| # taz.de -- US-Botschafter über USA und Deutschland: „Geschichte verläuft i… | |
| > Viele US-Amerikaner haben nach der Trump-Wahl davon gesprochen, nach | |
| > Deutschland auszuwandern. US- Botschafter John Emerson kehrt zurück in | |
| > seine Heimat. | |
| Bild: Partnerland USA: John B. Emerson auf der Industriemesse in Hannover | |
| taz: Herr Emerson, Barack Obama hat Sie im August 2013 als US-Botschafter | |
| nach Berlin entsandt. In fünf Wochen werden Sie zurücktreten. Kehren Sie | |
| beunruhigt ins das Land von Donald Trump zurück? | |
| John Emerson: Nein, gar nicht. Ich halte mich an Barack Obamas Satz: | |
| „Geschichte verläuft nicht geradlinig, sondern in Zickzack-Form. Manchmal | |
| gibt es Rückschritte, dann wieder Fortschritte.“ | |
| Anders gefragt: Verlassen Sie Berlin mit Bedauern? | |
| Ja, sehr, zumal wir sogar sechs Monate früher gehen müssen, als wir geplant | |
| hatten. Aber wir ziehen nach Los Angeles – dort haben zwei Drittel der | |
| Wähler für Hillary Clinton gestimmt. Und in gewisser Hinsicht ist es gerade | |
| jetzt wichtig, in den USA zu sein. | |
| Warum? | |
| Man muss jetzt politischen Druck machen. In zwei Punkten: Ich werde mich | |
| darum bemühen, die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zu | |
| verdeutlichen. Und ich werde mich für Themen einsetzen, die Obama wichtig | |
| waren, wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel. | |
| Kehren Sie als politischer Aktivist in die USA zurück? | |
| Nein. Ich war immer politisch aktiv und engagiert. Aber ich werde wohl in | |
| die Wirtschaft zurückkehren. Wie genau, das ist noch offen. Ich lasse mir | |
| mit der Entscheidung ein paar Monate Zeit. | |
| Sie haben drei Töchter. Wie haben Ihre Kinder auf das Wahlergebnis | |
| reagiert? | |
| Diese Wahl hat sie politisiert, sie wollen sich stärker engagieren als | |
| zuvor. Unsere ältere Tochter ist Schauspielerin, sie war unter anderem in | |
| „Tribute von Panem“. Sie ist zu einer Sprecherin für viele ihrer Generation | |
| geworden, spricht über Themen, die viele junge Frauen betreffen und | |
| ansprechen: Körperbild; die Behandlung der Frauen innerhalb der | |
| Gesellschaft, deren Rechte. Unsere Zwillinge überlegen jetzt, ob sie | |
| Politikwissenschaft studieren und sich engagieren sollen. | |
| Wird Graswurzelpolitik in dieser Phase US-amerikanischer Politik jetzt | |
| wichtiger? | |
| Sie war immer wichtig. Viele gesellschaftlichen Veränderungen wie der | |
| Klimawandel sind nicht nur vom Präsidenten vorangetrieben worden, sondern | |
| auch von sozialen Bewegungen. | |
| Graswurzel-Bewegungen gibt es aber nicht nur auf progressiver Seite. | |
| Stimmt. Und sie wurden von uns, von den intellektuellen, großstädtischen | |
| Eliten und Gruppen unterschätzt. Wir haben die Auswirkungen der | |
| Globalisierung und des technologischen Fortschritts auf die Gesellschaft | |
| ignoriert – dass sich viele Menschen dadurch verunsichert fühlen, sowohl in | |
| Europa als auch in den USA. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie | |
| zurückgelassen werden – weil sie etwa in der alten Industrie gearbeitet | |
| haben und nicht in der neuen –, dann sind sie anfälliger für autoritäre | |
| Aussagen und scheinbare politische Lösungen. Der Brexit ist dafür ein | |
| Beispiel, die Wahlen in Ungarn, Polen und Österreich auch. Le Pen in | |
| Frankreich auch und hier die AfD. Die Mainstreampolitiker sowohl der | |
| Demokraten als auch der Republikaner haben diese grundlegende Dynamik | |
| ignoriert. Deswegen müssen progressive Politiker sich damit intensiv | |
| beschäftigen. | |
| Der Deutsche Bundestag steht im kommenden September zur Wahl. Sehen Sie die | |
| gleichen Ängste in Deutschland wie in den USA? | |
| Nein, die unterscheiden sich. Die Sorgen sind in Deutschland nicht so groß: | |
| Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das Gesundheitssystem bietet Sicherheit, | |
| die persönlichen Ausgaben für Bildung sind niedriger, das Bildungssystem | |
| ist besser. Aber es gibt natürlich auch Übereinstimmungen: Jene Gegenden, | |
| in denen die AfD am stärksten ist, ähneln oft dem Industriegürtel im | |
| Mittleren Westen der USA. Die Abwanderung dort ist groß, weil Jobs | |
| wegbrechen; die Menschen sind tendenziell älter, weißer, und die Orte sind | |
| weniger mit den globalen Veränderungen konfrontiert als etwa die Küsten der | |
| USA. Der große Graben in den USA ist der Stadt-Land-Gegensatz. USA und | |
| Deutschland können voneinander aus der Entwicklung Lehren ziehen. | |
| Welche Lehren meinen Sie? Sollen wir also in die ländlichen Regionen gehen | |
| und dort mit den Menschen reden? | |
| Nicht nur reden. Wir müssen verstehen, welche Anliegen, Sorgen die Menschen | |
| dort haben, und politische Strategien entwickeln, die sie stärker | |
| ansprechen. | |
| Sind Sie selbst in Deutschland viel gereist? | |
| Ich habe in den dreieinhalb Jahren 150 Orte besucht, manche mehrfach. | |
| Manche allein, manche mit meiner Familie. Ich war wohl 50-mal in Bayern. | |
| Jemand hat mir am Anfang meiner Zeit hier gesagt: „Berlin verhält sich zu | |
| Deutschland wie Washington, D.C. oder New York zu den USA: Man muss | |
| rauskommen.“ | |
| Sie selbst haben auch deutsche Wurzeln … | |
| Der Großvater meines Vaters kam aus einer ländlichen Region in | |
| Niedersachsen, der Ort heißt Colnrade. Er landete später in Iowa. Die | |
| Familie meines Vaters mütterlicherseits stammt aus Hannover. Die Großmutter | |
| meines Vaters wurde in New York geboren, ihre Muttersprache blieb deutsch. | |
| Ihre Mutter war recht preußisch. Sie ging in New York aufs College und | |
| machte einen Universitätsabschluss in Biologie. Sie lehrte zunächst dort, | |
| zog dann aber mit ihrem Mann, auch ein Dozent, nach Stanford. So bin ich | |
| nach Kalifornien gekommen. Ich verstehe Deutsch gut, auch wenn ich es nicht | |
| gut spreche. | |
| Und haben Sie bei Ihren Reisen in den vergangenen Jahren auch in | |
| Deutschland Veränderungen wahrgenommen? | |
| Das „Herzlich willkommen“ war nicht nur ein Slogan. Die erste Reaktion der | |
| Deutschen auf die Flüchtlingssituation war: Wie können wir helfen? Darüber | |
| wird zu wenig geschrieben. Es ist leichter, über den Molotowcocktail zu | |
| schreiben, der auf ein Flüchtlingsheim geworfen wird. Aber dann gibt es | |
| natürlich auch die „German Angst“, die wir in der Flüchtlingskrise gesehen | |
| haben. Getriggert wurde sie offenkundig durch die Situation in Köln: „Oh | |
| meine Güte, da kommen Leute aus einer anderen Kultur, können die jemals | |
| wirklich integriert werden?“ Und doch: Das Niveau dieser Angst ist | |
| inzwischen gesunken. | |
| Hat Angela Merkel einen guten Job gemacht? | |
| Ja. | |
| Diese Antwort war kurz und knapp. | |
| Sie hat enorme politische Courage und Herz gezeigt. Das war eine echte | |
| Demonstration von Werten in der Art, wie sie mit der Situation umgegangen | |
| ist. Jetzt muss sie offensichtlich die langfristigen Auswirkungen steuern. | |
| Die USA haben eine lange Tradition bei der Integration. Worauf kommt es in | |
| der jetzigen Situation an? | |
| Es gibt vier entscheidende Punkte: Lassen Sie die Leute Deutsch lernen, | |
| bringen Sie sie in Jobs und bringen Sie die Kinder in die Schule. Viertens | |
| muss es einen schnellen Weg zur Staatsbürgerschaft geben. Es muss ein | |
| goldener Topf am Ende des Regenbogens stehen. Man muss den Einwanderern | |
| sagen: Wenn Sie hier fünf, sechs oder vielleicht vier, fünf Jahre hart | |
| arbeiten, dann können Sie die Staatsbürgerschaft bekommen. In diesem Punkt | |
| agiert Deutschland nicht besonders gut. Es ist sehr viel schwieriger die | |
| deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen als die amerikanische. In den USA | |
| sind es jährlich eine Million Menschen. Und wenn man auf amerikanischem | |
| Boden geboren wird, dann ist man ohnehin automatisch US-Bürger. | |
| Ihr Start in Deutschland war hart. Im Sommer 2013 kam heraus, dass die NSA | |
| Angela Merkels Handy abgehört hat. Haben Sie die Antennen in der | |
| US-Botschaft inzwischen abbauen lassen? | |
| Hier in Deutschland regen Sie sich alle über diese Antennen auf! | |
| Haben Sie? | |
| Das sind keine Antennen, die das machen, was Sie glauben, dass sie es tun. | |
| Es war nie Politik der US-amerikanischen Regierung, zuzuhören, was jeder in | |
| sein Handy spricht oder in E-Mails schreibt. Da gab es leider einige | |
| Missverständnisse und Überreaktionen. Lassen Sie es mich so sagen: Jene | |
| Dinge, über die sich viele empört und die viele abgelehnt haben, passieren | |
| nicht mehr und sind vielleicht auch nie passiert. | |
| An dieser Stelle lacht der US-Botschafter selbst. | |
| Ich habe versucht, meiner Regierung klar zu machen, dass Handygate in | |
| Deutschland anders als in anderen Ländern eine sehr sensible Angelegenheit | |
| ist – wegen der Geschichte des Landes, wegen der Überwachung im Dritten | |
| Reich, wegen der Stasi. Es ist nicht wie in der berühmten Filmszene in | |
| Casablanca, wo der örtliche Polizist vermeintlich entsetzt ist, dass in | |
| Ricks Café Glücksspiele betrieben werden und er in der nächsten Szene | |
| seinen Anteil zugesteckt bekommt. | |
| Und wurde Ihre Warnung verstanden? | |
| Interessanterweise hat der Präsident es fast sofort verstanden, lange bevor | |
| andere Regierungsmitglieder es verstanden. Es dauerte eine Weile, bis wir | |
| dahinterkamen – aber wir kamen. | |
| Das war eine gute Vorlage für Antiamerikanismus. Ist der Ihrer Wahrnehmung | |
| zufolge in den vergangenen Jahren in Deutschland stärker geworden? | |
| Als ich hier ankam, war der Antiamerikanismus auf einem Höhepunkt. Wir | |
| hatten ja das ganze NSA-Ding. Und der Irakkrieg, Guantánamo, Abu Ghraib, | |
| das alles war noch ganz frisch. Dagegen ist das jetzt deutlich weniger. | |
| Antiamerikanismus kommt interessanterweise eher von der jungen Generation – | |
| und natürlich von ganz links außen. Die Älteren, die ihren ersten Kaugummi | |
| von GIs bekommen haben, die sind nicht antiamerikanisch. Ich denke, Leute | |
| haben unsere Öffnung nach Kuba begrüßt, den Obama-Ansatz in der | |
| Außenpolitik, bei dem es darum geht, Allianzen aufzubauen, anstatt allein | |
| in der Welt herumzutrumpen. Was jetzt nach der Wahl passiert, damit muss | |
| sich mein Nachfolger auseinandersetzen. Aber ich sage den Leuten immer: | |
| Amerika ist mehr als seine Regierung. | |
| Wissen das Ihre Landsleute auch? Nach der Wahl im November haben viele | |
| Intellektuelle und Künstler gesagt, Deutschland ist ein guter Ort, um die | |
| nächsten vier Jahre zu überwintern. Meinen Sie, die kommen wirklich, oder | |
| war es nur Ausdruck eines Schocks? | |
| Ich glaube, es war nur Ausdruck eines Schocks. Für mich viel interessanter | |
| ist, dass ein Trump- und Clinton-Anhänger auf die gleiche Angelegenheit aus | |
| total unterschiedlichem Blickwinkel sehen. Darüber müssen wir reden. Über | |
| Fake-News. Und über die Nachrichtenblase. Und dass soziale Medien die | |
| Polarisierung der Gesellschaft noch verschärfen. | |
| Haben Sie in US-Kreisen oder hier zuletzt jemanden getroffen, mit dem Sie | |
| sich einfach nicht unterhalten konnten, weil sie beide auf | |
| „unterschiedlichen Planeten“ wohnen? | |
| Nein, ich persönlich nicht. Ich kenne nur die ganzen Geschichten aus den | |
| USA. Bei vielen Thanksgiving-Abenden im November mussten politische | |
| Diskussionen von den Festtafeln gebannt werden. Das zerteilt Familien. Am | |
| Wahlabend selbst war ich in Deutschland und in vielen Fernsehstudios. Im | |
| ZDF gab es Zahlen, die zeigten, dass 88 Prozent der Deutschen für Hillary | |
| waren und nur 4 Prozent für Trump. Da die AfD in Umfragen bei 12 Prozent | |
| liegt, haben zwei Drittel ihrer Wähler nicht für Trump gestimmt. Das ist | |
| Deutschland. Mich könnte ein Schock erwischen, wenn ich zurück in die | |
| Vereinigten Staaten reise – wobei Kalifornien mehr wie Deutschland ist. | |
| Aber ich werde durchs Land reisen. Und glauben Sie mir, er hat ziemlich | |
| viele Stimmen bekommen. Er hat mehr als 60 Millionen Stimmen bekommen. | |
| Diese Reise wird etwas ganz anderes werden. | |
| Wo werden Sie am 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung von Donald Trump, | |
| sein? | |
| Wir, die von Obama Ernannten, müssen zum 20. Januar, 12 Uhr mittags unsere | |
| Posten verlassen. Ich werde in der Luft sein, im Flugzeug auf dem Weg | |
| zurück in die USA. | |
| 19 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
| Bert Schulz | |
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