Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Bewegung „Pulse of Europe“: Nicht perfekt, doch dringend n�…
> „Pulse of Europe“ wächst in München und vielen anderen Städten. Sie wi…
> den Schwung der Niederlande-Wahl durchs Frühjahr tragen.
Bild: „Pulse of Europe“ trifft sich sonntags auf dem Gendarmenmarkt in Berl…
München taz | Die Mikrofonanlage ist zu klein. Immer wieder rufen die
Zuhörer vor der improvisierten Bühne, Anna Schwarzmann solle lauter
sprechen. Doch das Mikro steht schon auf maximaler Lautstärke: „Wow, schön
… da seid … wir sind … Europe … schön, dass ihr da seid.“
Immer wieder muss die 32-Jährige, das blonde Haar unter einer Mütze
versteckt, neu ansetzen, immer wieder entschuldigt sie sich bei den mehr
als 300 Menschen. Man sieht, dass sie völlig überwältigt ist. Denn wer
hätte gedacht, dass schon die erste Veranstaltung von „Pulse of Europe“ in
München ein solcher Erfolg ist?
Zum Glück war das Kreisverwaltungsreferat hilfsbereit, erzählt Schwarzmann:
„Ich durfte einfach 30 bis 300 Leute anmelden. Schließlich hatte ich keine
Ahnung, wie viele hier beim ersten Mal erscheinen.“
Die Veranstaltung Mitte Februar war die erste Demonstration, die Anna
Schwarzmann organisiert hat, aber es soll nicht die letzte sein. Hier am
Max-Joseph-Platz, mitten in München, wo sich ein Luxusmodegeschäft ans
nächste reiht, will sie jeden Sonntag um 14 Uhr gemeinsam vielen Menschen
demonstrieren. Und zwar nicht gegen, sondern für etwas.
## In Frankfurt am Main ging alles los
Europa ist das Thema. Dieser Bund aus vielen Staaten, der zwar bei Weitem
nicht perfekt ist, aber doch so dringend nötig, wie Anna und ihre
Mitstreiter finden. „Pulse of Europe“ nennt sich die Bewegung, die Ende
2016 in Frankfurt am Main ihren Ursprung fand und sich immer weiter
ausbreitet. München war Stadt Nummer 15.
Eine Woche vor der ersten Demonstration kannten sich die Organisatoren um
Anna Schwarzmann noch nicht. Gemeinsam hatten sie nur, dass sie alle sich
an die Veranstalter in Frankfurt gewandt hatten, um ihre Mithilfe
anzubieten. Die Antwort war eine Gruppen-Mail: Macht ihr das doch zusammen.
Dazu einige Unterlagen mit ersten Organisationstipps.
Und so kam es, dass sich die Rechtsanwältin Anna Schwarzmann, die
Unternehmensanalystin Clara Mokry, der Physiker Michael Bögl und der
Schauspieler John Friedmann mit dem Rest der Gruppe am einem Montag auf ein
Bier treffen und beschließen: Ja, wir kriegen das hin, und zwar schon bis
zum Sonntag.
Dafür mussten sie Flyer organisieren, Freunde und Bekannte einladen, die
Veranstaltung anmelden, und das alles neben dem Beruf. Anna Schwarzmann
hatte schon entspanntere Wochen als die letzten, sagt sie, aber die EU ist
immerhin mit dafür verantwortlich, dass hier seit mehr als 70 Jahren
Frieden herrscht, da kann man die Menschen ruhig mal dran erinnern.
300 Menschen wollen sich beim ersten Mal erinnern lassen. Einige haben
selbst gebastelte EU-Flaggen dabei, ein bisschen blaue Farbe zwischen
überwiegend dunklen Mänteln, viel grauem Haar. Ein großer Teil der
Teilnehmer besteht aus Menschen jenseits der 60. Nicht gerade das Publikum,
mit dem die Organisatoren gerechnet hatten, einer spricht hinter
vorgehaltener Hand grinsend von einem „Besuchstag im Altersheim“. Aber auch
einige Familien sind da, mit Kindern, die zunächst etwas schüchtern, dann
mit wachsender Begeisterung blaue Fähnchen schwenken.
Mit einer kleinen Fahne wollte sich der 28-jährige Akilnathan Logeswaran
nicht zufrieden geben, er trägt eine Europaflagge als Umhang. Außerdem ist
sein gesamtes Gesicht blau geschminkt, mit einem Kreis aus gelben Sternen.
Er hat eine Vermutung, warum die Jugend hier in der Unterzahl ist: „Das
Bewusstsein, auf die Straße zu gehen, das ist bei den Älteren noch weiter
verbreitet, als bei uns Jüngeren.“ Auch scheint sich die Jugend zu sehr an
offene Grenzen, das Austauschprogramm Erasmus und eine gemeinsame Währung
gewöhnt zu haben.
## Erinnerungen an die ersten Auslandsreisen
Der ehrenamtliche Einsatz für eine gesellschaftliche Überzeugung fordert
persönliche Opfer, das weiß auch Anna Schwarzmann. Eigentlich will sie zur
zweiten Demonstration eine Woche später wegen eines privaten Termins nicht
erscheinen, aber dann steht sie doch wieder auf dem Max-Joseph-Platz,
begrüßt gemeinsam mit Clara Mokry die Menschen, 500 sind es diesmal, von
einer richtigen Bühne herab.
Es gibt ein offenes Mikrofon, Freiwillige aus dem Publikum dürfen sagen,
warum ihnen Europa wichtig ist. Zwölf Redner können die Organisatoren auf
die Bühne lassen, für mehr reicht die Zeit nicht. Ältere Menschen erzählen
von ihren ersten Reisen ins Ausland, damals, als das noch nicht so einfach
war.
Es reden aber auch Schüler, die fordern, dass ihnen Europa nicht
weggenommen wird, und eine Studentin aus Frankreich, die für den
kulturellen Austausch zwischen den Staaten Europas wirbt. Auch bei den
Zuschauern zeigt sich ein gemischteres Bild als in der Woche zuvor.
Als die letzten Redner die Bühne längst verlassen haben, die Veranstaltung
längst beendet ist, stehen noch immer Demonstrationsteilnehmer in kleinen
Gruppen auf dem Platz. Sie schimpfen über die teuren Bürokraten in Brüssel
oder diskutieren teils heftig über Europas Zukunft. Andere versuchen die
Wogen zu glätten: „Das Entscheidende ist nicht, in die oder in jene
Richtung gehen. Wichtig ist erst mal: Wir wollen zusammen bleiben und nach
dem Brexit nicht auch noch andere Staaten verlieren.“
Die Unterhaltungen machen deutlich, wie kontrovers Europa gesehen wird,
aber genau das ist das Ziel der Organisatoren von „Pulse of Europe“:
Diskussionen anfachen, das Thema nicht als selbstverständlich abstempeln.
Viele Menschen, erzählt Anna Schwarzmann, sind auf sie und ihre Kollegen
zugekommen, um danke zu sagen. Endlich gebe es so eine Veranstaltung in
München, sie hätten schon lange darauf gewartet.
Die Bereitschaft, etwas zu tun, sie ist also vorhanden. Es musste sich bloß
jemand finden, der den ersten Schritt macht. Bis Mitte Mai hat Anna
Schwarzmann den Max-Joseph-Platz reserviert. Ob die Bewegung so lange
Menschen auf die Straße lockt? Vorerst wächst sie weiter.
Anna Schwarzmann kann von der Bühne aus verkünden, dass ihre Mitstreiter
mittlerweile in 20 Städten aktiv sind, darunter ist auch Frankreichs
Hauptstadt Paris. Die Bewegung ist international geworden.
## 2.000 Menschen singen die „Ode an die Freude“
Zwei Wochen später, es ist der Sonntag vor der Wahl in den Niederlanden. In
36 deutschen und fünf französischen Städten sowie in Lissabon und Brüssel
wird heute demonstriert.
Wieder hat sich „Pulse of Europe“ in München verdoppelt, zum vierten Mal
hintereinander. Auf dem Max-Joseph-Platz stehen 2.000 Menschen aller
Altersstufen, sie filmen einen gemeinsamen Appell an die Menschen in den
Niederlanden: „Bleibt bei uns“, erst auf Deutsch, dann auf Niederländisch.
Wie jede Woche singen sie die „Ode an die Freude“, die offizielle
Europahymne, von der Bühne aus begleitet sie heute ein ungefähr zehn Jahre
alter Junge mit seiner Querflöte.
Auch Menschen, die heute zum ersten Mal dabei sind, lassen sich von der
positiven Stimmung auf dem Platz begeistern: „Das ist eine klare Stärke.
Gerade, wenn man sieht, wie viele andere miese Stimmung machen“, sagt eine
Frau.
Die positive Stimmung vor dem Nationaltheater hat auch die Organisatoren
überzeugt. Eigentlich hatten sie darüber nachgedacht, nach der Wahl in den
Niederlanden kürzer zu treten. Sich vielleicht nur noch alle vierzehn Tage
zu treffen. Aber sie haben sich umentschieden: So lange wie immer noch mehr
Menschen zusammenkommen, so lange wollen sie weiter jeden Sonntag da sein.
Die positive Stimmung nutzen, mindestens bis zur Wahl Anfang Mai in
Frankreich.
Die Mikrofonanlage auf der Bühne, auch sie ist deutlich größer geworden
seit der ersten Veranstaltung. Bei 2.000 begeisterten Europäern in München
kommt aber auch sie an ihre Grenzen. Und falls es in den nächsten Wochen so
weitergehen sollte wie bisher, dann müssen die Organisatoren wohl noch ein
Paar zusätzliche Lautsprecher besorgen.
18 Mar 2017
## AUTOREN
Lukas Graw
## TAGS
Pulse of Europe
Europa
Bewegung
Lesestück Recherche und Reportage
Oper
Pulse of Europe
Schwerpunkt Brexit
Pulse of Europe
GroenLinks
Europa
Europäische Union
Lesestück Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berliner „Staatsoper“ öffnet wieder: Offiziell on time
Nach sieben Jahren gibt es wieder eine Aufführung im sanierten Opernhaus
Unter den Linden. Beim Eröffnungstermin wurde gemogelt.
March for Europe in Berlin: „Wir sind im Vorteil“
Am Samstag läuft der March for Europe durch Berlin. Zielgruppe: die „bisher
schweigende Mehrheit der ProeuropäerInnen“, sagt Mitorganisatorin Katja
Sinko
Brexit bald offiziell: Der Scheidungstermin steht
Die Regierung wird am 29. März offiziell den Austritt des Landes aus der EU
verkünden. Dann werden ziemlich zähe Verhandlungen beginnen.
Pulse of Europe in Berlin: Mit Schirm, Charme und Sternchen
Am Gendarmenmarkt beteiligen sich trotz Wind und Regen mehrere tausend
Menschen am „Pulse of Europe“, darunter viele Über-60-Jährige.
Europäische Grüne im Wahlkampf: Aus Holland lernen
Bei der Wahl in den Niederlanden hat „GroenLinks“ ordentlich gepunktet.
Warum eine moderne Linke eine neue Sprache braucht.
Die EU und ihre Konkurrenz: Europäer, seid unvernünftig!
Die Europäische Union ist eine verrückte Idee. Nun wollen ihr drei Irre,
Putin, Erdoğan und Trump, Konkurrenz machen.
„Pulse of Europe“-Demonstrationen: EU-Anhänger formieren sich
Mit „Pulse of Europe“ wächst eine EU-freundliche Bürgerbewegung. Jeden
Sonntag wird in 35 deutschen Städten demonstriert.
Robert Habeck über die Grünen: „Nicht immer gegen was. Für!“
Umfragetief? Rechte Gegner? Seine Partei müsse sich wieder Idealismus
trauen. Aber nicht abstrakt, sondern konkret, „so, dass man es versteht“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.