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# taz.de -- Debatte Rechtspopulismus in Europa: In der Geert-Wilders-Falle
> Faktenchecks bewirken wenig gegen hartnäckigen Glauben. Journalisten
> werden zur Konfliktpartei und viele haben sich an Wilders gewöhnt.
Bild: Geert und sein liebstes Propaganda-Spielzeug
Eine Karikatur in der Süddeutschen Zeitung gehört zu den besten Beiträgen
über den Umgang mit Rechtspopulismus, die ich seit langer Zeit gesehen
habe. Und auch zu den unbequemsten. Sie stellt eine Alltagsszene dar: Mann
und Frau sitzen auf dem Sofa, sehen fern. Was sie schauen, können wir
ungefähr erahnen. Der Mann sagt: ,,Ist doch egal, ob er die Wahrheit sagt.
Für mich zählt, dass er recht hat!'‘ Witzig natürlich, und auch sehr
treffend. Die Szene zeigt, wie Populismus ankommt. Und auch, wie schwer es
für die Medien sein kann, damit umzugehen.
In den Niederlanden finden am 15. März Parlamentswahlen statt. Der
Wahlkampf wird dominiert von einem Politiker, der ohne einen einzigen
Beweis sagt: ,,Frauen haben Angst, ihr blondes Haar zu zeigen.'‘ Oder auch:
,,Die islamische Ideologie ist womöglich noch gefährlicher als der
Nationalsozialismus.'‘ Ob das wahr ist oder nicht, scheint seiner
Anhängerschaft egal zu sein. Was für sie zählt, ist, dass er gegen Muslimen
redet. Und gegen Asylbewerber.
Der Umgang mit diesem Politiker namens Geert Wilders stellt die
niederländischen Medien ständig vor Probleme. Mit vielen JournalistInnen
weigert er sich zu sprechen, er gibt selten Interviews, vermeidet
Fernsehdebatten mit politischen Rivalen. Er kommuniziert hauptsächlich per
Twitter, in sehr realitätsfernen, vagen und provozierenden Mitteilungen.
Sie verursachen meistens viel Aufregung. Darum trauen die Medien sich nur
selten, diese Tweets zu ignorieren.
Ähnlich wie Präsident Donald Trump die Medien in den USA zu Gegner erklärt
hat, hat dies auch Wilders getan – und zwar schon lange vor Trump. Er
provoziert und demütigt sie, zum Beispiel wenn er bei einer Veranstaltung
sagt: ,,Journalisten sind furchtbare Leute – und sie sitzen dort!'‘ So
drängt er die Presse in eine Rolle, die sich schwer verträgt mit ihrem
Anspruch auf Unparteilichkeit: als ob sie nicht Berichterstatter wären,
sondern Mitspieler im politischen Kampf.
## Auf dem Glauben beharren
Immer mehr Medien versuchen, der Welle von Unwahrheiten und Fake News mit
nüchternen Faktenchecks entgegenzutreten. Damit konzentrieren sie sich auf
eine ihrer Kernaufgaben – und das ist gut so. Die Faktenchecks ergeben fast
immer nützliche Einsichten und korrigieren politische Behauptungen.
Dennoch: Die Wirkung von Faktenchecks ist beschränkt, wie ein Artikel in
Scientific American kürzlich zeigte. Wenn tiefe, weltanschauliche
Überzeugungen nicht mit Fakten in Einklang zu bringen sind, beharren
Menschen eher auf ihren Glauben, als ihre Meinung zu ändern, schreibt
Michael Shermer in seinem Artikel „Wie man jemanden überzeugt, wenn die
Fakten nicht reichen“ (How to convince someone when facts fail). ,,Wenn
ihre Weltanschauung bedroht wird'‘, schreibt er, ,,werden die Fakten zum
Feind, der überwunden werde muss.'‘
Das mag bedauerlich und besorgniserregend sein. Aber es macht die Presse
weder sinn- noch machtlos. Ihre Aufgabe ist es, nicht Meinungen und
Weltanschauungen zu ändern, sondern relevante Fakten, Berichte und
Hintergrunde zu sammeln und zu präsentieren. Und damit nie aufzuhören.
Dabei müssen wir JournalistInnen selbstkritisch sein und erkennen, dass in
unserer politischen Berichterstattung noch viele Verbesserungen möglich und
auch notwendig sind. Bei so mancher Kontroverse in der deutschen
Medienlandschaft kann man beispielsweise zwar überall interessante
Kommentare hören und lesen, muss aber wirklich gut suchen, um die Fakten zu
finden, die den Wirbel verursachten.
Die Rede, in der AfD-Politiker Björn Höcke im Januar zu einer
,,erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad'‘ aufrief, ist zu Recht
umfassend diskutiert worden. Ebenso seine Umschreibung vom Holocaustmahnmal
in Berlin als ,,Denkmal der Schande'‘. Es gab eine Flut von Kommentaren.
Aber mit kompletten, wörtlichen Zitaten – und ich meine mehr als ein oder
zwei Sätze – waren viele Medien ziemlich sparsam. Leider, denn es hätte die
LeserInnen vollständiger informiert.
In den Niederlanden hat sich nach mehr als zehn Jahren in vielen Medien
eine gewisse Gewöhnung an Wilders’ Provokationen eingestellt. Wie weit
seine Radikalisierung geht, fällt kaum noch auf. So wird etwa
vernachlässigt, dass er die Fundamente des demokratischen Rechtsstaats
eigentlich nicht akzeptiert. Er sagt, alle Moscheen schließen zu wollen,
obwohl das Grundgesetz Religionsfreiheit garantiert. Er nennt das Parlament
ein Fake-Parlament. Er diffamiert RichterInnen, deren Urteile ihm nicht
gefallen. In einem Prozess ist er verurteilt worden wegen
Gruppenbeleidigung und Anstiftung zur Diskriminierung.
Die Medien haben über all das natürlich berichtet. Aber, nun ja, danach
macht man weiter und tut so, als ob er doch ein Politiker sei, der in
unserem demokratischen Rechtsstaat funktionieren kann wie alle anderen
auch.
## Die Partei mit einem Mitglied
Und dann ist da seine Partei, die – kein Scherz – nur ein Mitglied hat: ihn
selbst. In dieser außergewöhnlichen Partei, Partij voor de Vrijheid (Partei
für die Freiheit – PVV), sind mehr Mitglieder nicht erwünscht. Es gibt also
keine Demokratie innerhalb der Partei. Wilders fürchtet, sie würde sonst
eine Bedrohung für seine Position. Und in der niederländischen Verfassung
fehlt leider ein Artikel, wie es ihn im deutschen Grundgesetz gibt, der
Parteien eine ,,innere Ordnung'‘ nach ,,demokratischen Grundsätzen'‘
vorschreibt. Das alles sind Fakten. Und es gehört zur Aufgabe der Presse,
die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen und daran zu erinnern.
Aus der Erfahrungen in den Niederlanden kann man lernen, dass die
Bevölkerung und die Presse sich beängstigend schnell an radikale Politiker
und ihre Ideen gewöhnen. Aber das bedeutet nicht, dass man sie totschweigen
sollte. Wir müssen uns ohne Angst mit ihnen auseinandersetzen. Die Medien
sollten faktenorientiert, kritisch und ausführlich über Rechtspopulisten
berichten, so wie über andere Politiker auch. Und sie sollten sich vor
allem nicht in Streit und Emotionen hineinziehen lassen.
3 Mar 2017
## AUTOREN
Juurd Eijsvoogel
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Rechtspopulismus
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