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# taz.de -- Die Wahrheit: Durchs Jahr mit Christian Lindner
> O mein Gott! 2017 wird definitiv das ganz große Jahr eines ganz großen
> Vorsitzenden einer fast ganz vergessenen Partei.
Wird 2017 wirklich das Jahr der AfD? Nur zum Teil! Denn eine kleine, bis
dato völlig unauffällige Partei schickt sich an, in diesem Jahr alles zu
geben, um den Rechten den Schneid abzukaufen beziehungsweise ihn mit einem
anständigen Darlehenszins auszuleihen: die Freiheitlich-Demagogische
Partei, früher bekannt unter dem Künstlernamen FDP. Unter der Herrschaft
des jugendlich-smarten Parteichefs Christian Lindner malen Demoskopen der
Partei ernsthafte Chancen aus, noch einmal Gegenstand der Berichterstattung
zu werden. Wie das gelingen wird? Wir begleiten hier Lindner bis zur
Bundestagswahl im September.
## Januar
Schon Ende 2016 fiel Christian Lindner mit markigen Sprüchen auf („Wer mal
einen Kilometer zu schnell Auto fährt, bekommt sofort sein Knöllchen
zugestellt. Auf der anderen Seite kann ein Terrorist im Visier der
Sicherheitsbehörden mit gefälschter Identität Sozialleistungen ergaunern,
sich bewaffnen und Menschen umbringen.“). Den Trick, gezielt potenzielle
Wählergruppen der FDP, also Autofahrer, gegen Terroristen aufzuwiegeln,
setzt er im neuen Jahr fort: Als am 20. Januar alle Welt nach Amerika zur
Amtseinweihung Donald Trumps blickt, kontert Lindner überraschend: „Es kann
nicht sein, dass jemand, der keine Steuern zahlt und sich ansonsten
aufführt wie die Axt im Walde, in höchste Ämter gewählt wird, ohne dafür
Applaus von der FDP zu erhalten. Deswegen: Hut ab, Herr Trump!“ Das Posting
macht parteiintern schnell die Runde und wird als Schritt in die richtige
Richtung verstanden (nämlich: der AfD Themen wegnehmen, an Debatten
teilnehmen, auch mal was sagen).
## Februar
Die Bundespräsidentenwahl am 12. Februar könnte ein schönes festliches
Ereignis ohne Bedeutung sein – nur einer will sich nicht unter die
Jubelperser mischen: Christian Lindner, parteiintern bereits als
„Wieder-da-Lindner“ gehandelt. Sein unbequemes Facebook-Posting mitten im
dritten Wahlgang (Steinmeier gegen Meisterkoch Schuhbeck 1:1) wirbelt die
Schnarch-Veranstaltung auf: „Frank-Walter Steinmeier mag ein netter Mensch
sein, ein erfahrener Diplomat und hervorragender Politiker – doch wenn er
jetzt nicht bald den Spritpreis senkt, hat auch er Mitschuld am Untergang
Deutschlands.“ Der Sicherheitsdienst des Bundestags nimmt Lindner das Handy
ab, spricht sich aber in einer privaten Stellungnahme ebenfalls für
niedrigere Spritpreise aus. Die FDP nimmt weiter Fahrt auf.
## März
Mit der Landtagswahl im Saarland beginnt das Superwahljahr 2017. Bis
zuletzt überlegt der Parteivorstand, ob die FDP überhaupt teilnehmen oder
nicht ihre Energie für gewinnträchtigere Projekte aufsparen sollte, zum
Beispiel eine geordnete Insolvenz oder mal einen schönen Urlaub. Da
erreicht die Partei eine Schreckensmeldung aus der Türkei: Christian
Lindner hat sich auf dem Taksimplatz angekettet, um gegen die
Diskriminierung kleiner Oppositionsparteien in der Türkei und überall in
der Welt zu demonstrieren: „Es kann nicht sein, dass Herr Erdoğan
Spitzensteuersatz zahlen muss, während über kleine Parteien wie die FDP in
der Türkei gar nicht mehr berichtet wird.“ Das Auswärtige Amt überlegt, ob
der Gefangene Lindner ein Auslieferungsverfahren wert ist, holt ihn dann
aber schweren Herzens zurück – die Türkei habe schließlich schon genug
Probleme, heißt es aus informierten Kreisen.
## April
Eine weitere Schicksalswahl steht an: Bei der Präsidentschaftswahl in
Frankreich könnte zum ersten Mal eine Frau in den Élysée-Palast einziehen.
Schlimmer noch, es könnte Marine Le Pen sein. Auch hier möchte sich
Christian Lindner nicht die Themen von rechts diktieren lassen: Mit einem
„Franzosomobil“ genannten Wahlkampfgefährt reist er nach Frankreich, um ein
Zeichen für Liberalität („libéralité“) zu setzen. In der Pariser Banlie…
findet Lindner deutliche Worte: „Wer sein Leben lang Franzose war, soll am
Lebensende dafür auch eine angemessene Rente bekommen. Auch wenn das unsere
‚lieben‘ Ausländer vielleicht anders sehen.“ Nach dieser richtungsweisen…
Rede trifft sich Lindner mit französischen Kolleginnen im Pariser Club
Bataclan, um noch ein Zeichen zu setzen: „gegen Langeweile und für
Stimmung“.
## Mai
Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Lindner ist
jedoch noch zu verkatert, um sich aktiv in den Wahlkampf einzubringen.
Spontan fährt die FDP stattliche 7 beziehungsweise 5 Prozent ein – es geht
wieder aufwärts.
## Juni
Ende Juni wird auf dem SPD-Parteitag Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten
gekürt. Es kommt zu einer überraschenden Kampfabstimmung, als Neumitglied
Lindner sich als Gegenkandidat aufstellen lässt. Er spricht: „Liebe
Genossinnen und Genossen, es kann nicht sein, dass die Stimmen von uns
Autofahrern, Steuerzahlern und AfD-Wählern in einer so wichtigen Partei wie
der SPD nicht mehr gehört werden. Darum heute Lindner wählen! Also mich.“
Bei der Wahl erreicht Lindner aus dem Stand 26 Prozent, was Beobachter als
Zeichen für ein eventuell nahes Ende der SPD deuten.
## Juli
Mit der Annexion des Baltikums bringt der russische Präsident Putin
frischen Wind in die festgefahrene Debatte über die europäische Einheit.
Bundespräsident Steinmeier verurteilt in der Parteizeitung Vorwärts das
überhastete Vorgehen Putins, zeigt jedoch auch Verständnis: Die betroffenen
Länder seien ja doch auch irgendwie selbst schuld. Spontan schließt sich
Christian Lindner dieser Meinung in einem engagierten Leserbrief an, nicht
ohne jedoch die Abschaffung der Geschwindigkeitsbeschränkungen in
Spielstraßen aus den Augen zu verlieren.
## August
Das Vorrücken russischer Truppen auf Polen kann einen politischen Haudegen
wie Lindner nicht erschüttern: Er erklärt sich bereit, bei den
Kapitulationsverhandlungen die Rolle des „ehrlichen Maklers“ zu übernehmen:
„Entsprechende Erfahrungen bei der Zerschlagung meiner Internetfirma
Pornomax 3000 zeichnen mich hier gegenüber meinen Mitbewerbern aus.“ Putin
verspricht, sorgfältig darüber nachzudenken.
## September
Die Bundestagswahlen in der amerikanisch kontrollierten Zone des
wiedergeteilten Deutschland laufen an. In vier Ländern sind die
Wahlberechtigten gehalten, ihr Kreuz bei einer der noch nicht verbotenen
Parteien zu machen. Kurz vor der Wahl überrascht Lindner mit einem
Flugblatt, das in nahezu allen bundesdeutschen Haushalten landet: „Neue
Erkenntnisse im Fall Möllemann: Es war der Mossad! Christian Lindner: ‚Ich
kann nicht länger schweigen.‘ “ Das Flugblatt beschert Lindner und der SPD
einen Stimmenbonus von fast 20 Prozent, bei einem Endergebnis von 23,7
Prozent steht damit einer Koalition mit der Wahlsiegerin Petry nichts mehr
im Weg. Lindner wird Selbstverteidigungsminister und betont, beim Thema
Spritpreis mit sich reden zu lassen.
7 Jan 2017
## AUTOREN
Leo Fischer
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