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# taz.de -- Europäische Grüne im Wahlkampf: Aus Holland lernen
> Bei der Wahl in den Niederlanden hat „GroenLinks“ ordentlich gepunktet.
> Warum eine moderne Linke eine neue Sprache braucht.
Bild: Sooo muss Links-Grün: die niederländischen Vorbilder in Siegerpose
Es fühlte sich an wie ein Moment europäischer Innenpolitik: Nach dem
niederländischen Wahlergebnis vom Mittwoch war kollektive Erleichterung
weit über die niederländischen Grenzen hinaus zu spüren, weil sich die
pro-europäischen, nicht die nationalistischen Kräfte durchgesetzt haben.
Europa 1, Rechtspopulisten 0 – das ist der Zwischenstand nach dem ersten
Akt des europäischen Superwahljahrs.
Die Freude ging über alle pro-europäischen Parteigrenzen hinweg.
Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne – egal, wie die eigene
Schwesterpartei in den Niederlande tatsächlich abgeschnitten hatte,
Hauptsache Wilders hatte nicht gewonnen.
Zweifelsohne, dieses Wahlergebnis ist eine gute Nachricht für Europa; und
wie auch die neue Bewegung „Pulse of Europe“ zeigt es, dass die Europäische
Union keinesfalls ein Auslaufmodell ist. Doch im holländischen Wahlergebnis
steckt noch viel mehr abseits der groben pro- und contra-Europa-Binarität
oder, anders gesagt, der Wahl zwischen Populismus und groß-koalitionärem
Status quo. In den Niederlanden ist eine moderne Linke geboren, eine linke
Alternative, die anders auftritt und insbesondere besser kommuniziert.
Die Partei, die dafür steht heißt „GroenLinks“, also Grün-Links, ihr
Shootingstar ist Jesse Klaver. Ihr Ergebnis von 2012 vervierfachten die
niederländischen Grünen, ihr Wahlkampf wurde zu einer breiten
Graswurzelbewegung vor allem junger Leute. GroenLinks wurde zur
zweitstärksten Partei bei jungen Wählern und zur stärksten Partei in
Amsterdam.
## Punkten mit Mitgefühl
Der grüne Frontmann Klaver hat im Wahlkampf etwas getan, womit man
scheinbar in den letzten Jahren in Deutschland keinen Blumentopf außerhalb
eines engen Milieus gewinnen konnte. Er hat klar und deutlich gesagt: Ich
bin links. Dabei hat Klaver das „Links sein“ nicht neu definiert, aber
anders und besser vermittelt. Im Mittelpunkt seiner Kampagne stand ein
zentraler Wert: Mitgefühl.
Mit diesem Begriff kann jeder Mensch etwas anfangen. Mitgefühl empfinden
wir alle, allen wurde es schon einmal zuteil, und jeder wünscht es sich.
Diesen Begriff zeichnet eine starke emotionale Nachvollziehbarkeit und eine
äußerst positive Konnotation aus. Und er beschreibt eben auch genau das,
worauf linke Politik beruht: Dass in einer Gesellschaft nicht das Recht des
Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Miteinanders. Dabei geht es nicht um
Gleichmacherei, sondern um den Abbau großer Ungleichheit.
Programmatisch setzt Grün-Links dort an, wo sich auch andere linke Parteien
in Europa positionieren: Steuererleichterungen für niedrige und mittlere
Einkommen, stärkere Besteuerung der Spitzeneinkommen, die Eindämmung von
Gehaltsexzessen in den Top-Positionen großer Unternehmen, das Ende von
Steuersparmodellen für internationale Großunternehmen. Dieses Thema hat in
den Niederlande besondere Brisanz, weil das Land zu den größten Steueroasen
Europas gehört, die Briefkastenfirmen zahlreicher internationaler
Unternehmen ins Land gelockt hat und davon unterm Strich auch profitiert
hat. Jesse Klaver wendet sich dagegen, weil diese staatlich organisierten
Steuertricks eben gehörig das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen
stört.
Klavers Wahlerfolg zeigt, dass das linke Wertefundament und linke
Programmatik breite Unterstützung erfährt. Man muss es nur richtig
kommunizieren. Begriffe wie Umverteilung, Vermögenssteuer,
Millionärssteuer, und so weiter beschreiben einen staatlich organisierten
Vorgang des „Wegnehmens“. Mitgefühl bezeichnet eine persönliche
Gefühlslage, aus der Menschen heraus ohne Zähneknirschen etwas abgeben.
Kritik an der Steuervermeidung kann man über die „bösen Konzerne“ drehen
oder wie Klaver über den Wert der Fairness, der unter allen Bürgern und
Firmen gelten sollte, die mittels Steuern unser Gemeinwesen finanzieren.
## Sprache des Miteinanders
Jeder, der über das Streichen von Managerboni redet, läuft Gefahr, eine
Neiddebatte zu führen. Die holländischen Grünen sagen, dass eine andere
Vergütungskultur in Führungsetagen zu unternehmerischen Entscheidungen
führen, die sich an langfristigen, gesellschaftlichen statt persönlichen,
kurzfristigen Interessen orientieren. All das ist nicht die Rhetorik des
Klassenkampfes, sondern die Sprache des fairen Miteinanders.
Der Erfolg von Grün-Links in den Niederlanden zeigt uns: Es gibt einen
Bedarf nach linker Politik. Wer damit Erfolge haben will, muss seine
Politik mit den positiven Werten linker Programmatik kommunizieren. Vor der
Bundestagswahl 2013 führte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften,
Sozialverbänden, Attac und linken Gruppen eine Kampagne „Umverteilung“. Wir
Grünen schrieben zahlreiche Steuererhöhungen für diejenigen mit stärkeren
Schultern in unser Wahlkampfprogramm 2013 und rechneten kühl vor, wie viele
Investitionen man damit finanzieren kann.
Die Kampagne der Zivilgesellschaft lockte nur wenige hinter dem Ofen
hervor. Das Programm der Grünen entfaltete bekanntermaßen keine
Begeisterung. Jesse Klaver hat gezeigt, wie Mitgefühl eine neue Generation
für mehr Gleichheit begeistern kann. Das ist die Lehre für alle, die auch
bei der Bundestagswahl eine Alternative links des schwarz-roten Knäuels
anbieten wollen.
18 Mar 2017
## AUTOREN
Sven Giegold
## TAGS
GroenLinks
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