# taz.de -- LGBTQ+-Community im Libanon: Eröffnung der Beirut Pride abgesagt | |
> Der Libanon gilt als liberal gegenüber LGBTQ+. Doch die Beirut Pride | |
> erfährt Anfeindungen – von Klerikern und auch aus den eigenen Reihen. | |
Bild: Ein Festival ohne öffentlichen Raum | |
Beirut taz | Eine Gesprächsrunde über psychische Gesundheit findet am | |
Samstag in Beirut statt. Über eine Mailingliste wird der Treffpunkt erst | |
dreieinhalb Stunden vorher bekanntgegeben. Das Event ist Teil der | |
einwöchigen [1][Beirut Pride], die zur Sichtbarkeit von LGBTQ+ im Libanon | |
beitragen soll. | |
Doch die Öffentlichkeit zeigt auch Gegenreaktionen, die so stark sind, dass | |
die diesjährige Eröffnungsfeier abgesagt wurde. Die Anfrage, am Sonntag | |
einen Marsch veranstalten zu können, blieb von der Polizei unbeantwortet. | |
Die Pride ist deshalb ein Festival ohne öffentlichen Raum, mit einem | |
kulturellen Programm an verschiedenen Orten, die möglichst lange geheim | |
gehalten werden. | |
Der Libanon hat in Bezug auf die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen, | |
Transgender und Intersexuellen einen toleranten Ruf. Vor elf Jahren | |
gründete sich [2][die gefeierte Pop-Band Mashrou Leila], mit einem offen | |
schwulen Frontmann. Im Juli 2018 entschied ein Militärgericht, dass | |
homosexueller Geschlechtsverkehr nicht widernatürlich und damit legal sei. | |
Ein Präzedenzfall in Bezug auf Artikel 534 im Strafgesetzbuch, ein Relikt | |
aus dem französischen Mandat, der „widernatürliche“ sexuelle Beziehungen | |
verbietet. | |
Zwar werden Transgender nicht politisch verfolgt, dennoch braucht es eine | |
„starke Persönlichkeit, um die verbale Belästigung auszuhalten“, berichtet | |
Nancy. Sie ist zu dem semi-geheimen Treffen der Pride gekommen, sitzt an | |
einem runden Tisch und erzählt über ihre Schwierigkeiten als Transgender. | |
## „Du wirst der Adressat von Attacken“ | |
Nancy ist 35 Jahre, Make-up Artist, und eine von knapp 90 Transgender im | |
Libanon. „Viele haben das Land verlassen, weil sie krank davon wurden, sich | |
gering geschätzt zu fühlen.“ Auch Nancy möchte mit ihrem Freund zusammen | |
wegziehen. Die libanesische Gesellschaft sei sehr wertend. „Viele Väter, | |
Mütter oder Freunde wollen, dass sie ihr Geschlecht zurück ändern, damit | |
die Leute aufhören zu reden.“ | |
Seit 2017 initiiert Hadi Damien die Pride, um die Herausforderungen | |
sichtbar zu machen, mit denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen | |
Orientierung oder Genderidentität konfrontiert sind. „Nur durch | |
Sichtbarkeit kann man die Mythen, Lügen und Vorurteile über LGBTQ+ | |
dekonstruieren.“ Gleichzeitig sei die Frage, bis zu welchem Grad Menschen | |
sich diese Sichtbarkeit leisten könnten. „In dem Moment, in dem du sichtbar | |
bist, nehmen dich die Leute als organisiert wahr und du wirst der Adressat | |
von Attacken.“ | |
Vergangenes Jahr zirkulierte ein gefälschtes Programm der Pride auf | |
Whatsapp, in dem behauptet wurde, die Aktivitäten würden auch | |
Ausschweifungen, Prostitution und Drogen beinhalten. Damien, als Kopf der | |
Beirut Pride, wurde zum Verhör verhaftet. Nach einer Nacht in Haft und | |
trotz des Beweises, dass das Programm ein Fake war, setzte die | |
Staatsanwaltschaft, die geplanten Aktivitäten aus. Sie leitete ein | |
Strafverfahren gegen Damien ein, wegen „Organisation von Veranstaltungen, | |
die zu Ausschweifungen anstacheln“. | |
## Vielfalt sichtbar machen | |
Dieses Jahr erhielt der Betreiber des Theaters, in dem die Eröffnung | |
gefeiert werden sollte, Gewaltdrohungen. Der ehemalige Großmufti des | |
Libanon forderte, die „Schänder der öffentlichen Moral“ zu „verfolgen�… | |
der Präsident einer Vereinigung von sunnitischen Familien verurteilte die | |
Pride als „Perversion“. „Es wäre falsch zu sagen, dass alle Muslime sich | |
gegen die Pride äußern, und das heißt auch nicht, dass alle Christen | |
homophil sind“, sagt Damien. „Daher ist es wichtig, dass wir | |
Falschnachrichten adressieren und mit allen kommunizieren, seien es | |
religiöse Menschen, Politiker oder Sicherheitsbeamte.“ | |
Die Kommunikation lief auch in den eigenen Reihen schief. Ein anonymes | |
Schreiben in den sozialen Medien kritisierte die konzentrierte Führung der | |
Pride unter Damien und forderte mehr gemeinschaftliche Events. Damien sagt, | |
der Brief enthalte keine Beweise. Er sieht ihn aber als Chance, „dass Leute | |
verstehen, dass LGBTQ+ keine uniformierte Gruppe ist, sondern eine diverse | |
Gruppe an Leuten mit Unterschieden und Besonderheiten.“ Damien wiederholte | |
seine Einladung an alle, nicht nur teilzunehmen, sondern Beirut Pride zu | |
gestalten“ – damit die Vielfalt der LGBTQ+ im Libanon noch sichtbarer wird. | |
6 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.beirutpride.org/ | |
[2] /Mashrou-Leila-Band-aus-Beirut/!5298765 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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