# taz.de -- Andrej Holms Stasivergangenheit: Recht auf Irrtum | |
> CDU und AfD attackieren Andrej Holm. Denn der designierte Berliner | |
> Staatssekretär ging mit 18 Jahren zur Stasi. Das ist auch eine | |
> Retourkutsche. | |
Bild: Break on through: Manche Entscheidungen, die früh im Leben getroffen wer… | |
Erinnert sich noch jemand an Sylvia Bonitz? An Friedbert Pflüger? Eckart | |
von Klaeden oder Martin Hohmann? Die vier CDU-Abgeordneten waren die | |
Hauptkontrahenten Joschka Fischers, als es im Januar 2001 im Bundestag um | |
die militante Frankfurter Vergangenheit des grünen Außenministers ging. | |
Fischer räumte – was hätte er auch sonst machen sollen – Fehler ein, war | |
aber gewohnt raubauzig. Als Hohmann ihn fragte, ob er seine Steine bei | |
Demonstrationen immer nur in die Luft geworfen habe, blickte Fischer | |
ironisch über seine Lesebrille: „Ja, ich habe die Steine einfach in die | |
Luft geworfen.“ Fischer kam damit durch. Er blieb Außenminister – und die | |
vier Unionsvertreter blieben mehr oder weniger kleine Lichter. | |
Rot-Grün war – abgesehen von Kosovo-Krieg und Agenda 2010 – vor allem ein | |
Projekt, in dem der Bundesrepublik der vernünftige Umgang mit biografischen | |
Irrtümern gelang. Denen des – vor allem grünen – Führungspersonals. Jür… | |
Trittin war in seiner Jugend Maoist, Andrea Fischer Trotzkistin, Joschka | |
Fischer Steinewerfer vom „Revolutionären Kampf“. | |
In der frühen Bundesrepublik hatte nur Herbert Wehner eine ähnlich | |
schillernde Biografie: vom Anarchisten in den 20er Jahren über den | |
KPD-Kader im Moskauer Hotel Lux zum SPD-Fraktionschef. „Junge, wer mit 20 | |
kein Anarchist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Demokrat“, sang die | |
Band fsk in ihrem „Blue Yodel for Herbert Wehner“. | |
Menschen begehen Fehler, ändern sich, lernen dazu. Vielleicht sind sie nur | |
opportunistisch, passen sich geänderten Umständen an. Vielleicht sind sie | |
besonders befähigt für Führungspositionen, weil sie wissen, dass man die | |
Dinge auch anders sehen kann, als sie sie heute sehen. Wenn sie Pech haben, | |
werfen ihnen die Weggefährten von früher Verrat vor und die Etablierten | |
ihre Vergangenheit. | |
So geschieht es jetzt auch Andrej Holm, dem designierten Staatssekretär der | |
Berliner Stadtentwicklungsverwaltung. Manchen Mieteraktivisten ist Holm | |
suspekt, weil er jetzt für die Linkspartei arbeitet, die vor 15 Jahren noch | |
Wohnungsunternehmen privatisierte. CDU und AfD werfen ihm seine | |
Stasi-Vergangenheit vor. Mit 18, kurz vor dem Mauerfall, trat Holm ins | |
Wachregiment Feliks Dzierzynski ein. Mit 18! Holm hat diesen Teil seiner | |
Vergangenheit nicht verschwiegen. | |
Dass sie dennoch jetzt zum Skandal hochgejazzt wird, liegt zum einen daran, | |
dass mit Ost- und Westbiografien noch immer unterschiedlich verfahren wird. | |
Wer als Westler mit Ende 20 Solidaritätsadressen an Pol Pot schickte, | |
konnte hinterher noch was werden. Wer jung und dumm bei der Stasi | |
anheuerte, hat es schwerer, selbst wenn er niemanden bespitzeln konnte. | |
Zum anderen ist es eine Retourkutsche: Linke haben selbst wieder begonnen, | |
in Biografien nach Fehltritten zu suchen – den Biografien der Rechten. Da | |
skandalisiert etwa die taz einen Kassierer der Polizeigewerkschaft, der | |
Jahre zuvor, mit 26, beim rechtspopulistischen „Bund Freier Bürger“ aktiv | |
war. Da wird in der Vergangenheit von AfDlern gestöbert, ohne die | |
Möglichkeit zu sehen, dass sie den AfD-Eintritt vielleicht ebenso als | |
Schritt zurück ins bürgerliche Lager begreifen wie Jahre vorher Linke den | |
Wechsel vom KB zu den Grünen. | |
Den Grünen fehlt heute eine kantige Figur wie Fischer. Der Berliner Senat | |
braucht Holm. Die Alternative zu ihm wäre vermutlich ein Staatssekretär, | |
der vor zehn Jahren Wohnungsprivatisierungen richtig fand und heute nicht | |
mehr – weil das eine damals en vogue war und das andere heute. Den Berliner | |
Mietern bleibt schon deshalb zu wünschen, dass der Senat das Recht auf | |
biografische Irrtümer verteidigt. | |
Anfang dieses Jahres rief eine große öffentlich-rechtliche | |
Talkshowredaktion in der taz an und suchte einen Mietexperten. Weil wir | |
verhindert waren, empfahlen wir Andrej Holm. Die Redakteurin druckste herum | |
und bekundete, dass sie Holm nicht wolle – schließlich habe es doch mal ein | |
Verfahren wegen Terrorismus gegeben. Am Ende saß ein Redakteur des | |
Handelsblatts in der Talkshow. „Nicht jeder hat ein Grundrecht auf Wohnraum | |
in der Stadt, in der er arbeitet“, sagte er. Andrej Holm hätte das nie | |
gesagt. | |
13 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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