# taz.de -- Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Kinderbetten verboten | |
> Seit einem Monat wohnen Flüchtlinge in der ersten Modularen Unterkunft in | |
> Marzahn. Es gibt mehr Privatsphäre, aber Konflikte mit Betreiber und | |
> Security. | |
Bild: MUF im Bau: 60 der Modularbauten für Flüchtlinge sollen in Berlin entst… | |
Kadiche Suleman vermisst die Pankstraße. Wenn es nach ihr ginge, wäre sie | |
gern im Weddinger Norden mit seinen internationalen Lebensmittelläden und | |
belebten Straßen wohnen geblieben. „Wir haben uns in dem Kiez wohl | |
gefühlt“, sagt die junge Frau aus Afghanistan, die dort mit ihrer Familie | |
bis Ende Februar in einer Notunterkunft gelebt hat. | |
In der neuen Unterkunft im Norden Marzahns hingegen hat sie das Gelände der | |
Gemeinschaftsunterkunft seit vier Wochen nicht verlassen. „Hier habe ich | |
Angst rauszugehen. Das erste Mal, als ich einkaufen war, hat ein Mann mich | |
beschimpft, er hat etwas wie ‚Go home‘ gerufen“, erzählt sie. Jemand | |
anderes hätte abwehrende Handbewegungen in ihre Richtung gemacht, sie | |
fühlte sich sehr unsicher. Seitdem geht nur noch ihr Mann einkaufen. | |
## Fünf Betten für sieben Personen | |
Mit ihren fünf Kindern im Alter zwischen sieben Jahren und wenigen Monaten | |
leben die Sulemans in einer der Familienwohnungen im Erdgeschoss der neu | |
gebauten Unterkunft in modularer Bauweise, kurz MUF. Ihre Wohnung hat zwei | |
kleine Schlafzimmer, Flur, Küche und Esszimmer sind in einem Raum davor | |
untergebracht, auch ein eigenes Badezimmer gehört dazu. | |
Da es vor den bodentiefen Fenstern keine Vorhänge gab, hat Suleman Laken in | |
die Fensterrahmen geklemmt. Im ersten Schlafzimmer übernachten die Eltern | |
mit den beiden jüngsten Kindern in zwei Betten, die Kinder schlafen quer am | |
Fußende. Im Kinderzimmer stehen drei Betten für die vier älteren | |
nebeneinander, viel mehr Platz ist in dem rund 16 Quadratmeter großen Raum | |
nicht. „Es gibt hier keine Kinderbetten, dadurch ist es sehr eng“, sagt | |
Suleman. | |
Einer ihrer Nachbarn, ebenfalls eine siebenköpfige Familie, hatte ein | |
Kinderbett für seine jüngste Tochter gekauft. „Doch die Leitung erlaubt | |
nicht, dass wir eigene Möbel aufstellen, er musste es wieder | |
zurückbringen“, sagt sie. | |
Die rund 46 Quadratmeter großen Wohnungen sind eigentlich für vier bis fünf | |
BewohnerInnen vorgesehen. Die Sulemans suchen schon länger nach einer | |
eigenen Wohnung. „Wir hatten sogar schon etwas gefunden, doch dafür haben | |
wir aber keine Genehmigung bekommen – mit der Begründung, dass vier Zimmer | |
für uns zu klein seien“, sagt sie. Mit sieben Familienmitgliedern steht | |
ihnen offiziell eine 5-Zimmer-Wohnung zu, „aber die sind noch schwerer zu | |
finden.“ Bis dahin müssen sie sich in den zwei Zimmern arrangieren. | |
Die beiden Söhne spielen im Flur vor der Wohnung. Im Innenhof, zwischen den | |
beiden fünfstöckigen Wohngebäuden und dem flacheren Zugangsbau, soll einmal | |
ein Spielplatz entstehen, doch noch ist dort eine Baustelle. Den | |
BewohnerInnen bleibt ein etwa zwei Meter breiter Streifen zwischen | |
Hauswänden und Bauzaun. Auch hier spielen die Kinder oft. | |
Kadiche Suleman setzt sich mit dem Baby auf dem Arm zu ihrem Mann auf die | |
Treppe vor dem Eingang. „Unsere älteste Tochter geht jetzt in die Schule | |
direkt neben der Unterkunft. Doch die drei mittleren Kinder waren seit dem | |
Umzug nicht mehr in der Kita“, erzählt er. „Die Kita ist am Alexanderplatz, | |
es ist zu weit, ich schaffe es nicht, sie dort hinzubringen und abzuholen, | |
denn ich habe von 13 bis 17 Uhr selbst meinen Sprachkurs.“ | |
Ob es eine Kita in der Nähe gibt, konnte ihnen bisher niemand sagen. „Alles | |
ist neu hier, das Gebäude ist gut“, sagt er. „Aber für Familien ist wenig | |
Platz. Und warum gibt es keine Gemeinschaftsräume, wo wir uns treffen oder | |
fernsehen können?“ | |
Gemeinschaftsräume vermisst auch der 25-jährige Hamed Mirzaei. Er wohnt in | |
einer der oberen Etagen, wo sich jeweils zwei BewohnerInnen ein 16 | |
Quadratmeter großes Zimmer teilen. Der Raum neben der Gemeinschaftsküche | |
ist komplett leer. „Wir wissen nicht, ob dies ein Essensraum werden soll“, | |
sagt er. Mirzaei beklagt, dass die einfachsten Dinge fehlen. | |
„Wir haben keine Besen und kein Putzzeug bekommen, es gibt nirgendwo | |
Mülleimer, dadurch verdreckt alles schnell“, sagt er. Tatsächlich ist in | |
den Toiletten, die sich die 16 BewohnerInnen einer Etage teilen, der Boden | |
nass, es gibt kein Toilettenpapier geschweige denn Halterungen für Rollen, | |
nirgendwo sind Handtuchhaken oder Regale, um etwas abzulegen. An der Stange | |
vor der Dusche baumeln zwar Ringe, aber Duschvorhänge gibt es nicht. „Als | |
wir eingezogen sind, gab es auch nicht genug Geschirr und Bettwäsche, | |
manche schlafen direkt auf der Matratze“, sagt Mirzaei. | |
## „Hier ist Guantánamo“ | |
Doch mehr als die mangelnde Einrichtung machen ihm und anderen Bewohnern | |
Konflikte mit Heimleitung und Sicherheitspersonal zu schaffen. „Wir haben | |
uns auf ein eigenes Zimmer gefreut. Aber hier haben wir keine richtige | |
Freiheit“, sagt Mirzaei. Bei der Ankunft hätte die Leitung ihnen alle | |
elektronischen Geräte abgenommen, sie hätten nicht wählen dürfen, mit wem | |
sie das Zimmer teilen. | |
Außerdem kämen die Mitarbeiter ohne zu klopfen in die Zimmer und | |
kontrollierten ständig die Taschen. „Wenn wir uns beschweren, sagen sie: | |
Das hier ist Guantánamo, und wenn du nicht zufrieden bist, kannst du auf | |
die Straße gehen“, erzählt er. Einige hätten kurz nach dem Einzug | |
Hausverbot bekommen und mussten auf der Straße schlafen. | |
„Wenn es so viele Regeln gibt, sollten wir die auch schriftlich bekommen. | |
So haben wir das Gefühl, dass sie ständig neue Regeln erfinden.“ | |
Die Volkssolidarität teilte auf Nachfrage der taz mit, dass sie keine | |
Kenntnis von entsprechenden Äußerungen seitens der Mitarbeiter oder des | |
Wachpersonals habe und zutiefst bedauere, wenn es zu solchen verbalen | |
Entgleisungen gekommen sei. Grundsätzlich hätten die BewohnerInnen die | |
Möglichkeit, Anliegen, Beschwerden und Kritik gegenüber der Heimleitung und | |
dem Sozialteam zu äußern. Der Wachschutz werde vom LAF gestellt. | |
Für das zuständige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) war das | |
Ziel, die Menschen aus den prekären Situationen in den Turnhallen | |
herauszuholen. Die „noch anstehenden Arbeiten“ würden „sukzessive erledi… | |
heißt es dort. „Das LAF hält immer wieder die Standards bei Personal und | |
Ausstattung nicht ein“, kommentiert Dorothea Schütze von der | |
Ehrenamtlicheninitiative „Wedding hilft“, die einige Bewohner beim Umzug | |
begleitet hat. „Wenn es dann losgeht, muss alles schnell schnell gehen – | |
ohne Rücksicht auf grundlegende Bedürfnisse der Geflüchteten.“ Es gäbe | |
bisher keine Sprachmittler und keine Kinderbetreuung in der Unterkunft. Sie | |
bedauert auch, dass es vor Ort keine Freiwilligeninitiative gibt, um die | |
Menschen weiter zu begleiten. | |
Hamed Mirzaei sagt, er könne sich mit der Gegend anfreunden, wenn nur der | |
Druck von Leitung und Security nachließe. „Wir haben keinen großen Wunsch, | |
wir wollen normal und ruhig leben wie alle anderen.“ | |
4 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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Geflüchtete | |
Elke Breitenbach | |
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