# taz.de -- Linker Wahlkampf in den Niederlanden: Früher Zyniker, heute Optimi… | |
> GroenLinks setzt mit linker Sozial- und Flüchtlingspolitik gegen den | |
> Islamfeind Geert Wilders. Parteikandidat Zihni Özdil erzählt, wie das | |
> funktionieren soll. | |
Bild: „Ich stehe für Chancengleichheit“, sagt Zihni Özdil | |
APELDOORN taz | Was er von GroenLinks hält? Das Gesicht des Mannes nimmt | |
einen irritierten Ausdruck an. Er beäugt aus dem Türrahmen heraus die | |
beiden Männer in den grünen Jacken vor seinem Haus. Nur drei Worte braucht | |
er, um seine Abneigung auszudrücken: „Misplaatste Robin Hoods.“ Robin | |
Hoods, die fehl am Platz sind. Es ist eines der ersten Einfamilienhäuser, | |
die das GroenLinks-Team an diesem kalten und grauen Samstag ansteuert. | |
Welgelegen in der ostniederländischen Stadt Apeldoorn gilt als Wohngegend | |
mit einer aufgeschlossenen Einwohnerschaft. Es gibt Ausnahmen. Der Mann | |
schließt die Tür, ohne sich auf eine Diskussion einzulassen. | |
Zihni Özdil, 35, ficht das nicht an. Austeilen und einstecken, das kennt er | |
als Kolumnist und streitbarer Diskutant, und an einer wortgewandten Abfuhr | |
kann er sich sogar erfreuen. Ohnehin hat er gute Laune, denn vor den | |
Parlamentswahlen am 15. März liegt GroenLinks mit erwarteten 11 Prozent der | |
Wählerstimmen gut im Rennen, als einzige progressive Partei. Özdil, der | |
sich eben im Vorgarten einer Parteifreundin zwischen Krokussen und | |
Schneeglöckchen in die knallgrüne Jacke der Partei geworfen hat, rangiert | |
als Neuling auf Listenplatz 8. | |
Fröhliche Gesichter auch im Rest des Teams: Ariane van Burg, die | |
Vorsitzende der Apeldoorner Stadtratsfraktion, Kathalijne Buitenweg, die | |
Zweite auf der Kandidatenliste, und nicht zuletzt viele Freiwillige. „Mehr | |
als 6.000 haben wir, und jeden Tag kommen im Schnitt 50 neue dazu“, erzählt | |
Kampagnenstratege Leon Boelens, der eigens nach Apeldoorn gekommen ist. | |
Erstmals, sagt er, klappert die Partei dieses Jahr in 50 Städten die | |
Haustüren ab. „Die Niederlande sind sehr polarisiert. So zeigen wir, dass | |
wir mit allen ins Gespräch kommen wollen.“ | |
Polarisiert ist das Land tatsächlich, und die rechten Parteien bestimmen | |
den Wahlkampf: die Law-and-Order-orientierten Liberalen (VVD) und die | |
kulturkämpfenden Patrioten von Geert Wilders'PVV. Die Sozialdemokraten | |
kommen nicht dagegen an; ihnen hängt nach, dass sie an der Sparregierung | |
mit den Liberalen teilnahmen, erklärt der Amsterdamer Politologe Jean | |
Tillie. Und die Sozialisten gelten als zu aktivistisch und deswegen als | |
nicht regierungsfähig. „GroenLinks dagegen zieht die an, die | |
sozial-ökonomisch links, für Europa und eine kulante Flüchtlingspolitik | |
sind.“ | |
## Scharf formulierte Ansichten | |
Erschöpfung ist Zihni Özdil an jenem Samstagmorgen nicht anzumerken, | |
obwohl doch mehrere Wochen anstrengender Wahlkampf, eine Woche Unterricht | |
an der Uni und allabendliche Diskussionsveranstaltungen hinter ihm liegen. | |
Ihm macht das alles Spaß, „ich beziehe meine Energie daher!“, sagt Özdil. | |
Der Zug nach Apeldoorn ist ihm vor der Nase weggefahren, im Handumdrehen | |
hat er ein Taxi organisiert. „Morgen Chef, das wird eine schöne Fahrt für | |
dich“, grüßt er den Fahrer. Dann ruft er die Kollegen in Apeldoorn an. Es | |
könnte später werden. | |
Während das Taxi sich auf der linken Spur der Autobahn hält, erzählt Özdil | |
seine Geschichte. Der Enkel eines türkischen Gastarbeiters war mit Anfang | |
30 schon ein bekannter Publizist, der sich mit Verve in die Debatten mengt. | |
Und so freundlich er im Umgang ist, so scharf formuliert er seine | |
Ansichten. Er attackiert den Rassismus der alteingesessenen Niederländer | |
ebenso wie konservative Migrantenvereinigungen, die in ihren | |
monokulturellen Nischen bleiben. | |
„Das Wort ‚Scheißtürke‘ hat für mich fast etwas Nostalgisches“, ist … | |
typischer Özdil-Satz über seine Jugend in Rotterdam. Bei vielen | |
niederländischen Türken ist der Erdoğan-Kritiker nicht sehr beliebt, auch | |
weil er in Talkshows Bier trinkt. Als Student hat Özdil bereits mit | |
GroenLinks sympathisiert, doch „ich fand“, sagt er rückblickend, „dass d… | |
progressiven Parteien in die falsche Richtung gingen: die Sozialdemokraten | |
in den 1990ern mit ihrem Dritten Weg, und dann auch GroenLinks.“ Zu | |
neoliberal. | |
## Es geht nicht um Identität und Moscheen | |
Ende 2014 wird Özdil aus seiner abgeklärten Desillusioniertheit gerissen. | |
Er sieht im Fernsehen, wie der französische Ökonom Thomas Piketty mit dem | |
niederländischen Parlament diskutiert. Eingeladen hatte ihn „so ein junger | |
Typ von GroenLinks“. Was Özdil von diesem hört, überzeugt ihn: „Endlich … | |
da jemand, der nicht mehr mitlaufen wollte mit diesem Diskurs der Rechten. | |
Jemand, der sagte: Es geht nicht um Identität und Moscheen, sondern um | |
ökonomische Ungleichheit. Das war der erste Moment, in dem mein Zynismus zu | |
schwinden begann.“ | |
Der „junge Typ“ heißt Jesse Klaver und ist heute Spitzenkandidat von | |
GroenLinks. Inzwischen ist er 30 Jahre alt, verfügt über ein Charisma wie | |
Justin Trudeau und ist bekannt für seinen Einsatz gegen steuerumgehende | |
Multinationals. Die Tageszeitung Trouw schreibt, dass Klaver wesentlich zum | |
Aufstieg seiner Partei beigetragen hat. Hinzu kommt eine Kampagne, die | |
stark auf Onlinemedien setzt und sich an denjenigen von Obama, Bernie | |
Sanders und Podemos orientiert. Vielleicht vermittelt ihr Wahlkampf auch | |
einfach eine Botschaft der Hoffnung in dunklen Zeiten, die sich positiv von | |
den Schreckensszenarien der anderen Parteien abhebt. | |
Während Özdil in Apeldoorn durch den kalten Wind von einem freistehenden | |
Einfamilienhaus zum nächsten geht, dort auf erfreute GroenLinks-Wähler, | |
knurrige Konservative und vor allem viele Unentschlossene trifft, versucht | |
er, den Aufschwung seiner Partei einzuordnen. Eine nationale Angelegenheit | |
ist dieser nicht, glaubt er: „Der Sanders-Effekt ist nicht zu | |
unterschätzen, der die Demokraten nach links gerückt hat. Vor Piketty | |
sprach Occupy die soziale Ungleichheit an. Und Trumps Sieg bringt jetzt die | |
schweigende Mehrheit auf die Beine.“ | |
## Miit wem würde GroenLinks am liebsten regieren? | |
Zwischen zwei Hausbesuchen taucht das Kamerateam eines lokalen TV-Senders | |
auf. | |
Wofür stehen Sie persönlich? – „Chancengleichheit für alle in unserem | |
Land.“ | |
Was bedeutet das Wahlkampfmotto „Zeit für Veränderung“? – „Es geht um… | |
Frage, wie wir unser Land einrichten. Die Wirtschaft soll der Gesellschaft | |
dienen, nicht umgekehrt!“ | |
Und mit wem würde GroenLinks am liebsten regieren? – „Mit einem | |
progressiven Kabinett. Eine Partei haben wir ausgeschlossen: Wilders'PVV, | |
weil sie dermaßen weit von uns entfernt liegt.“ | |
An halboffenen Türen politische Inhalte zu verhandeln und zu verwandeln, | |
ist selbst für einen erfahrenen Rhetoriker wie Özdil nicht immer einfach. | |
Immerhin entsteht durch seine Standardfrage, welche Themen den Apeldoornern | |
am Herzen liegen, eine ziemlich treffende Skizze: Wer Sicherheit anführt, | |
wählt die neoliberale VVD; für wen Bildung mehr zählt, die liberalen | |
Democraten66. GroenLinks-Sympathisanten führen vor allem die Umwelt an. Was | |
naheliegt, hat die Partei doch gemeinsam mit den Sozialdemokraten einen | |
Entwurf für ein ambitioniertes Klima-Gesetz ausgearbeitet. | |
Als alle Flugblätter in Apeldoorn verteilt sind, zieht Özdil ein Fazit: | |
Spaß mache ihm diese Arbeit immer, doch am Wochenende zuvor, wo er im | |
Norden des Landes unterwegs war, sei die Zustimmung größer gewesen. Diesmal | |
verpasst er den Zug nicht, und auf der Rückfahrt nach Amsterdam wünscht ihm | |
eine junge Frau mit Kopftuch, die von einem Besuch bei ihren Eltern | |
zurückkehrt, Glück. | |
Zwei Tage später muss Özdil auf seinem Weg ins Parlament eine Pause | |
einlegen. Eigentlich sollte er am Abend an der Universität in Leiden mit | |
Studierenden diskutieren. Eine schwere Erkältung hält ihn zu Hause: | |
„Gestern hatte ich TV-Aufnahmen ohne Winterjacke“, simst er. Ein wenig Ruhe | |
kann nicht schaden. Am Wochenende steht wieder eine Debatte an, mit | |
Jungpolitikern zum Thema „Millennials und Politik“. Und danach kann man die | |
Tage bis zur Wahl an den Händen zählen. Zihni Özdil, früher Zyniker und | |
heute Optimist, ist bereit. | |
7 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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