# taz.de -- Polens größte Oppositionsbewegung KOD: Der Marsch der Besitzstand… | |
> Die außerparlamentarische Opposition Polens konnte die Verlierer der | |
> Transformation bisher nicht integrieren. Muss sie aber, damit sie nicht | |
> scheitert. | |
Bild: PiS-Chef Jarosław Kaczyński als Handpüppchen: Demonstrantin gegen die … | |
Die Einschränkung der Arbeit des Verfassungsgerichts, ein neues | |
Mediengesetz, eine Bildungsreform und zuletzt die Idee zur Durchsetzung | |
eines Wahlrechts, das die Opposition auf Gemeindeebene schwächen würde: | |
Seit November 2015 baut die polnische Regierungspartei PiS (Recht und | |
Gerechtigkeit) den Staat um. | |
Von Beginn an formierte sich dagegen Protest. Die größte | |
außerparlamentarische Oppositionsgruppe ist KOD, das Komitee zur | |
Verteidigung der Demokratie. Zu ihren besten Zeiten zog sie an Wochenenden | |
mehrere Zehntausend Menschen in Städten überall im Land auf die Straßen. | |
Neben humoristischen Slogans wie „Dudapeszt“, eine Anspielung auf | |
Staatspräsident Andrzej Duda und die Nähe der Machthaber zu Viktor Orbáns | |
Ungarn, oder „PiSlam“, skandierten die Protestierenden: „Dies ist unser u… | |
euer Polen.“ Sie schwenkten polnische und europäische Fahnen und beschworen | |
die Einheit der Nation in einem geeinten Europa. Tatsächlich aber zeigt | |
sich durch KOD eine gespaltene Gesellschaft; es handelt sich um eine | |
Bewegung, die es versäumt hat, die Anliegen der Verlierer der | |
Transformation zu integrieren. | |
Das Akronym KOD soll an KOR erinnern, das Komitee zur Verteidigung der | |
Arbeiter, eine Bürgerrechtsbewegung, die ab 1976 in der Volksrepublik Polen | |
unterdrückten und inhaftierten Arbeitern Beistand bot. KOR ging später in | |
der Gewerkschaft Solidarność auf, die mit ihrem Vorsitzenden Lech Wałęsa | |
ausschlaggebend für das Ende des Staatssozialismus war. | |
Doch KOR und Solidarność unterscheiden sich fundamental vom heutigen KOD. | |
Die Gewerkschaft setzte sich zusammen aus unterschiedlichen Milieus, aus | |
Intellektuellen und Arbeitern. Am wichtigsten aber war, dass es gegen ein | |
überkommenes System ging, ob nun deswegen, weil im Ladenregal nur noch | |
Essig stand, oder wegen des berühmt-berüchtigten polnischen | |
Freiheitswillens, von dem Kommentatoren hierzulande gerne schwafeln, wenn | |
sich im Nachbarland Widerstand gegen PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński | |
regt. | |
## KOD besteht auch aus Besitzstandswahrern | |
KOD hingegen protestiert nicht gegen, sondern für den Erhalt eines Systems | |
– nämlich jenes radikal-marktwirtschaftlichen, das mit der | |
liberalkonservativen Partei PO (Bürgerplattform) des ehemaligen | |
Premierministers und amtierenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in | |
Verbindung gebracht wird. KOD ist demnach eine konservative Bewegung, sie | |
möchte bewahren; und die PiS muss verstanden werden – wie es auch der | |
nationalkonservative Ideologe Zdzisław Krasnodębski tut – als eine | |
revolutionäre Partei, so wirr das vorerst klingen mag. Immerhin möchte sie | |
einen neuen Staat. | |
Auch wenn KOD eine durchaus heterogene Gruppe ist – es marschieren Jung und | |
Alt, Studenten und Angestellte –, besteht ihr Kern nicht nur aus | |
PO-Anhängern, sondern sogar aus Mitgliedern jener Partei. KOD besteht also | |
zu einem gewichtigen Teil aus Besitzstandswahrern. Dass diese für eine | |
offene Gesellschaft protestieren, ist aber trotzdem richtig: Schließlich | |
ist die Gewaltenteilung in Polen ernsthaft in Gefahr. Die | |
Nationalkonservativen sind jedoch nicht die Ursache des Problems, sondern | |
sein Symptom. Die Frage, warum die PiS so stark ist – die Partei liegt nach | |
aktuellen Umfragen weiter deutlich vorn –, muss mit einer Gegenfrage | |
beantwortet werden: Warum haben PO und die liberalen Kräfte so gewaltig | |
versagt? | |
Vornehmlich, weil sie nicht liberal sind. PO und Tusk liberalisierten den | |
Markt radikal: Steuern runter, Löhne klein halten, Investitionen fördern. | |
Kulturelle Errungenschaften der liberalen westlichen Moderne aber blieben | |
auf der Strecke. PO zeichnet verantwortlich für das geltende restriktive | |
Abtreibungsgesetz, nicht etwa die PiS. Gleichgeschlechtliche | |
Lebenspartnerschaften kümmerten niemanden, stattdessen festigte die | |
katholische Kirche ihren Einfluss. | |
Das Ausland feierte Polen in jenen Jahren als „europäischen Tigerstaat“, | |
der makroökonomische Erfolg täuschte über Probleme hinweg, etwa darüber, | |
dass Millionen Polen das Land verließen. Warum dieser Braindrain, wenn es | |
doch so gut lief? Danach fragte niemand, auch in Deutschland nicht. Hier | |
wurde zuvörderst auf einen großen Absatzmarkt und billige Arbeitskräfte | |
geschielt. Korruptionsskandale, Eingriffe in die Pressefreiheit und eine | |
Abhöraffäre, in die Regierungsmitglieder verwickelt waren, interessierten | |
in Berlin nicht. | |
## 120 Euro Kindergeld heißt oft ein Drittel mehr Einkommen | |
Heute gibt es in kaum einer europäischen Metropole so viele Gated | |
Communities wie in Warschau. Hinter den Mauern leben die Profiteure der | |
PO-Politik. Es galt: Geh raus und mehre deinen Wohlstand! Wenn es nicht | |
klappt, nimm einen Kredit auf! | |
Projekte wie zum Beispiel die privaten Autobahnen oder eine | |
Schnellzugstrecke von der Hauptstadt an die Ostseeküste haben die | |
Ungleichheit verstärkt. Die meisten Polen können sich die Autobahnen oder | |
den Schnellzug nicht leisten, sie schleppen sich auf Landstraßen oder mit | |
Bummelbahnen ans Ziel. Und ihre Züge fahren nun sogar noch seltener | |
zugunsten der Luxusvariante. | |
Die KOD-Protestierenden können an Wochenenden für demokratische Werte und | |
die EU auf die Straße gehen. Wieso aber sollte jemand in einer polnischen | |
Kleinstadt für die europäische Reisefreiheit demonstrieren, wenn eine Fahrt | |
nach Warschau für ihn bereits unerschwinglich ist? | |
Eine Folge eines übersteigerten Individualismus ist ein geringes soziales | |
Vertrauen. Dieses beruht auf Gegenseitigkeit; die Unzufriedenen denken gar | |
nicht daran, den demokratischen Empörten etwas zurückzugeben. Dafür | |
erhalten sie nun 500 Złoty Kindergeld, etwa 120 Euro, was natürlich eine | |
populistische Maßnahme der PiS ist, aber für viele bedeutet es eine | |
Einkommenssteigerung um ein Drittel. | |
## KOD muss es schaffen, inklusiv zu protestieren | |
Der Kulturtheoretiker Jan Sowa hat darauf hingewiesen, dass weder PO und | |
damit KOD noch PiS Ansätze zur Lösung der Probleme Polens haben. Auf der | |
einen Seite steht Marktgläubigkeit, auf der anderen ein | |
nationalkonservatives Heilsversprechen und eine Renationalisierung von | |
Kapital, als ob polnische Banken sich besser um die Armen kümmerten als | |
italienische. | |
Hoffnung sieht Sowa in der neuen linken Partei Razem (Zusammen), die es mit | |
drei Prozent der Wählerstimmen zwar nicht in den Sejm geschafft hat, dafür | |
aber nun von der Parteienfinanzierung profitiert und auf der Straße | |
mobilisiert. Razem hat den „schwarzen Protest“ gegen eine weitere | |
Verschärfung des Abtreibungsverbots mitorganisiert. | |
Wenn KOD es nicht schafft, inklusiv zu protestieren, also auch zu einem | |
Angebot für die Transformationsverlierer zu werden, wird die PiS ihre Macht | |
weiter festigen. Um sich politisch zu retten, muss zudem ein Eingeständnis | |
der PO her, in acht Jahren Regierungszeit für soziale Verwerfungen gesorgt | |
zu haben. Und in Deutschland sollten Kommentatoren sich überlegen, wem sie | |
zujubeln, wenn sie nicht auf eine weitere Amtszeit für die PiS hoffen. | |
25 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Fritz | |
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