# taz.de -- Schulz' Wahlkampf in den Bundesländern: Alles klar, Jungs? | |
> Schulz schüttelt Hände, besucht Schulen, Altenheime und Start-ups. Bald | |
> schon steht die erste Bewährungsprobe für den designierten SPD-Chef an. | |
Bild: Martin Schulz bei einem Besuch im Coppernicus-Gymnasium in Norderstedt (S… | |
Essen/Berlin taz | Schwungvoll steigt Martin Schulz, designierter Retter | |
der deutschen Sozialdemokratie, am Donnerstagmorgen aus seiner schwarzen | |
Limousine. Er strebt schnellen Schrittes auf das Jugendbildungswerk in | |
Essen-Rellinghausen zu und macht einen überaus frischen Eindruck. Die | |
lokale SPD-Spitze empfängt ihn, Hände werden geschüttelt, Fotos geschossen. | |
Der Kandidat versichert, dass „die Berufsbildung gesellschaftlich | |
unterschätzt wird“ und er hier ist, um diesen misslichen Umstand zu ändern. | |
Im Fenster im ersten Stock drängeln sich ein paar Azubis, um das Spektakel | |
von oben anzuschauen „Alles klar, Jungs? Ich komme gleich hoch“, ruft | |
Schulz aufgeräumt. Er verbreitet eine Munterkeit, die für | |
SPD-Kanzlerkandidaten eher ungewöhnlich ist. Es ist nicht leicht, sich | |
vorzustellen, dass Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück dieselbe | |
Frage über die Lippen gekommen wäre. | |
In Jugendbildungswerk in Essen bestaunt Schulz einen Tapezierer-lehrling, | |
der akkurat eine Tapetenbahn an eine Dachschräge klebt. „Das könnte ich | |
nicht“, sagt der SPD-Mann ordnungsgemäß beeindruckt. Schulz plaudert mit | |
Maler-, Metallbauern- und Schreiner-Lehrlingen, sagt „toll“, „super“ und | |
„Tschüs“. Gern legt er auch mal die Hand auf die Schulter eines Azubis, was | |
ihm erstaunlich unpeinlich gelingt. | |
Schulz besucht Seniorenheime, Feuerwachen, Werften und | |
Start-up-Unternehmen. Ich will lernen, sagt er immer wieder, um | |
ausreichende Demut zu signalisieren. Der Kanzlerkandidat inspiziert | |
gewissermaßen das Land, das er regieren will. „Dies ist keine Wahlkampf-, | |
dies ist eine Informationsreise“, sagt er. | |
## Ein Sieg scheint möglich | |
So ganz zweckfrei ist der Trip allerdings nicht. Er führt vor allem durch | |
Bundesländer, in denen demnächst gewählt wird: Nordrhein-Westfalen, | |
Saarland, Schleswig-Holstein. Wie die SPD dort abschneidet, das wird die | |
erste Bewährungsprobe für den designierten SPD-Chef. | |
Arno Klare ist Bundestagsabgeordneter aus Mülheim/Ruhr. Er kennt das | |
Ruhrgebiet aus dem Effeff, war lange SPD-Geschäftsführer in seiner Stadt | |
und in Essen und macht den Eindruck, mit beiden Beinen auf dem Boden zu | |
stehen. „Ich bin mir sicher“, so Klare, „dass wir am 14. Mai in NRW und am | |
24. September in Berlin vorne liegen.“ | |
Was vor vier Wochen abseitige Traumtänzerei war, ein Sieg über die | |
unschlagbare Angela Merkel, scheint möglich. Der Abwärtstrend der SPD, so | |
Klares Hoffnung, sei mit Martin Schulz gebrochen. | |
Natürlich ist alles offen, die Bundestagswahl erst in sieben Monaten, der | |
Wählerwille unberechenbar wie nie. Aber, so sehen es viele in Partei und | |
Fraktion: Schulz repräsentiert glaubwürdig das Gerechtigkeitsversprechen, | |
das dem schwankenden Sigmar Gabriel niemand abnahm. | |
## Schulz-Hype ist eine Frage des Zeitplans | |
Gerechtigkeit wird ein Schlüsselwort des SPD-Wahlkampfs. Als Erstes soll | |
Schulz den Sozialdemokraten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der neue | |
Stern am erkalteten SPD-Himmel soll dafür sorgen, dass die bisher zu wenig | |
gewürdigten Erfolge der SPD-Minister in der Großen Koalition wie der | |
Mindestlohn und die Rente mit 63 auf das Konto der Partei gebucht werden. | |
Mit Martin Schulz, sagt Arno Klare, „haben wir jemand, der unsere Erfolge | |
sichtbar macht“. | |
Fast 6.000 Menschen sind seit Gabriels Verzicht auf die Kanzlerkandidatur | |
in die Partei eingetreten. Manchen erscheint das in der seit Jahrzehnten | |
schrumpfenden Partei wie ein frühes Pfingstwunder. Die Hälfte der | |
NeugenossInnen ist sogar jünger als 35 Jahre. | |
Ob der Schulz-Hype einfach wieder verdampft, ist auch eine Frage des | |
Zeitplans. Das Regierungsprogramm wird erst spät, Anfang Juli, | |
veröffentlicht. Das Risiko, es früher öffentlicher Kritik auszusetzen, | |
scheint zu groß. Auch das Timing für die Krönungsmesse des neuen | |
Heilsbringers ist gezielt gesetzt. | |
Am 19. März wird Schulz in Berlin zum neuen SPD-Chef erkoren. 2013 war die | |
offizielle Ernennung zum Kanzlerkandidat für Peer Steinbrück der Punkt, an | |
dem der Aufwind nachließ und die Partei in Umfragen auf Sinkflug ging. Das | |
soll diesmal anders sein. | |
## Wie fand der Azubi den SPD-Chef? | |
Am Sonntag darauf, dem 26. März, wählt das Saarland. Dort regiert die SPD | |
als Juniorpartner der CDU. Minimalziel ist, dass die Koalition mit Annette | |
Kramp-Karrenbauers CDU fortgesetzt wird. Manche in der Partei träumen | |
davon, stärker als die Union zu werden, andere, dass es mit Oskar | |
Lafontaines Linkspartei für die erste rot-rote oder rot-rot-grüne Regierung | |
im Westen reicht. | |
Falls die SPD an der Saar die CDU überholt oder gar eine Regierung ohne CDU | |
zu etablieren vermag, wäre das ein Zeichen, dass der wundersame Höhenflug | |
mehr ist als eine flüchtige Luftspiegelung der Meinungsforschung. Es wäre | |
ein erster Beweis, dass die SPD mit Martin Schulz nicht nur Umfragen, | |
sondern auch Wahlen gewinnen kann. | |
Tobias Nießen, 22 Jahre alt, ist Malerlehrling in Essen. Er trägt eine | |
Anstreicherhose und hat gerade mit Schulz im Jugendbildungswerk mit ein | |
paar anderen Azubis zu Mittag gegessen, zum Abschluss der Visite. Der | |
SPD-Mann hat zuerst über Thornton Wilder geredet, weil einer der Azubis | |
Thornton heißt. | |
„Danach wollte er wissen, warum wir Tattoos haben“, so Nießen. Wie fand der | |
Azubi den SPD-Chef? Das war ein normales Gespräch, sagt Nießen knapp. | |
„Normal“ zählt in Essen zu den entschieden liebevolleren Worten, mit denen | |
Politiker bedacht werden. Ob er Schulz auch wählen wird, weiß der Lehrling | |
noch nicht. | |
20 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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