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# taz.de -- Die Wahrheit: Focaccia aus Focaccien kaufen!
> Emmanuel Macron hin oder her, das Ende Europas kommt. Und was bedeutet
> das für den Verbaucherschutz und mich als Konsument?
Noch sieht es wie reines Wunschdenken aus: Wenn jedoch noch mehr
Mitgliedsländer den Brexit nachahmen, ist das Ende der Europäischen Union
eine realistische Option. Viele Verbraucher sind verunsichert, befürchten,
sich jetzt tatsächlich mal über Politik informieren zu müssen. Die Wahrheit
erklärt, wann und wie stark Sie jetzt in Panik geraten müssen.
## Das Ende – wie realistisch ist es eigentlich?
Zunächst einmal: Bleiben Sie ruhigen Mutes. Das Vertragswerk der
Europäischen Union ist über sechzig Tonnen schwer, liegt hinter schwerem
Bleikristall in einem unbekannten Bunker bei Brüssel und ist in mehreren
Fremdsprachen abgefasst, dadurch ist es nahezu unangreifbar. Tragend sind
vor allem die Gründungsmitglieder Deutschland und Frankreich, denn für die
beiden wird der ganze Zauber ja schließlich durchgezogen. Nur wenn diese
beiden sogenannten Achsenmächte wackeln, ist der Euxit (Austritt der EU aus
der EU) wirklich denkbar. Mit Emmanuel Macron haben wir noch mal fünf Jahre
gewonnen, dann wird man sehen.
## Woran merke ich, dass die EU ihrem Ende zugeht?
Das Ende kommt wie immer schleichend: Die Betroffenen werden zunächst über
Kopfschmerzen, grippeähnliche Beschwerden und eine stark schwindende
Körper- und Kaufkraft klagen; dann ist es leider auch schon zu spät. Im
Radio wird zum letzten Mal die Eurovisionshymne gespielt, dann holt man in
den großen Behörden die Europafahnen ein, um sie unter leisen
Beethovenklängen feierlich im Hof zu verbrennen. Das ist dann auch der
Startschuss für totale Anarchie und Plünderungen sowie die
postapokalyptische Endzeitwelt, die unmittelbar danach anbricht.
## Totale Anarchie? Meinen Sie das ernst?
Nein, nein, nein, nur ein kleiner Spaß! Wir sind hier schließlich bei einem
Verbraucherberater, da darf am Schluss niemals so was wie Beunruhigung oder
Verhaltensänderung bei Ihnen übrig bleiben, sonst hätten wir auch unseren
Job nicht richtig gemacht. Es gelten ja innenpolitisch immer noch die
Gesetze der jeweiligen Länder; nur die Haushalts-, Handels-, Außen- und
Finanzpolitik ist stark mit der europäischen Gesetzgebung verzahnt. Ein
kraftvolles Exportland wie Deutschland stemmt das im Handumdrehen!
## Das wird mir jetzt alles ein bisschen zu politisch. Wichtig ist doch die
Frage, ob sich am Supermarktsortiment etwas ändert.
Da haben Sie Glück: Auch wenn die EU plötzlich endet, steht es den
ehemaligen Mitgliedsstaaten natürlich frei, weiterhin untereinander Handel
zu treiben (siehe Erklärung der Menschenrechte). Mit dem Chaos in den
Ämtern, neu erhobenen Zollschranken und all den anderen Folgen des EU-Endes
werden einige Produkte jedoch vermutlich so gut wie unbezahlbar. Was Sie
nicht hindern soll, sie trotzdem zu kaufen – Sie müssen dann einfach einen
besseren Job annehmen.
## Ähm, welche Produktgruppen werden denn nun genau betroffen sein?
Keine Sorge: Es wird in der Hauptsache um Lebensmittel und Dinge des
täglichen Bedarfs gehen, also ausschließlich Waren, an die Sie sich
mittlerweile gewöhnt haben. Das EU-Ende wird also eine schöne Gelegenheit,
Ihre Konsumgewohnheiten zu hinterfragen und Ihr Leben neu zu ordnen. Das
Bundesamt für Katastrophenschutz hat für Fälle wie diese ein weitreichendes
Netzwerk von Lagerstätten aufgebaut, aus denen die Bevölkerung notfalls bis
zu einem Jahr lang ernährt werden kann. Bis dahin dürfte die deutsche
Landwirtschaft so umgestellt sein, dass sie das Land autonom versorgen
kann. Für Sie heißt das dann: Runkelrüben, Kleie und Rapsölbratlinge satt!
## Das klingt ja grässlich.
Das hören wir sehr oft. Viele Leute glauben ja, dass die EU einfach nur ein
bürokratisches Monstrum ohne besonderen Sinn und Zweck ist. Und dass es bei
Referenden vor allem darum geht, „denen da oben“ mal einen richtig heftigen
Denkzettel zu verpassen, nach dem dann aber im Wesentlichen alles so
weitergeht, wie man es gewohnt war. Wissenschaftler haben jetzt aber
herausgefunden, dass Wahlen und Abstimmungen tatsächlich Einfluss auf
Politik und Wirtschaft haben und nicht nur so ein symbolisches Rumgejuxe
sind.
## Das wusste ich nicht! Ich dachte, das wird hier jetzt so ein heiterer
Artikel, in welchem meine diffuse Europaskepsis bedient wird, ohne dass
mein linksliberales Selbstverständnis infrage gestellt wird.
Das wird uns jetzt zu politisch, wir sind schließlich nur eine kleine
Verbraucherredaktion. Könnten Sie uns jetzt bitte wieder etwas zu Konsum
fragen?
## Oh, okay. Na gut: Wenn alles teurer und komplizierter wird, sollte ich
mich vielleicht schnell ins Ausland absetzen, nachdem ich die EU zu Klump
gewählt habe?
Das klappt sicher! Verarmte und zerlumpte Gestalten, die aus einem
heillosen Schlamassel einfach nur ihre Haut retten wollen, wurden ja
schließlich auch von der EU mit Kusshand aufgenommen. Übrigens finden wir
es erstaunlich, dass in einem Milieu, in welchem immer über Flüchtlinge und
Deserteure aus Syrien gelästert wird, gleichzeitig immer schnell auch
Gedanken ans Auswandern gepflegt werden.
## Was, Moment! Ich habe noch nie über Flüchtlinge … na gut, dieses eine
Mal. Aber das war in einer gelösten Stammtischatmosphäre, das muss ja doch
erlaubt …
Ist es nicht beziehungsweise nicht mehr, sobald die Europäische Union
auseinanderfällt: Die europäischen Normen für gelöstes Stammtischgeplauder
sind dann nämlich ebenfalls nicht mehr gültig; es gelten dann wieder die
nationalen Vorschriften, die teilweise viel strenger sind.
## Stichwort D-Mark – kommt sie zurück?
Das steht derzeit noch in den Sternen! Zuletzt wurde sie auf dem Balkan
gesehen, wo sie sich mit den Einheimischen vergnügte. Bisher hat sie weder
angerufen noch geschrieben; es scheint ihr also ganz gut zu gehen.
Abgesehen davon haben die meisten Leute doch längst vergessen, wie sie
aussah – hier wäre einer raffinierten Betrügerin Tür und Tor geöffnet. Das
kann keine wirkliche Alternative für ein enteuropäisiertes Deutschland
sein.
## Zweitstichwort Martin Schulz – geht er wieder weg?
Diese Frage ist schon leichter zu beantworten. Als erster Bürger Europas
ist Martin Schulz selbstverständlich europäischer Staatsbürger;
verschwindet Europa, dann auch er. Dass es mit Europa derzeit nicht so gut
läuft, ist auch daran zu sehen, dass Martin Schulz durchsichtiger wird
(derzeit schlappe 20 Prozent). Zwar könnte Herr Schulz vor seinem
endgültigen Verblassen noch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen –
doch das Verfahren könnte sich eventuell länger hinziehen als der Tod der
EU.
## Ich finde es schade, dass mich dieser Artikel jetzt mit einem etwas
unguten Gefühl zurücklässt. Kann ich dagegen etwas machen?
Ja! Laufen Sie sogleich in den Supermarkt und kaufen Sie französischen
Rotwein, belgische Pralinen, Blumen aus Holland und Focaccia aus Focaccien.
Spüren Sie noch einmal das Leben, lassen Sie es sich noch einmal so richtig
gut gehen – denn dieses Leben werden Sie sich bald schon nicht mehr leisten
können.
27 May 2017
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Schwerpunkt Emmanuel Macron
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