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# taz.de -- Wahl in den Niederlanden: Die Party ist vorbei
> Die Gesellschaft ist gespalten – und geeint im verlorenen Vertrauen in
> die Parteien. Unterwegs in einem Land vor der Wahl.
Bild: Die niederländische Gesellschaft ist vor der Wahl gespalten
Almere/Eindhoven/Enschede/Rotterdam taz | In Almere befürchtet man mal
wieder, dass es ein schlechtes Ende nimmt. Eine blonde Frau um die 50 kommt
aus dem Stadthaus. Ein Behördengang liegt hinter ihr, sie schließt ihr
Fahrradschloss auf. Sie sagt, sie wähle PVV, schon immer: die Partei von
Geert Wilders, die seit Herbst 2015 fast ununterbrochen in den Umfragen
führt.
Aber sie glaubt nicht, dass es reicht für die PVV.
Almere ist eine Satellitenstadt östlich von Amsterdam, in den 1970ern am
Reißbrett geplant. Sie nimmt in der Geschichte der rechtspopulistischen
Partij voor de Vrijheid, kurz PVV, einen besonderen Platz ein. Als die
Partei, 2006 gegründet, hier 2010 die Kommunalwahlen gewann, war das ihr
Durchbruch. Als sie vier Jahre später wieder vorne lag, war das schon
normal. Im Stadthaus hängen heute Porträts der 19 Gemeinderatsmitglieder.
Hinter 8 davon steht „PVV“. Die Stadt, in der 200.000 Menschen wohnen, wird
in den Niederlanden ein „Wilders-Bollwerk“ genannt.
Am Mittwoch will Wilders’ PVV bei den niederländischen Parlamentswahlen
stärkste Kraft werden. Doch kurz vor der Wahl legen die neuesten Umfragen
nahe, dass es knapp wird. Die PVV ist etwa gleichauf mit der
konservativ-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, die derzeit
den Ministerpräsidenten stellt.
Gewinnen werde die PVV also wohl wieder nicht, sagt die Frau vor dem
Stadthaus. „Viele Menschen trauen sich nicht. Sie haben Angst, dass sie
negative Reaktionen bekommen.“ Sie selbst ist da keine Ausnahme, ihren
Namen will sie nicht nennen. „Wenn niemand die PVV wählt, bleibt alles, wie
es ist“, sagt sie.
Doch wie es ist, findet sie, ist es schlecht.
„Die Wohnung, die ich wegen meiner chronischen Krankheit bräuchte, bekomme
ich nicht. Aber zehn davon werden für Asylanten freigehalten. Erst lässt
die Gesundheit dich im Stich, und dann auch Almere.“ Dass die PVV die
Grenzen dicht machen und weniger Migranten will, sagt ihr zu. Sie denke
manchmal, sie sei „die einzige Weiße in der Stadt“.
Andererseits: Die PVV ist keine Partei der Stiefelnazis. Dass die Partei
gegen das Aufenthaltsrecht für Kinder papierloser Migranten ist, das geht
der Frau zu weit. „Warum soll man Kinder, die hier integriert sind,
abschieben? Da vermisse ich Menschlichkeit!“, sagt sie.
## Der Tulpenhändler und die PVV
Auch Frans de Jong ist jemand, der für die PVV stimmen will, ohne hinter
allem zu stehen, wofür sie eintritt. Er steht auf dem Markt von Almere
hinter seinem Blumenstand. Es ist ein guter Tag für Tulpen. Die
Mittagssonne scheint, ab und an lässt sich ein Vogel hören. Die Blumen
liegen an de Jongs Stand in dicken Sträußen aus, rot, gelb und lila.
Er werde Wilders wählen, sagt er, „wie üblich“, und damit einen scharfen
Islamkritiker. Obwohl er selbst gar nichts gegen den Islam habe. „Jeder
kann glauben, was er will“, sagt de Jong.
Für ihn ist eine Stimme für die PVV vor allem „eine Stimme gegen die
gefestigte Ordnung“. Die verbindet er mit Enttäuschungen: über den
liberalen Politiker Alexander Pechtold, der im Wahlkampf allen arbeitenden
Bürgern einen einmaligen Bonus von 500 Euro versprach, „aber bei mir kam er
noch nicht vorbei“. Über Pannen in der Steuerbehörde. Über das Leben, das
für einen kleinen Unternehmer härter wird.
Als Geert Wilders sich mit drastischen Worten gegen die Unterbringung von
Flüchtlingen wandte und zu „Widerstand“ aufrief, fühlte sich de Jong, der
weißhaarige Blumenverkäufer, aber durchaus angesprochen. „Merkel hat diesen
Strom lekker in Gang gebracht“, sagt er. „Aber das funktioniert nicht. Man
bekommt die Menschen aus all diesen Kulturen nicht unter einen Hut. Die
multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert. Alle haben ihren eigenen
kleinen Betrieb: die Niederländer, die Marokkaner, die Türken, die
Bulgaren. Jeder für sich.“
## Surinamische Interessen werden nicht repräsentiert
Ortswechsel. Rotterdam, im Februar. Der Kulturkampf sich bedroht wähnender
alteingesessener Niederländer betrifft auch eine Bevölkerungsgruppe, die
als vorbildlich integriert gilt: die Menschen aus der früheren Kolonie
Surinam und ihre Nachkommen. Gary Aikman, Mitte 50, graue Locken, ist einer
von ihnen. Er kam kurz vor der Unabhängigkeit 1975 in die Niederlande. Und
er sagt: „Statistiken über Wohnsituation und Bildung zeigen, dass Surinamer
noch immer zu den schwächsten Gruppen der Gesellschaft gehören. Viele, auch
gut ausgebildete, sind arbeitslos.“
Aikman engagiert sich ehrenamtlich bei Wi Masanga, einer der ältesten
surinamischen Vereinigungen in Rotterdam. „Wi Masanga“ bedeutet „unser
Haus“. Das Haus von Wi Masanga, ein altes Schulgebäude aus Backstein,
liegt in einer Seitenstraße im Westen Rotterdams. Eine niederländische und
eine surinamische Flagge wehen über der Tür, im Eingangsbereich hängen drei
Ankündigungen: eine zum Sonntags-Bingo, eine für den „Melanated Hair
Workshop“ über das Einflechten von Extensions, eine zur Zusammenkunft der
neuen politischen Partei „Artikel 1“.
Gary Aikman ist der Schatzmeister von Wi Masanga. Er trägt ein schwarzes
Sakko über einem blauen Hemd und eine fein umrandete Brille, als die
Versammlung beginnt. Aus den Lautsprechern kommt Afrobeat, während sich der
Raum füllt. Was die Leute hierhertreibt? Aikman sagt einen Satz, der
bekannt klingt, auch Blumenverkäufer Frans de Jong hat eine Variante davon
gesagt: „Das Vertrauen in etablierte Parteien hat abgenommen.“ Was er
meint, ist, dass die surinamischen Interessen in ihnen nicht repräsentiert
seien. „Das Engagement surinamischer Politiker in diesen Parteien hatte
nicht den erhofften Effekt“, sagt er.
## Überbrückt die neue Partei Gräben, oder vertieft sie sie?
In diese Lücke will nun die Partei „Artikel 1“ stoßen, benannt nach dem
Antidiskriminierungsparagrafen der Verfassung. Im Parteiprogramm steht
Gleichwertigkeit zentral, unabhängig von Herkunft, Gender oder sexueller
Präferenz. „Darin erkennen wir uns“, so Aikman. „Und dass Sylvana Simons
die Gründerin ist, spricht uns natürlich an.“
Sylvana Simons, 46, die in Surinam geboren ist, war in den Niederlanden
zwei Jahrzehnte lang bekannt als Moderatorin von Musik-, Show- und
Quizsendungen in Fernsehen und Radio. Dann äußerte sie sich politisch – und
erntete Hass. „Als schwarze Frau darfst du singen, tanzen, Sport machen,
aber nicht mitreden“, kommentiert sie, als sie wenig später im
Wi-Masanga-Haus vor mehr als 100 Gästen steht. Das Publikum in dem
überfüllten Raum applaudiert.
Simons begann zu polarisieren, als sie gegen ein Brauchtum protestierte:
die populäre Figur des schwarzen Nikolaus-Helfers „Zwarte Piet“. Es folgte
ein rassistischer Shitstorm. Dann ging sie in die Politik, und die Dämme
brachen. In einem Karnevalsschlager wurde sie zur Emigration aufgefordert,
eine Facebook-Initiative wollte sie abschieben, ein selbst geschnipseltes
Video zeigte ihr Gesicht, montiert in ein historisches Foto: als
aufgeknüpftes Opfer eines Lynchmobs des Ku-Klux-Klan.
Eine derartige Hetze habe sie nicht erwartet, sagt Simons. Nach der
Präsentation sitzt sie in einem kleinen Büro im ersten Stock des
Wi-Masanga-Hauses. „Es war sehr hart, aber es hat mich gestärkt. Die
Heftigkeit zeigt mir, dass da etwas ist und dass ich einen Punkt getroffen
habe.“
## Risse in der Gesellschaft
Tatsächlich beginnt eine ernsthafte Debatte über die niederländische Rolle
in Sklavenhandel und Kolonialismus erst. „Dekolonisation von Unterricht,
Polizei und Institutionen“ hat Sylvana Simons an diesem Nachmittag
gefordert. Doch das Selbstverständnis von „Artikel 1“ höre nicht bei der
Emanzipation der Surinamer auf, sagt sie. „Wir sind für alle Niederländer
da. Und für alle, die nicht gehört werden. Wir haben auch viele weiße
Niederländer auf der Liste und als Freiwillige.“
Unter den Wählern aber sind nur wenige sogenannte Autochthone, wie man
Menschen ohne Migrationshintergrund im niederländischen Diskurs nennt. Dass
die Partei ins Parlament einzieht, ist unwahrscheinlich. Entstanden ist sie
erst Anfang 2016, als Reaktion auf eine Polarisierung. „Es ist immer
normaler geworden, eine rassistische Sprache zu benutzen“, sagt Sylvana
Simons. „Die etablierten Parteien sahen einfach zu oder übernahmen sie
sogar.“
Im Ausland fand man es lange fast skurril, dass sich in den Niederlanden
Jahr für Jahr ein Streit über ein Kinderfest wie Sinterklaas entspannt –
das Fest, zu dem der schwarze Nikolaus-Diener gehört, der dazu häufig von
geschminkten Weißen dargestellt wird. Doch das Fest hat längst eine
identitätspolitische Komponente bekommen. Die Frage ist, ob auch „Artikel
1“ die Gräben am Ende vertieft, die sie überbrücken will.
Im schlechtesten Fall könnte sie eine Funktion übernehmen, die der eigenen
Agenda entgegensteht: als Partei der Surinamer, die bisher meist die
Sozialdemokraten wählten. Als Partei, die die Zersplitterung noch
befördert. Als Partei, die die Ethnisierung des Parteiensystems verstärkt –
genau wie etwa die 2014 von zwei türkischstämmigen Sozialdemokraten
gegründete Partei „Denk“, deutsch etwa: Denk nach!, die vor allem türkisc…
oder muslimische Wähler anzieht.
Es sind aber längst nicht nur ethnische Linien, die die Risse in der
Gesellschaft markieren. Im Wahlkampffrühjahr gibt es zahlreiche Berichte
über zunehmende Armut – trotz Haushaltsüberschuss, trotz Wachstum. Einer,
der immer wieder Alarm schlägt, ist Jan Veldhuizen. Ein Pfarrer in
Enschede, einer der ärmsten Städte des Landes. Er arbeitet hier als
Seelsorger für Menschen, die sich verschuldet haben. Gefährdet, sagt er,
seien vor allem Alte und „Jan Modaal“. Letzteres ist ein Ausdruck für
einen Durchschnittsbürger mit Durchschnittseinkommen – eine Art Otto
Normalverbraucher. Wenn Jan Modaal umfällt, sagt der Pfarrer, dann Gute
Nacht.
## „Schulden? Kann jedem passieren“
Enschede, wo Jan Veldhuizen wohnt, liegt nahe an der deutschen Grenze bei
Münster. Wer sich morgens dorthin aufmacht, sieht, wie das randstad
genannte Ballungsgebiet der Metropolen langsam ins Ländliche übergeht. Doch
auch auf den Autobahnen zwischen Feldern und Bauernhöfen reiht sich
Stoßstange an Stoßstange.
Der zähflüssige Berufsverkehr vermittelt eine Ahnung davon, wie dicht
dieses Land besiedelt ist. Die Schuldnerberatung, bei der Jan Veldhuizen
arbeitet, ist die Stadsbank Oost, eine gemeinsame Einrichtung von
zahlreichen Kommunen der Region. 9.000 Menschen lassen sich dort helfen.
Der Leitspruch der Stadsbank lautet: „Schulden? Kann jedem passieren“.
Und da es auch immer mehr Menschen passiert, ist das Foyer voll an diesem
Montagmorgen. Telefone klingeln, Rezeptionisten empfangen die Angekommenen.
Jan Veldhuizen, graue Haare, blaue Augen, bittet in ein Beratungszimmer im
Seitenflügel. Die Menschen, die zu ihm kämen, sagt er, hätten Schulden
zwischen 10.000 und 150.000 Euro.
Und durchschnittlich 20 bis 25 Gläubiger. „Das geht schnell, wenn man das
eine Loch erst mal mit dem anderen zu stopfen beginnt.“ Mit Armut, sagt er,
kenne er sich aus. 1967, als er ein Junge war, traf die Entlassungswelle in
den Textilfabriken der Stadt seinen Vater. „Damals habe ich 1.500 weinende
Männer gesehen.“ Veldhuizen wurde später Computeroperator und dann
IT-Manager, nun ist er Pfarrer einer Baptistengemeinde.
## Das Vertrauen in die Politik sinkt
Private Schulden hätten eine politische Dimension, sagt Veldhuizen.
„Privatisierung und Zeitarbeit. Steuerdruck, weniger Kaufkraft und höhere
Gesundheitskosten: Dadurch ist die Lage viel schlimmer geworden.“ Ein
Beispiel, das er nennt, kennt jeder Niederländer. Für bestimmte
medizinische Dienste, die nicht zur Basisversorgung gehören, muss man 385
Euro jährlich zuschießen. „In der Unterschicht kann man das nicht
bezahlen“, sagt der Pfarrer. „Was folgt? Die Leute gehen nicht mehr zum
Arzt.“
Ein Kollege klopft an die Tür. Veldhuizen muss aufbrechen, ein dringender
Fall. Zuvor diktiert er noch ein Schlusswort. „Vor allem die sozialen
Einschnitte der letzten fünf Jahre greifen das Schmieröl der Gesellschaft
an“, sagt er. „Das Vertrauen in die Politik sinkt.“
Wieder eine Variation des Satzes, den auch Gary Aikman von „Artikel 1“ und
Blumenverkäufer Frans de Jong sagten. Der eine sprach von einem
Vertrauensverlust für die etablierten Parteien, der andere vom Misstrauen
in die gefestigte Ordnung. Dass im Parlament nur Lügner am Werk seien, hört
Jan Veldhuizen fast täglich. Er sehe die Sympathien für die PVV größer
werden. „Die Damen und Herren in Den Haag haben es selbst heraufbeschworen,
wenn es bei der Wahl ein Ergebnis gibt, bei dem sie umfallen“, sagt er.
Dann ist er weg.
Was ist passiert in diesem Land, das einst als Mutterland der Liberalität
und der Integrationsfähigkeit galt?
Ein Ort, an dem das Brückenschlagen noch immer funktioniert, liegt auf dem
Campus der Technischen Universität in Eindhoven. „Cosmos“ ist der Name der
internationalen Studentenvereinigung, einer Art Kulturklub. Die Mitglieder
stammen aus Osteuropa und Skandinavien, aus Deutschland und den USA, China,
Indien oder Indonesien.
## Eine offene Gesellschaft sei Standard – dachte sie
Jede Woche gibt es bei Cosmos gemeinsame Aktivitäten, Diskussionen etwa
oder Ausflüge. Gerade hat man Karneval auf litauische Art gefeiert,
Užgavėnės. Die Mitglieder haben Masken gebastelt, Pfannkuchen gegessen und
„Winter, Winter, geh weg!“ gerufen, so wie man es in Litauen zu diesem
Anlass tut.
Seit Kurzem, sagt Emilija Lazdanaitė, 22, werde bei Cosmos verstärkt über
Politik diskutiert. „Eigentlich seit Trumps Wahlsieg“, sagt sie. Lazdanaitė
stammt aus Litauen und studiert in Eindhoven seit vier Jahren
Ingenieurswesen. Die Karnevalsparty hat sie organisiert.
Was sie erschrecke, sei die Aussicht, sie könne es in Europa und speziell
den Niederlanden bald mit Trump-artigen Zuständen zu tun bekommen, sagt
sie. „Früher hätte ich das nie gedacht. Aber Le Pen, die ich ‚La Trumpett…
nenne, oder Geert Wilders können tatsächlich gewinnen. Das finde ich
beängstigend.“ Was genau sie an Wilders’Partij voor de Vrijheid fürchtet?
„Die Werte, für die er steht: anti Zuwanderung, pro Kernenergie und die
Wirkung auf die Gesellschaft. Ungleichheit, Engstirnigkeit, Klimawandel.“
Die Sache mit dem Klimawandel taucht in der niederländischen Debatte über
die PVV kaum auf. Aber dies hier ist eben ein internationaler Club
technischer Studenten. Auf Emilija Lazdanaitės persönlicher Agenda ist die
Erderwärmung eigentlich das wichtigste Thema. Eine offene, demokratische
Gesellschaft, deren Mitglieder ungeachtet der Herkunft gleichwertig
nebeneinanderstehen, die sah sie im Prinzip verwirklicht. Sie dachte, eine
solche Gesellschaft sei Standard.
## Ausgelacht, weil sie Englisch sprachen
Merkt man die gesellschaftlichen Veränderungen in Eindhoven? Es ist eine
Stadt, die als Industriestandort an Bedeutung verloren hat, sich aber als
innovatives Gründerzentrum neu erfand. Hightech, Designboom und
internationale Expatszene, das ist Eindhoven heute.
Einerseits, sagt Emilija Lazdanaitė, habe sich im Alltag nichts verändert.
Sie lebe gerne in der Stadt, die „keine Schönheit ist, aber nie
langweilig“. Die Menschen findet sie meistens freundlich. „Aber als
Vertreterin von Cosmos habe ich auch schon erlebt, dass Studenten sich
bei mir beklagten, weil jemand zu ihnen gesagt, sie sollten dorthin
zurückgehen, wo sie herkommen.“
Sie kenne sogar Studenten, die ausgelacht wurden, weil sie in der
Öffentlichkeit Englisch sprachen. Das Befremden der Studentin kommt vielen
bekannt vor, die in diesen Wochen die Nachrichten aus den Niederlanden
verfolgen. Sie passen mit dem lange kultivierten Bild von dem Land nicht
recht zusammen. Niederländische Urlaubsbekanntschaften, das sind für viele
immer die gewesen, die viel flüssiger auf Englisch parlierten als die
Deutschen, Spanier oder Schweizer am Tisch.
## Brüssel als Symbol für Entfremdung
Doch wo die Grenzen-dicht-Rhetorik eines Geert Wilders bei vielen verfängt,
hat sich auch die Auffassung durchgesetzt, Zuwanderer hätten gefälligst die
Sprache zu lernen und die niederländische Kultur sei bedroht. Wer länger im
Land unterwegs ist, merkt, dass die Menschen nicht nur bereitwillig ins
Englische springen, sondern auch sehr schnell wieder zurück ins
Niederländische. Und tatsächlich gilt hier die EU-Hauptstadt Brüssel
mittlerweile als Synonym für Entfremdung und Ausverkauf.
Emilija Lazdanaitė hat sich schwarz geschminkte Zacken um ihre Augen
gemalt. Sie künden von dem Vorhaben, den Winter zu erschrecken, wie man es
im litauischen Karneval tut. Sie sagt, sie bemerke, dass in den
Niederlanden inzwischen abschätzig über Europa gesprochen werde. „Oft hört
man diesen Unterton heraus: Die EU ist Bullshit und funktioniert nicht.“
Um sie herum räumen Kommilitoninnen und Kommilitonen der internationalen
Studentenvereinigung derweil ihren Feierraum auf dem Campus auf. Von der
Fensterfront aus sieht man vereinzelt noch Studentengrüppchen mit
Biergläsern über den Campus laufen. Von einem der Sofas kommen englische
Gesprächsfetzen der letzten Gäste herüber. Bis auf einen Mann im
Batman-Kostüm ist niemand mehr verkleidet.
Diese Party ist vorbei.
14 Mar 2017
## AUTOREN
Tobias Müller
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