# taz.de -- Mashrou’ Leila, Band aus Beirut: „Scham ist ein interessantes T… | |
> Mashrou’ Leila ist eine Erfolgsband aus Beirut und kommt nach | |
> Deutschland. Ein Gespräch über Auftrittsverbote und Religion als | |
> Privatsache. | |
Bild: Ende April 2016: Hamed Sinno (l.) und Gitarrist Firas Abou Fakher sichten… | |
taz: Herr Sinno, Herr Papazian, Herr Gerges, letzte Woche haben die | |
jordanischen Behörden Ihr Konzert in Amman verboten, offenbar auf Druck der | |
katholischen Kirche und islamischer Religionsvertreter. Nach einem | |
Aufschrei in sozialen Netzwerken und internationaler Berichterstattung | |
wurde es doch erlaubt … | |
Hamed Sinno: … zu spät allerdings, um noch zu spielen. Aber wichtig ist: Es | |
gibt kein Auftrittsverbot, wir können also wieder in Jordanien spielen. | |
Was war der Anlass für dieses Verbot? Sie sind schon vorher in Amman | |
aufgetreten. | |
Sinno: Zum einen sind wir einfach bekannter geworden. Zum anderen nimmt der | |
Konservatismus an manchen Orten in der arabischen Welt zu. In den | |
islamischen wie auch den christlichen Gemeinschaften gibt es einen Trend zu | |
einer sehr rigiden Auslegung von Glauben. Deshalb war es sehr wichtig, was | |
in Jordanien passiert ist, vor allem für Jordanien und die Kulturszene | |
dort. Dass es nicht gelungen ist, ein Auftrittsverbot durchzusetzen, ist | |
ein Sieg für die Meinungsfreiheit in der Region, für die Freiheit der | |
Kunst. | |
Die sozialen Medien haben dabei eine große Rolle gespielt. | |
Papazian: Auf jeden Fall. #WeWantLeilainAmman war einer der weltweit | |
führenden Hashtags. | |
Sie haben alle Ihre Songs zuerst im Netz veröffentlicht, Ihr drittes Album | |
haben Sie über Crowdfounding finanziert. | |
Sinno: Als wir angefangen haben, hatten wir keine anderen Mittel, um unsere | |
Musik zu verbreiten. | |
Papazian: Also haben wir unsere Musik auf YouTube und Facebook gestellt. | |
In der arabischen Welt war damals die einzige Möglichkeit, Musik zu hören, | |
über Fernsehen oder Radio. Das Internet hat uns enorm geholfen, bekannt zu | |
werden. | |
Sie sind bis heute nicht unter Vertrag bei einem Musiklabel. Gab es keine | |
passenden Angebote? | |
Sinno: Wir hatten ein Angebot für unser aktuelles Album, aber das | |
Unternehmen hat darauf bestanden, einige Songs vom Album zu nehmen, um | |
keine Probleme mit der Zensur zu bekommen. Das wollten wir nicht. Und das | |
war kein Unternehmen aus dem arabischen Raum, sondern eine großes | |
multinationales Label. Aber sie wussten, sie würden Probleme haben, unser | |
Album im Nahen Osten zu verkaufen, wenn es zu kritische Passagen enthält. | |
Herr Sinno hat Grafikdesign studiert, Herr Papazian als Architekt Preise | |
gewonnen. Arbeiten Sie noch in diesen Berufen? | |
Papazian: Dafür bleibt keine Zeit mehr. | |
Sinno: Vor zweieinhalb Jahren war klar: Wenn wir das Projekt voranbringen | |
wollen, müssen wir uns ganz der Musik widmen. Damals waren wir zu siebt, | |
zwei haben sich dagegen entschieden, auch unsere Pianistin, Omaya Malaeb. | |
Wir anderen machen seither nur noch Musik. | |
Können Sie davon leben? Sie haben alle an der Amerikanischen Universität | |
Beirut studiert, der teuersten Universität des Landes. | |
Papazian: Ich hatte ein Stipendium. Sinnos Mutter unterrichtet an der | |
Universität, da musste er nicht bezahlen. | |
Sinno: Wir haben verschiedene familiäre Hintergründe, aber insgesamt kommen | |
wir alle aus eher komfortablen Verhältnissen. Aber wir haben keine | |
Rücklagen, von denen wir leben können. Als wir unsere Jobs aufgegeben | |
haben, hatten wir ein schwieriges Jahr, bis es lief. Heute können wir gut | |
von der Musik leben. Also, wir leben jetzt nicht so wie in einem Video von | |
50 Cent. (lacht) | |
Wie arbeiten Sie? Schreiben Sie die Songs alle gemeinsam? | |
Papazian: Das ist mit jedem Album anders. Als wir jung waren, haben wir | |
nächtelang Sachen ausprobiert, verändert, über Monate. Dann haben wir | |
gelernt wie man im Studio arbeitet, Aufnahmen macht, das wurde | |
professioneller. Aber wir schreiben immer noch zusammen. Wir streiten viel, | |
jeder hat etwas, was ihm wichtig ist. (lacht) | |
Sinno: Beim letzten Album waren wir die meiste Zeit nicht mal am selben | |
Ort. Da lief das über E-Mail, über Skype. | |
Ihr drittes Album enthält viel Kritik am Staat. Das aktuelle Album, „Ibn El | |
Leil“ (arabisch für „Kind der Nacht“) ist viel persönlicher. | |
Sinno: Das aktuelle Album enthält viele politische Aspekte, aber subtiler. | |
Vieles auf dem Album dreht sich um Scham. Das ist ein interessantes | |
Terrain, es geht um Fragen, die man nicht offen diskutiert: Warum kann man | |
auf Englisch über Sex reden, aber nicht auf Arabisch? Was bedeutet es, als | |
Mann in der Öffentlichkeit zu weinen, wenn man aus einer Kultur kommt, in | |
der Männlichkeit keine solchen Emotionen erlaubt? | |
Carl Gerges: Das übergreifende Thema des Albums ist Trauer. Das Thema der | |
Nacht, schon im Titel. Diese Gegensätze: Befreiung, Aufbruch an manchen | |
Orten – und gleichzeitig Trauer, Einsamkeit, selbst inmitten von | |
Menschenmassen, einer geschäftigen Stadt. | |
Spielt das auf die enttäuschten Hoffnungen nach den gescheiterten | |
Revolutionen in der Region an? Viele haben Sie mit dem Arabischen Frühling | |
in Verbindung gebracht. | |
Gerges: Nein. Es geht eher um persönliche Erfahrungen. | |
Sinno: Wir sprechen nicht für unsere Generation. Die arabische Welt ist so | |
komplex und vielfältig wie andere Teile der Welt. Man kann nicht sagen: | |
Hier sind fünf junge Männer aus der oberen Mittelschicht aus Beirut, und | |
die stehen jetzt für die arabische Jugend. Oder für eine Vielzahl von ganz | |
unterschiedlichen Ereignissen in der Region, die man unter dem Begriff | |
„Arabischer Frühling“ zusammenfasst. | |
Aber es sind spezifische Probleme der Jugend, die Sie in Ihren Songs | |
ansprechen. | |
Sinno: Das sind nicht nur Probleme der Jugend. Konflikte zwischen | |
religiösen Gruppen, Homophobie, eine stärkere Kontrolle von Schusswaffen – | |
das sind Probleme, die alle angehen. | |
Wie stehen Ihre Familien zu dem was, was Sie tun, worüber sie reden? | |
Sinno: Unsere Familien stehen hinter uns. Meine Mutter ist in vielen Dingen | |
radikaler als ich. Als es das Auftrittsverbot in Jordanien gab – da war sie | |
wütender als ich selbst. | |
Sie kommen alle aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, aus | |
christlichen, muslimischen oder armenischen Familien. Spielt Religion für | |
Sie eine Rolle? | |
Gerges: Religion spielt eine Rolle, weil sie die Gesellschaft um uns herum | |
strukturiert, und das hat natürlich Auswirkungen auf uns. Aber als | |
Individuum können wir alle klar sagen, dass Religion eine sehr geringe | |
Rolle in unserem Leben spielt. Und selbst das ist wahrscheinlich noch | |
übertrieben. | |
Bringt Ihnen eine solche Einstellung keine Probleme ein? | |
Sinno: So etwas wie jetzt in Jordanien ist uns im Libanon noch nicht | |
passiert. Aber klar gibt es Kritik, Leute, die sagen, wir seien | |
oberflächlich oder billig, weil wir über Sex oder Homosexualität reden … | |
Papazian: … und Geistliche, die uns als Sünder bezeichnen, christliche und | |
muslimische. Ich glaube das hält sich so in etwa die Waage, und sowohl | |
christliche als auch muslimische Gruppen haben versucht, Auftrittsverbote | |
durchzusetzen. | |
Sinno: Es gibt Länder, in denen wir nicht auftreten. Wir haben in Katar | |
gespielt, und mehrmals in Dubai, aber wir würden logischerweise nicht in | |
Saudi-Arabien spielen. Und wohl auch nicht im Vatikan. | |
Hat sich die Situation für LGBT in der Region in den letzten Jahren | |
verbessert? | |
Sinno: Ich kann nur für den Libanon sprechen. Es gab jüngst ein Urteil, | |
worin erklärt wurde, dass einvernehmliche homosexuelle Handlungen nicht | |
unter den Unzuchtparagrafen fallen, also nicht strafbar seien. Aber wir | |
haben kein Präzedenzsystem wie in den USA, der nächste Richter kann wieder | |
anders entscheiden. Aber das Bewusstsein für das Thema hat sich auf jeden | |
Fall verändert, auch dank der Arbeit vieler sehr engagierter NGOs. Es ist | |
klar, es gibt diese Leute, und sie sind ein Teil von unserer Gesellschaft, | |
kein Import aus dem Westen. Und es gibt, gerade in Beirut, auch den Willen, | |
sich seine Rechte im Alltag zu erkämpfen. Wenn ich heute mit meinem Freund | |
Hand in Hand in eine Bar gehe und Leute machen Kommentare, dann ist das | |
deren Problem, nicht meins. Und das werden auch die meisten anderen | |
Menschen so sehen. | |
6 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
Gaby Osman | |
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