# taz.de -- Unterkünfte für Flüchtlinge in Berlin: Flucht ins landeseigene H… | |
> Erstmals seit über 20 Jahren betreibt das Land Berlin wieder selbst | |
> Flüchtlingsunterkünfte. Damit zieht Rot-Rot-Grün Lehren aus der | |
> „Flüchtlingskrise“. | |
Bild: Eines von dreien: Das Containerdorf in Altglienicke wird bald in Eigenreg… | |
Fast heimlich, still und leise hat sich in dieser Woche ein | |
Paradigmenwechsel vollzogen: Das Land Berlin betreibt erstmals seit über 20 | |
Jahren wieder selbst Flüchtlingsheime. Am Mittwoch übernahm der neu | |
gegründete Landesbetrieb für Flüchtlingsheime die Gemeinschaftsunterkunft | |
Maxi-Wander-Straße in Marzahn-Hellersdorf. | |
Zwei weitere Heime sollen im April und Mai folgen. Eventuell käme noch ein | |
viertes dazu, erklärt Eva Henkel, die Sprecherin von Finanzsenator Matthias | |
Kollatz-Ahnen (SPD). Denn man habe sich vorgenommen, etwa 700 Menschen mit | |
dem Betrieb zu betreuen, und die drei ausgewählten Heime umfassten weit | |
weniger Personen. | |
Insgesamt gibt es in Berlin über 60 Erstaufnahme-, Gemeinschafts- und | |
Notunterkünfte für mehr als 50.000 Geflüchtete. Der neue Landesbetrieb wird | |
also in einem sehr überschaubaren Umfang aktiv werden. Dennoch gibt es | |
Bedenken seitens der freien Träger, die bislang gemeinsam mit | |
Privatunternehmen im Auftrag des Landes für die Unterbringung zuständig | |
waren. | |
„Wir haben die Sorge, dass sich die Bedingungen für die anderen Betreiber | |
verschlechtern, weil der Landesbetrieb eventuell bevorzugt behandelt wird“, | |
sagt Ulrike Kostka, Direktorin der Caritas. So legten die Verträge den | |
Betreibern viele wirtschaftliche Risiken auf, etwa für den Fall, dass ein | |
Heim nicht voll ausgelastet ist. „Gilt das auch für den Landesbetrieb oder | |
werden dessen Heime dann zuerst belegt?“, würde Kostka gern wissen. | |
Rembert Vaerst, Geschäftsführer der neuen Unternehmens, das dem | |
Landesbetrieb für Gebäudebewirtschaftung angegliedert ist, versucht zu | |
beruhigen: „Wir arbeiten unter denselben Bedingungen, unser Vertrag ist | |
qualitativ und finanziell wie bei allen anderen Betreibern.“ Auch die | |
flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram, beteuert: „Wir | |
wollen keine Konkurrenz zu bisherigen guten Betreibern.“ Ziel sei, mehr | |
Flexibilität zu gewinnen. „Wir wollen in Notsituationen schneller als | |
bisher reagieren können.“ | |
Tatsächlich hat der Senat mit seinem Beschluss zur Einrichtung eines | |
Landesbetriebs vor allem die Lehren aus den letzten Jahren der | |
„Flüchtlingskrise“ gezogen. Im vorigen Jahr hatten zahlreiche neue | |
Flüchtlingsheime nicht bezogen werden können, weil die Ausschreibungen für | |
deren Betrieb fehlerhaft und von Bewerbern erfolgreich angefochten worden | |
waren. Hätte man damals schon einen landeseigenen Betrieb gehabt, erklärt | |
Bayram, hätte der einfach temporär bis zu einem erfolgreichen Abschluss der | |
Ausschreibungen die Heime betreiben können, da Eigenbetriebe ohne | |
EU-Ausschreibung tätig werden können. | |
## Mehr Macht bei schlechten Betreibern | |
Auch das Problem mit schlechten Betreibern soll laut Bayram nun besser in | |
den Griff zu bekommen sein. Schon länger gab es bekanntlich Ärger etwa mit | |
der privaten Firma Pewobe, der das Land wiederholt falsche Abrechnungen | |
vorwarf, etwa durch in Rechnung gestellte, aber nicht vorhandene | |
Mitarbeiter. | |
Als im vorigen Jahr zudem rassistische Einstellungen führender | |
Pewobe-Mitarbeiter bekannt geworden waren, hatte das Land zwar sämtliche | |
Verträge mit der Firma gekündigt, mangels Alternative musste man sie jedoch | |
in einigen Heimen monatelang weitermachen lassen. Nun sei man schlechten | |
Betreibern nicht mehr so hilflos ausgeliefert, hofft Bayram. „Wir wollen in | |
der Lage sein, notfalls kurzfristig zu kündigen und ein Heim sofort selber | |
betreiben zu können.“ | |
Vorbild für das neue Landesunternehmen ist der Hamburger Eigenbetrieb | |
fördern & wohnen AöR (f&w). Von dort hat sich der Senat auch den ehemaligen | |
Geschäftsführer und heutigen Pensionär Vaerst „eingekauft“, der zusammen | |
mit 30 f&w-Leuten für sechs Monate Aufbauhilfe in der Hauptstadt leisten | |
soll. Die Opposition hatte vor einigen Wochen kritisiert, dass Vaerst dafür | |
15.000 Euro Monatsgehalt kassieren soll – was er aber zuvor in Hamburg wohl | |
auch verdient hat. | |
Der neue Landesbetrieb, der noch keinen griffigen Namen hat, übernimmt | |
zunächst übergangsweise für zwei Jahre zwei ehemalige Pewobe-Heime | |
(Maxi-Wander-Straße sowie Wassersportallee in Grünau) sowie das neue | |
Containerdorf in der Venusstraße in Alt-Glienicke. Wie es danach | |
weitergeht, müsse man sehen, erklärt Bayram. Sie halte es aber für | |
sinnvoll, dass der Landesbetrieb dauerhaft mindestens ein Heim betreibt – | |
zum einen, um erfahrenes Personal vorzuhalten, das im Notfall schnell in | |
einem anderen Heim eingesetzt werden kann. Zum anderen könne das Land so | |
auch „Standards setzen, wie für uns modellhaft ein Heim aussehen soll“. | |
## „Kernkompetenzen des Sozialstaats“ | |
Dieses Argument weist daraufhin, dass es Rot-Rot-Grün nicht nur darum geht, | |
bei künftigen Flüchtlingskrisen schneller reagieren zu können. Sondern auch | |
darum, den Staat wieder als wichtigen Akteur – wenn auch nicht quantitativ, | |
so doch qualitativ – in diesem Bereich der Daseinsvorsorge zu etablieren. | |
In diese Richtung kann man auch die Äußerung des Finanzsenators lesen, mit | |
der er im Februar den Senatsbeschluss erklärte: „Der Betrieb sozialer | |
Einrichtungen gehört zu den Kernkompetenzen des Sozialstaats.“ Tatsächlich | |
waren in Berlin bis in die 90er Jahre die Bezirke für die | |
Flüchtlingsunterbringung zuständig. Dennoch war ein solcher Satz lange | |
undenkbar für regierende Berliner Politiker, schließlich galt seit den 90er | |
Jahren das neoliberale Mantra von der Privatwirtschaft, die angeblich alles | |
besser kann. | |
Nun gilt offenbar wieder das umgekehrte Motto: der Staat, hier in Gestalt | |
des Landesbetriebs, als Vorbild, das „Standards setzt“. Allerdings, ergänzt | |
Bayram, müsse man perspektivisch die Betreiber auch mit mehr Geld | |
ausstatten, wenn man mehr Qualität von ihnen verlange. | |
Dem würde Kostka von der Caritas sicherlich zustimmen. „Wir stellen uns | |
gern dem Wettbewerb, auch mit dem Landesbetrieb, aber Qualität muss dann | |
eine Chance haben.“ Das sei bislang oft nicht der Fall gewesen: Als es nach | |
den gescheiterten Ausschreibungen im vorigen Jahr zu | |
Interimsausschreibungen gekommen war, „wurden die Angebote mit dem | |
niedrigsten Preis genommen“, kritisiert sie. | |
19 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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