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# taz.de -- Grüner Wahlkampf in den Niederlanden: Für eine offene Gesellschaft
> Bahnt sich da eine Überraschung an? GroenLinks könnte stärkste
> progressive Kraft der Niederlande werden. Was Spitzenkandidat Jesse
> Klaver dafür tut.
Bild: Hält sich selbst in den Händen: GroenLinks-Spitzenkandidat Jesse Klaver
AMSTERDAM taz | Natürlich weiß Jesse Klaver, wie Gewinnen geht. Neulich
erst hat er es getan, Anfang März, bei der Fernsehdebatte gegen sieben
andere Spitzenkandidaten im renommierten Amsterdamer Theater Carré. Nach
der Diskussion kürten die Zuschauer ihn, den jüngsten Teilnehmer, zum
Besten.
Sie unterstrichen, was niederländische Spatzen seit Wochen von den Dächern
pfeifen: GroenLinks (GrünLinks) könnte die Überraschung der
Parlamentswahlen am Mittwoch werden. Nachdem sie bei den letzten Wahlen
abgestürzt war, befindet sich die Partei seit einiger Zeit im Aufwind. Und
Jesse Klaver, der 30-jährige Fraktionschef, zielt auf den ganz großen Wurf.
Nach der letzten Wahl von 2012 hatte er es gerade noch als Vierter in die
arg dezimierte Parlamentsfraktion geschafft. Seit 2015 ist er deren Chef.
Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, das Wort „Premier“ aus seinem Mund
zu vernehmen.
Warum er für dieses Amt geeignet sei, wollte unlängst ein niederländischer
Moderator von ihm wissen. „Weil ich nicht mal vor dem Teufel Angst habe“,
antwortete Klaver. Vor allem hat er keine Scheu, in Dimensionen zu denken,
die man bei GroenLinks bislang kaum kannte – einer Oppositionspartei der
progressiven Ideen und des guten Gewissens, verankert in urbanen
alternativen und liberalen Milieus, aber auch auf diese beschränkt.
Klaver rührt dagegen mit großer Kelle an. „Das Türmchen“, sinnierte er b…
einem Wahlkampfauftritt und meinte damit den Amtssitz des niederländischen
Regierungschefs, „ist nicht der Endpunkt einer politischen Laufbahn,
sondern der Beginn gesellschaftlicher Veränderung.“
Das sind unerhörte Töne aus einem Umfeld, in dem Regieren nicht zu den
natürlichen Ambitionen zählt. Entstanden ist GroenLinks 1990 aus einer
gemeinsamen Liste vier kleiner Linksparteien: der niederländischen
Kommunistischen Partei (CPN), der Pacifistisch Socialistische Partij (PSP),
der progressiv-christlichen Evangelische Volkspartij (EVP) und der
ursprünglich linkskatholischen Politieke Partij Radicalen (PPR). Ihr bestes
Ergebnis bei Parlamentswahlen holte die neue Partei im Jahr 1998 mit elf
Sitzen.
## Keine einheitliche Abgrenzung in Fundis und Realos
In den letzten Jahren machte GroenLinks öfter durch Diskussionen über den
Parteikurs von sich reden. Obwohl es keine einheitliche Abgrenzung in
Fundi-und Realoflügel gibt, rang man intern um den zukünftigen Kurs. Unter
Femke Halsema, Fraktionschefin in den Jahren 2002 bis 2010, orientierte
sich die Partei stark in Richtung linksliberal.
Die aktuelle Ausrichtung hat einen deutlich sozialeren Anstrich.
Chancengleichheit für alle Kinder und Kampf gegen die Kluft zwischen Arm
und Reich sind wesentliche Punkte im aktuellen Wahlprogramm, ebenso wie ein
Ende der Steuerfreiheit internationaler Konzerne.
Auch die Marktelemente im Gesundheits- und Pflegebereich will man
einschränken. Hinzu kommen ökologische Aushängeschilder wie die geforderte
Schließung der Kohlekraftwerke und ein ambitioniertes Umweltgesetz, mit dem
jährlich neue Klimaziele definiert werden sollen. Den Entwurf erarbeitete
GroenLinks gemeinsam mit den Sozialdemokraten.
Dieses Profil ist ein wesentlicher Faktor für die grün-linke Erfolgswelle.
Ausschlaggebend ist aber auch, dass man diesen Kurs mit ausgebreiteten
Armen verkündet. „Eine Gesellschaft“, lautet eine der zentralen Aussagen
des Wahlprogramms: ein flammendes Bekenntnis zu Inklusion und Zusammenhalt
und eine scharfe Abgrenzung zu jenen Gruppierungen, die in der immer wieder
entstehenden Identitätsdebatte die Fliehkräfte stärken.
## Ideale Gallionsfigur
Für dieses Konzept ist Jesse Klaver die ideale Galionsfigur. „Die
empathische Gesellschaft“ ist der Titel seines letzten Buchs. Empathie
verkörpert auch Klaver selbst, der aus einfachen Verhältnissen stammt und
seinen marokkanischen Vater nie kannte.
Charisma ist die zweite Komponente seiner außergewöhnlichen Erscheinung.
Ein bisschen Schwiegermuttertraum, ein bisschen alternativer Posterboy, der
unter dem Motto „Zeit für Veränderung“ alle mitnehmen will. Und zugleich,
wie in der eingangs erwähnten TV-Debatte, mit entschlossenem Blick
verkündet, die niederländische Identität bestehe vor allem aus der Freiheit
vor Diskriminierung.
Das Amalgam all dieser Elemente ist ein moderner Wahlkampf, der auf dem
Einsatz Tausender Freiwilliger beruht und mit „Meet Up“ betitelten
Veranstaltungen in Konzertsälen des Landes an amerikanische Conventions
erinnert.
Begünstigt wird der Aufschwung freilich auch von der schweren Krise der
Sozialdemokraten, die zahlreiche Wähler an GroenLinks verlieren dürften.
Entscheidend für die Zukunft wird indes die Frage, wie viel von
inhaltlichen Ambitionen und Wohlfühlfaktor übrigbleibt, wenn die bislang
wohl stärkste GroenLinks-Fraktion ins neue Parlament einzieht.
15 Mar 2017
## AUTOREN
Tobias Müller
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