Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Petition für veganen Mittagstisch: Jürgen Palla mag es bürgerlich
> Ein Bündnis will, dass es in allen Kantinen des Berliner Bezirks
> Friedrichshain-Kreuzberg ein veganes Gericht gibt. Ein Koch will das
> nicht.
Bild: Panierte Sojaschnitzel – nichts für den Koch im Kreuzberger Rathaus
Bei Jürgen Palla gibt's noch was fürs Geld. Ein Schweinerückenschnitzel mit
badischem Kartoffelsalat kostet 5,50 Euro. Wer Krustenbraten von der
Schweineschulter oder hausgemachte Königsberger Klopse bestellt, zahlt
5,90. Teurer ist hier, in der [1][Kantine des Bezirksamts
Friedrichshain-Kreuzberg], nichts.
Gut, günstig, bürgerlich, das kommt auch in einem kulinarisch
diversifizierten Kiez wie Kreuzberg gut an. Bis zu 300 Gäste essen täglich
in Pallas Kantine. Sie genießen dann eine herzhafte Mahlzeit – und einen
tollen Panoramablick über die Stadt.
Gekocht und gegessen wird nämlich im zehnten Stock. „Viele Gäste kenne ich
persönlich, die fühlen sich hier wohl“, sagt der 63-jährige Küchenchef.
Seine Klientel kann er problemlos zuordnen: „Viele junge Leute, Ärzte,
Rechtsanwälte, Beamte, aber auch viele Menschen, die das Geld beim Bezahlen
zusammen suchen müssen, die sich beklagen, wenn die Preise leicht steigen.“
Dann zählt er auf, wer nicht zu ihm in den zehnten Stock fährt:
„Veganer-Gäste hab ich nicht, ein vegetarisches Essen reicht doch.“
Das dürfte auch so bleiben, denn Palla, der die Kantine seit 30 Jahren
führt, will nicht vegan kochen. „Ich kann das auch gar nicht“, gibt er
offen zu. Dass ein Dreierbündnis, bestehend aus der Schweizer Denkfabrik
[2][Sentience Politics], dem [3][deutschen Vegetarierbund] und der
[4][Albert-Schweitzer-Stiftung], im Oktober ein „Veggie-Bürgerbegehren“
initiiert hat, missfällt Palla sehr. Er legt deshalb sogar seinen
Kochlöffel aus der Hand und wird die Kantine Kreuzberg am 30. Juni
verlassen.
Rustikalen Tische mit Ketchup-Spendern
Natürlich sei nicht allein das Bürgerbegehren ausschlaggebend. Er ist in
einem Alter, in dem man eh ans Aufhören denkt – „aber dann kam auch noch
dieser Knaller“, sagt Palla. „Ich habe nichts gegen veganes Essen, sollen
die das doch einführen, aber mit mir halt nicht mehr“, sagt er.
Natürlich weiß auch Palla, dass es – gerade im linksgrünen Kreuzberger
Milieu – Menschen gibt, die seine Haltung nicht nachvollziehen können. Ein
Gericht mehr, frei von Fleisch, Milch und Eiern, zusätzlich zum bestehenden
Angebot: Wo soll da das Problem liegen?
Ein Blick in Pallas Kantine mit ihren 124 Plätzen verrät zumindest einen
Teil der Antwort. Rustikale, dunkelbraune Holzstühle umstellen genauso
rustikale Holztische. Bunte Tulpenservietten liegen darauf aus, eine kurz
geschnittene Rose ziert die Tischmitte. An der Wand über der Tür hängt eine
Uhr, die so auch in ein Hallenbad passen würde, und Ketchup oder Mayo für
Pommes drücken die Gäste aus einem von drei großen Heinz-Ketchup-Spendern.
In der Fachsprache heißen die Teile Heinz Sauce-O-Mat.
Hip und fancy ist das nicht, die eigene Internetseite geht damit aber auch
ganz offen um: „Nun ist unsere Kantine nicht auf Schickimicki gemacht,
dafür aber gemütlich, und wir möchten, dass Sie sich bei uns wohlfühlen.“
Vegan sieht, solange es noch nicht Mainstream ist, anders aus.
Berlin ist vegane Haupstadt Europas
Groß geworden ist der Koch im südbadischen Waldshut, ausgebildet hat ihn
ein Sternehotel im Schwarzwald. Nach vier Jahren Schweizer Küche mit
Stationen in Kloster, Davos und Zürich kam er 1974 nach Westberlin. Im
längst vergessenen Mövenpick-Hilton hat er gekocht, im Hotel Ambassador in
Schöneberg und 1984 schließlich die Meisterprüfung abgelegt.
Veganes Kochen gehörte nicht zur Aufgabenstellung – es gab ja auch kaum
vegan lebende Menschen. Selbst der Anteil der Vegetarier lag bei nur rund
0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Mittlerweile sind die
Zeiten andere, das wissen auch die Gastronomen. Der Anteil der Vegetarier
ist auf zehn Prozent gestiegen.
Berlin gilt als Europas vegane Hauptstadt; wer dort nichts Veganes auf der
Speisenkarte anbietet, schließt rund 45.500 Menschen aus, immerhin 1,3
Prozent aller BerlinerInnen – und wahrscheinlich viele Veganreisende. Weil
das viele Restaurants und Schnellimbisse nicht wollen, sind sie freiwillig
umgeschwenkt. Was Palla völlig in Ordnung findet: „Jeder soll glücklich
werden.“ Von Gesetzen, die vegane Gerichte vorschreiben, hält der Koch aber
nichts.
Bis zu Pallas Abschied am 30. Juni bleibt die Kantine Kreuzberg also
rustikal – beim Essensangebot wie der Einrichtung.
28 Jan 2017
## LINKS
[1] http://www.kantine-kreuzberg.de/
[2] https://sentience-politics.org/de/
[3] https://vebu.de/
[4] https://albert-schweitzer-stiftung.de/
## AUTOREN
David Joram
## TAGS
Online-Petition
Friedrichshain-Kreuzberg
Ernährung
Veganismus
Kantinenessen
Vegetarismus
Veganismus
Kochen
Vegetarismus
Wochenvorschau
Lebensmittelverschwendung
Tofu
Schule
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Urteil gegen Aktivisten in Lille: Tierschützer verurteilen Veganer
Von Peta bis Vebu: Deutsche Tierschützer halten nichts von den militanten
Aktionen radikaler Tierschützer in Frankreich.
Bürgerbegehren veganes Kantinenessen: „Die Vorbehalte sind unbegründet“
Eine vegane Mahlzeit täglich in öffentlichen Kantinen in
Friedrichshain-Kreuzberg: Das wollte das Veggie-Bürgerbegehren. Jetzt
gibt's eine Minimalvariante.
Der Koch der Kreuzberger: „Zum Essen bin ich zu hibbelig“
30 Jahre lang hat Jürgen Palla die Kantine im Rathaus Kreuzberg geleitet.
Im Juli hört er auf – auch wegen des Bürgerbegehrens für veganes Essen.
Vegane Lebensmittel: Zoff um das Euter
Ist es Täuschung, wenn ein Hersteller vegane Bioprodukte „Veggie-Cheese“
nennt? Am Mittwoch entscheidet der Europäische Gerichtshof.
Die Wochenvorschau für Berlin: Da blüht die nächste Veggie-Debatte
Die Kältehilfe zieht Bilanz, und Pflanzen stehen beim Veggie-Bürgerbegehren
in Friedrichshain-Kreuzberg im Zentrum der Aufmerksamkeit: Es ist Frühling!
Essensverschwendung an Schulen: Aufpasser gegen Verschwendung
Täglich landet rund ein Viertel des Essens an Ganztagsschulen im Müll. Aber
nicht, wenn sich jemand um das Problem kümmert.
Neues Bürgerbegehren: Wahlfreiheit statt Veggie-Day
In Friedrichshainer und Kreuzberger Kantinen soll es künftig mehr vegane
Gerichte geben. Das fordert eine Initiative.
Urteil zu veganem Schulessen: Keine Extrawurst in der Mensa
Eltern haben keinen Anspruch auf veganes Schulessen für ihr Kind. Wann muss
die Mehrheitsgesellschaft Rücksicht auf eine Minderheit nehmen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.