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# taz.de -- Die Wahrheit: Zahlen, bitte!
> In unseren unruhigen Zeiten war zumindest die Bedeutung der Ziffern stets
> sicher – bis jetzt. Viele Verbraucher sind nun verunsichert.
Die wilde Dreizehn, die glorreichen Sieben, ein flotter Dreier: Zahlreiche
Deutsche glauben daran, dass Zahlen nicht nur zum Addieren da sind, sondern
stets auch eine symbolische Botschaft in sich tragen – auf gut Neudeutsch:
Numerologie. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Numeronomie ist die
mystische Bedeutung der Zahlen eine seit Jahrtausenden bewährte
Heilmethode.
Wo die traditionelle Schulmathematik versagt, vertrauen Numerologen darauf,
dass es bei Zahlen vor allem auf die richtige Einstellung ankommt. Und
wirklich: Gleich ob Geburtstag, Rentenversicherung oder Bank-PIN – oft
öffnen sich durch geschickt gewählte Zahlenanordnungen Türen da, wo zuvor
keine waren.
Doch mit Zahlen ist es wie mit der Sprache: Sie verändern sich im Laufe der
Zeit, verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung – Laien bemerken das etwa bei
getrennten Restaurantrechnungen. Galt die Sieben einst als Glückszahl, ist
sie mittlerweile verpönt – in vielen Hotelanlagen sucht man einen siebten
Stock vergeblich, besonders in Bungalows.
Viele Verbraucher sind nun verunsichert, wissen nicht mehr, an welche Zahl
sie sich in einer Notlage wenden sollen. Deswegen hat der Bund Zahlender
Wissenschaftler (BZW) jüngst eine Broschüre herausgebracht, die die
wichtigsten Änderungen seit der Jahrtausendwende dokumentiert.
## Die Eins
Hier gibt der BZW Entwarnung: Die Eins bleibt im Wesentlichen mit sich
selbst identisch. Unlängst erfolgte Versuche, mit der Frage danach, was das
für 1 Life ist, der Zahl einen negativen Beigeschmack unterzujubeln, dürfen
als gescheitert angesehen werden.
Allerdings sind gewisse Verwendungsmöglichkeiten obsolet geworden:
1machgläser, 1wegflaschen und 1radfahrer gehören Gott sei Dank längst
vergangenen Jahrhunderten an. Die Eins steht für gewachsene Robustheit,
eine gewisse Selbstzufriedenheit, ja Bräsigkeit. Die Eins bleibt eine
starke Stütze unseres Zahlensystems, sollte aber im Auge behalten werden.
## Die Zwei
Eine gnadenlose Abwertung hat dieser ehemalige Dauerbrenner auf dem
Zahlenmarkt erfahren. Erinnert sich jemand noch an das Jahrhundert der
Duos? Batman und Robin, Superman und Catboy, Hitler und Stalin – ohne „Die
Zwei“, denen sogar eine eigene Fernsehserie gewidmet wurde, ging praktisch
gar nichts. Ein Trend, der nun vorbei ist: Das Ende der modernen
Zweierbeziehung bedeutet auch das Aus für den einstigen Zahlenriesen. Immer
mehr Menschen sind Singles; zwei sind da schnell einer zu viel. Durch neue
Lebensformen wie Polyamorie und Gender-Islam werden viele Beziehungen
schnell zu Dreiern oder Vierern aufgestockt.
## Die Drei
Wer jetzt glaubt, mit der Drei auf der sicheren Seite („Die Seite 3“) zu
sein, irrt: Neue Sicherheitsbestimmungen aus Brüssel haben insbesondere
Dreiecke in Verruf gebracht. Die oft ausnehmend spitzigen
Geometrie-Gesellen beschwören Unfälle geradezu zwangsläufig herauf,
besonders im Umgang mit Kleinkindern, den sogenannten Babys. „Hurra, wir
sind jetzt zu dritt“ – dieser Ausspruch frisch überbackener Eltern muss
deshalb mit Vorbehalt und äußerster Vorsicht genossen werden.
## Die Vier
In der alten Numerologie galt die Vier als stabile Sache. Die vier
Elemente, die vier Winde, die fantastischen Vier: Hier konnte man sich im
verwirrenden Universum der Zahlen auch einmal niederlassen und die Füße
hochlegen. Nach den Erkenntnissen des BZW ist dieses Modell nicht mehr zu
halten: Die Wissenschaftler konnten belegen, dass die Vier eigentlich gar
keine Zahl ist, sondern ein sogenannter Numeroid, der im Windschatten
wichtigerer Ziffern mitsegelt. Der alte Merkspruch für die zehn ersten
Zahlen des Zahlobets, „Endlich zeigt der Vater froh seine sieben achtbaren
Neunaugen“ muss umgeschrieben werden („Endlich zeigt Daddy froh …“).
## Die Fünf
Die Fünf ist eine „stille Zahl“: Sie ist gut zum Aufrunden, Absoften und
Fältchenkaschieren. Sie verschönert, ohne selbst etwas darstellen zu
wollen; Chanel No. 5 bleibt also weiter gültig. Der „falsche Fuchziger“,
der noch zur Jahrtausendwende mancherorts umging, hat heute seinen
Schrecken verloren – viele Leute haben eh nie mehr als zwanzig Euro in der
Tasche.
## Die Sechs
Mit der Entdeckung der Sechs im Jahr 1477 durch arabische Zahlmeister
begann eine neue Ära der Rechnungslegung: Strichlisten wurden unbedeutend,
auch einfache Leute konnten sich plötzlich größere Mengen von Dingen
vorstellen, ohne einen Abakus zu Hilfe nehmen zu müssen. Leider hat die
Sechs viel von ihrem ursprünglichen Ansehen verloren: Nach sechs ist
überall Stau, Einkäufe werden zu einer lästigen Qual. Mit dreimal 6 geht
alles zum Teufel. Das hatten sich die alten Araber sicher anders
vorgestellt!
## Die Sieben
Das hat man nun von seinem guten Ruf: Die Zeiten, als die Sieben noch eine
Glückszahl war, sind leider vorbei: Zu viele Zocker haben das natürliche
Ruheglück der Zahl innerhalb weniger Jahre endgültig aufgebraucht.
Lottoannahmestellen verweisen Kunden neuerdings darauf, dass Scheine mit
einer Sieben bei Spiel 66, Sofort-Riester und Traumhaus-Toto besonders
schlechte Karten haben – was die wirklich Siebensüchtigen natürlich nicht
abhält.
## Die Acht
Endlich eine positive Veränderung: Der Wert der Acht wurde bei der letzten
Rechtzahlreform deutlich erhöht. Ihr Atomgewicht liegt jetzt bei 91,1 Gramm
nahe Zimmertemperatur vor Steuern, ihre Gravitationskonstante ist bei
schönem Wetter sogar noch aus dem Weltraum zu sehen. Speisegerichte ab acht
Euro schmecken meist erheblich besser, sind gesünder und werden von
hübscheren Leuten verzehrt als im Bundesdurchschnitt. Im Ganzen kann die
Acht inzwischen als regelrechte Superzahl betrachtet werden.
## Die Neun
Als Kinder liebten wir den Scherz, den sich die Brettspielautoren mit den
Packungsaufschriften zu machen pflegten: „Für Kinder von 9–99 Jahren“ st…
da meistens. Was haben wir gelacht! 99 Jahre, das war für uns
unvorstellbar, niemand konnte so alt werden. Heute haben wir dank
Technologien wie Nanny-Cams, Granny-Beepern und Handys mit extragroßen
Tasten die Chance, noch wesentlich älter zu werden: Zwei bis drei
Jahrzehnte Pflegehölle sind vielen von uns sicher. Damit hat die Neun ihre
fröhliche Unschuld verloren, schwebt bedrohlich am Horizont wie ein
Katheter. Der BZW warnt ausdrücklich vor alten Menschen.
Mit diesen neun Neuanpassungen sollten die wichtigsten Zahlungsvorgänge
gewährleistet bleiben, so die Zahlreformer vom BZW. Wer durch die
Umstellung schlechter gestellt wird und zum Beispiel einen „doofen“
Geburtstag hat (zum Beispiel 2. 9. 99), soll sich deswegen nicht grämen:
Die alten Zahlen können noch bis 2025 bei jeder Landungsstelle des Bundes
umgetauscht werden. Für Zahlen unter fünf gilt Bestandsschutz; auch dürfen
sie in Begleitung von Dezimalstellen kostenlos überall mitfahren.
„Wer die neuen Bankverbindungen verstanden hat, der wird auch das
überleben“, so der Abschlussbericht der Kommission schmunzelnd. Na dann:
eins, drei, fünf – und losgezahlt!
5 Nov 2016
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Mathematik
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Apokalypse
Panama Papers
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