarbeiterInnen und eine Jobberatung sind vor Ort.
Security sei nicht nötig. Man wolle nicht das Signal senden, dass die
Nachbarn vor den Flüchtlingen oder die Flüchtlinge vor den Nachbarn
geschützt werden müssten, sagt Karsten Berndt, Fachbereichsleiter für
Flüchtlingshilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes Münsterland, der die
Unterkunft betreibt.
Ali zeigt die Zimmer. „Wir haben die Betten auf die Küchen und Wohnzimmer
verteilt, sodass nur zwei Personen in einem Raum schlafen.“ Die Unterkunft
sei in Ordnung, zwei Mal pro Woche gehe er hier zur Hausaufgabenhilfe.
Trotzdem hoffe er, dass sie bald umziehen können, sie stünden auf der
Warteliste einer Wohnungsbaugesellschaft.
Langfristig, so haben es die meisten Städte bereits angekündigt, sollen die
neuen Unterkünfte auch anderen MieterInnen zur Verfügung stehen –
Studenten, Obdachlosen oder anderen Gruppen, die besonders unter
Wohnungsmangel und steigenden Mieten leiden. In Hamburg verspricht man sich
davon eine soziale Mischung denn die Stadt hat hier sehr große Anlagen
gebaut: in Billwerder ist mit knapp 2.500 Plätzen die größte
Folgeunterkunft für Flüchtlinge in Deutschland entstanden, und auch andere
Standorte sind für mehrere hundert Menschen ausgelegt.
## Lieber früher weg als später
Doch bislang ist nicht absehbar, dass die Flüchtlinge schnell ausziehen
werden. Auch in der Frage, unter welchen Bedingungen Nicht-Flüchtlinge dort
wohnen werden, möchte sich niemand festlegen. Der Mietvertrag von Alokleh
und Janat läuft jedenfalls für drei Jahre. Noch hoffen sie, schon früher
ausziehen zu können. Doch bisher war ihre Suche nach einer Wohnung oder
einem WG-Zimmer erfolglos.
3 Jun 2017
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Minderjährige Geflüchtete
Syrische Flüchtlinge
Unterkunft
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