| # taz.de -- Autorin Poschmann übers Überlandreisen: „Das Fade ist elektrisi… | |
| > Als Stipendiatin ist Marion Poschmann durchs Oldenburger Land geradelt. | |
| > Jetzt wiederholt sie diesen „Landgang“ und trägt vor, was sie damals | |
| > notierte. | |
| Bild: Viel plattes Land: Autorin Marion Poschmann berichtet von ihrer Reise. | |
| taz: Frau Poschmann, das ist bei Weitem nicht Ihr erstes Stipendium, wenn | |
| man einen Blick auf Ihre Vita wirft – war an diesem „[1][Literarischen | |
| Landgang“] trotzdem etwas Besonders? | |
| Marion Poschmann: Das war schon besonders. Ich hatte viele | |
| Aufenthaltsstipendien, wo man die ganze Zeit an einem Ort blieb. Und in der | |
| Regel war es dann auch nicht die Aufgabe, sich literarisch mit dem Ort zu | |
| befassen. Das war jetzt hier ganz anders: Einmal bewegte ich mich ja über | |
| verschiedene Stationen, und dann gab es diesen Schreibauftrag, einen Text | |
| zu verfassen, der in irgendeiner Weise mit dem Oldenburger Land zu tun | |
| haben sollte. | |
| Wie war das genau: Wie lange waren Sie damals unterwegs – und wie? | |
| Ich war schon einmal an all den sieben Stationen. Im September letzten | |
| Jahres hat diese Recherchetour stattgefunden. Da wurde mir nahegelegt, dass | |
| ich einen Mietwagen bekomme und dann immer von einem Ort zum anderen fahre. | |
| Ich habe zwar einen Führerschein, aber ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr | |
| Auto gefahren. Deswegen hatte ich vorgeschlagen, diese Tour mit dem Fahrrad | |
| zu machen. Ich fand das auch interessanter, weil man sich ja mit dem Rad | |
| etwas anders fortbewegt als mit dem Auto oder mit dem Zug. Das wäre noch | |
| die dritte Möglichkeit gewesen. | |
| Wie würden Sie dieses „anders“ fassen – die relativ niedrige | |
| Geschwindigkeit? Das fehlende Gehäuse um einen herum? | |
| Beides. Einerseits bewegt man sich etwas langsamer als mit dem Auto, aber | |
| wiederum ein bisschen schneller als zu Fuß – was aber auch notwendig war, | |
| um es überhaupt an einem Tag von einem Ort zum anderen zu schaffen. Und man | |
| ist natürlich auch viel ausgesetzter: der Witterung und auch den | |
| Eindrücken. Man ist auch mit ganz anderen Dingen konfrontiert. In der | |
| Vorbereitung hatte ich von den einzelnen Stationen sehr viel | |
| Informationsmaterial bekommen über die Museen, die touristischen Höhepunkte | |
| und so weiter. Das habe ich alles durchgearbeitet. Man möchte dann auch | |
| selbst noch etwas entdecken, das noch nicht in all diesen Broschüren | |
| aufgelistet ist. Ich fand es schön, mit dem Fahrrad auch die Strecke selbst | |
| wichtig zu nehmen und durch Landschaften zu fahren, die jetzt erst mal | |
| nichts Besonderes an sich haben, um dann aber vielleicht doch zu | |
| irgendeiner Einsicht zu kommen. | |
| „Landschaften, die nichts Besonderes haben“: Da sind wir schon recht nahe | |
| dran an dem, was Sie 2014 [2][als „fade Orte“ bezeichnet] haben, nach denen | |
| Sie suchten – nicht durchweg negativ gemeint. | |
| Dieses Fade ist etwas Positives: etwas erkenntnisphilosophisch | |
| Elektrisierendes geradezu. Es geht darum, dass man zur Einsicht über das | |
| Wesen der Dinge dann kommt, wenn man nicht abgelenkt ist von zu starken | |
| Äußerlichkeiten, wie es dann etwa irgendeine Sehenswürdigkeit ist, deren | |
| Vorzüge von vornherein feststehen. Sondern dass man in einer eher öden | |
| Gegend oder angesichts einer unauffälligen Wiese leichter ans Wesen der | |
| Dinge rührt als in anderen Situationen: Das ist die Idee in der | |
| ostasiatischen Ästhetik. Und da war das Oldenburger Land in ganz besonderer | |
| Weise geeignet, weil es eine ganze Reihe Strecken gab, wo man stundenlang | |
| an plattem Feld entlang fuhr. Und tatsächlich hatte ich das Gefühl – auch | |
| wenn ich auf dieser Tour nicht zu einem spirituellen Durchbruch gekommen | |
| bin –, dass das doch zur inneren Entschleunigung beiträgt und dass man | |
| beginnt, die Dinge etwas anders zu sehen. Und das ist für so eine Reise ja | |
| schon mal ein Ergebnis. | |
| Was für Distanzen hatten Sie denn da am Tag zurückzulegen? | |
| Im Durchschnitt etwa 50 Kilometer. | |
| Ist die die Reihenfolge der Stationen geändert worden, nachdem Sie sich | |
| fürs Fahrrad entschieden hatten? | |
| Ja, schon. Ich habe darum gebeten, dass die Streckenführung möglichst | |
| ökonomisch gestaltet wird. | |
| Sie haben die Witterung erwähnt, der man auf dem Rad stärker ausgesetzt ist | |
| – hat denn das norddeutsche Wetter seinem schlechten Ruf Ehre gemacht? | |
| Mir war dieser schlechte Ruf, ehrlich gesagt, vorher nicht so präsent, | |
| sonst wäre ich vielleicht vorsichtiger gewesen. Aber ich hatte keinen | |
| Regen, gar keinen, sondern die ganze Zeit sonniges Herbstwetter. | |
| In Essen geboren und in Berlin lebend, haben Sie mal gesagt, [3][Sie | |
| träumen davon, aufs Land zu ziehen] – aber wann immer Sie mal da sind, | |
| sehnen Sie sich wieder nach Urbanität. Macht dieser Kontrast zwischen Stadt | |
| und Land etwas aus – und wenn ja, was? | |
| Ich bin ja in Essen groß geworden, und das stellt man sich gerne vor als | |
| graue, dichte Großstadt. Aber da, wo meine Eltern noch leben, im Essener | |
| Süden, da ist man ziemlich schnell im Grünen und auch in ländlichen | |
| Gegenden. Ich bin in einer Art Grenzregion aufgewachsen, von der aus man | |
| schnell in der Innenstadt war, aber auch sehr schnell richtig auf dem Land. | |
| Und mein Leben hat sich im Grunde auch so ähnlich entwickelt, dass ich | |
| teils in Berlin lebe, aber auch sehr viel verreist bin und da auch an | |
| wirklich abgelegenen ländlichen Orten gewohnt habe eine ganze Weile. Und | |
| beides hat so seine Vorzüge. | |
| Es gab ja, wie Sie es nannten, einen Schreibauftrag bei diesem „Landgang“ �… | |
| haben Sie den erfüllt? | |
| Ja, ich habe etwas geschrieben, eine Art Reisetagebuch. Diese Form zu | |
| wählen, lag für mich nahe. Ich hatte mich auch vorher oft mit | |
| Reiseliteratur beschäftigt, also zum Beispiel die Bücher von Wolfgang | |
| Büscher gelesen. Oder, früher, von Ryszard Kapuściński, der sich mit | |
| Osteuropa beschäftigt hat. Oder Andrzej Stasiuk. All dem fühlte ich mich | |
| auch nahe und dachte: Das ist jetzt mal die Gelegenheit, auf einer Reise | |
| konzentriert einen Text zu schreiben. Das war der eine Ansatz. Und dann | |
| hatten wir es ja schon mit diesen faden Orten. Ich habe mich in den letzten | |
| Jahren viel mit ostasiatischer Literatur beschäftigt, insbesondere mit dem | |
| Buch von Matsu Basho, „[4][Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“] … Kenn… | |
| Sie das? | |
| Kennen wäre zu viel gesagt. | |
| Ja, so geht es irgendwie jedem. Es ist auch noch nicht lange her, dass ich | |
| es tatsächlich gelesen habe. Es spielt auch in meinem nächsten Roman, der | |
| im Herbst erscheint, eine gewisse Rolle. Deswegen hatte ich das sozusagen | |
| als Hintergrund. Jedenfalls geht es um eine Reise, die Basho, 500 Jahre alt | |
| ist der Text, in den wilden Norden Japans unternimmt. Dabei schreibt er ein | |
| Tagebuch. Jede Station wird in Prosa ein bisschen beschrieben. Und dann | |
| gibt es das eine oder andere Haiku, was das Ganze dann noch mal | |
| zusammenfasst. Und ich dachte mir: Na ja, in Lohne bin ich gestartet und | |
| dann praktisch Richtung Nordsee gefahren – ich fahre nun in den wilden | |
| Norden Deutschlands und kann so eine Parallele ziehen – und habe dann eben | |
| auch diese Form, das Tagebuch, gewählt. | |
| Werden Sie nun, sagen wir: Im Ort X, vorlesen, was sich im Text darüber | |
| findet? | |
| Ja, sinnvollerweise. Der komplette Text wäre jeweils zu viel, da werde ich | |
| also eine Auswahl lesen. Vielleicht haben die Zuhörer ja auch bestimmte | |
| Wünsche und wollen gerne etwas über den Nachbarort hören. | |
| Wird daraus irgendwann auch noch eine Publikation? | |
| Ich glaube, der Ausrichter, das Literaturbüro, will einige Jahrgänge | |
| Stipendiaten zusammenfassen. Aber das wird noch etwas dauern – ich bin ja | |
| erst die zweite Landgängerin. | |
| Marion Poschmann liest: heute, 17. 5., Brake, Schifffahrtsmuseum | |
| Unterweser; morgen, 18. 5., Cloppenburg, Museumsdorf Dorfkrug; 19. 5., | |
| Jever, Schlossmuseum; 20. 5., Westerstede, Güterschuppen; 21. 5., | |
| Oldenburg, Wilhelm 13; 1. 6., Delmenhorst, Städtische Galerie | |
| 17 May 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.oldenburg.de/de/microsites/literaturbuero/literarischer-landgang… | |
| [2] https://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article124213197/Marion-Poschm… | |
| [3] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article120755725/Die-Erlkoenigi… | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Oku_no_Hosomichi | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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