# taz.de -- Jagdfilm von Ulrich Seidl: Wo die wilden Tiere sterben | |
> Ist das Ziel getroffen, steigt die Laune: „Safari“ zeigt den Wahnsinn und | |
> die Besessenheit der Großwildjäger in Afrika. Und das tut weh. | |
Bild: Die Trophäen | |
A lot of animals were harmed during the making of this movie. „Harmed“ ist | |
noch gar kein Ausdruck: Erst der magere Gnu, der seinen letzten Atmer vor | |
der Kamera tut, während über dem Einschussloch eine Blutblase platzt. | |
Sodann ein Springbock, ein „kapitaler“, ein „gutes reifes Stück“, wie … | |
Jägerin stolz sagt. Ein Zebra wird getötet, auf den Laster geladen und | |
gehäutet. | |
Zum Schluss die Giraffe. Und nein, die Reihenfolge ist kein Zufall, sondern | |
eine Steigerung: erst das Kleinste, von dem es am meisten gibt, am Ende das | |
vom Aussterben bedrohte majestätische Symbol für die Tierwelt als solche, | |
dessen freundlicher Gesichtsausdruck es auch noch stofftiertauglich macht. | |
Die Giraffe stirbt zudem am längsten: Minutenlang baumelt der Hals des | |
Tieres, dessen Gliedmaßen beim Sturz verdreht wurden, hin und her. Sogar | |
der Zeitraum, den der Dokumentarfilmer Ulrich Seidl den Tötungen widmet, | |
korrespondiert mit ihrer Größe und Seltenheit: Die elaborierte Szene des | |
Giraffenhäutens, Zerschneidens, Ausweidens, die das letzte Drittel des | |
Films dominiert, ist kaum mitanzuschauen. | |
Bei der „Safari“-Premiere in Venedig verließ ein Teil des Publikums den | |
Saal. Der Rest klatschte. Und vielleicht sind auch genau das die beiden | |
angemessenen Reaktionen. | |
Einerseits: Ekel, Abscheu vor den JägerInnen, Widerwille angesichts ihrer | |
banalen Kommentare zu ihrem Hobby, wie sie die Tiere „Stücke“ nennen, wie | |
die Tochter zur Mutter sagt „tolle Arbeit geleistet“, Waidmannsheil – | |
Waidmannsdank, wie die Frau den Ehemann bewundert, der den Giraffenkopf nur | |
mit Hilfe fürs Trophäenfoto auf die Schultern bugsiert bekommt: „Du stehst | |
da wie Atlas. Ein Wahnsinn.“ Das obligatorische Beweisbild scheint neben | |
dem Kick der einzige Grund der Tierquälerei zu sein. Wahrlich ein Wahnsinn. | |
## Den Blutdurst stillen | |
Andererseits: das Nicht-Aushalten schon beim Zuschauen: So etwas darf man | |
gar nicht, oder? Darf man das Töten von Tieren in einem künstlerischen | |
Zusammenhang filmen, der – klar – nicht nur durch Seidls penibles visuelles | |
Talent, sondern auch seine eigene Aussage gegeben ist, Safari sei „ein | |
Kinofilm und kein Fernsehbericht“? Ist Exploration hier in Wahrheit | |
Exploitation? Wird subtil Sensationsgier, Blutdurst gestillt? Was nützt es, | |
zu zeigen, was ein paar Irre mit Geld Afrikas Tierwelt antun, wenn man | |
Filme von brutalen Tiertötungen aus der kritischen Berichterstattung über | |
Massentierhaltung kennt? Und selbst das weder alle Menschen zum | |
Vegetarismus/Veganismus noch zum bewussten Fleischkonsum verleitet? | |
Seidl selbst, der die „Safari“-ProtagonistInnen teilweise aus seinen | |
Vorgängerfilmen mitschnackte (das österreichische Pärchen stand „Im Keller… | |
vor der Kamera), sagt, er habe „die Beweggründe, die Besessenheit“ | |
darstellen wollen. „Was treibt Menschen an, in den Urlaub zu fahren, um | |
Tiere zu töten?“ Die sauber geordneten Jagdszenen laufen immer gleich ab – | |
Weiße in Khaki fahren durch die afrikanische Wüste, angeführt von schwarzen | |
Führern, steigen mit Zielstativ und Flinte aus, dann wird per Fernglas | |
gespäht, gepirscht, geflüstert, angelegt, getötet und das Foto geknipst. | |
Dazwischen hat Seidl die Interviews geschnitten – vor der Seidl-typischen | |
statischen, frontal aufgebauten Kamera sitzt man mal auf Safari-Thronen, | |
mal liegt man platt im Liegestuhl und hält den fleischigen Leib in die | |
Sonne, während an den Wänden die stummen Jagdtrophäen weggucken. | |
Aber seinem Anspruch wird Seidl nicht wirklich gerecht: Zwar reden die | |
JägerInnen schon über die Faszination, das Angespanntsein vorher und das | |
relaxte Ausatmen beim Schuss, zwar sieht man, wie sich hinterher angefasst, | |
geküsst wird, wie die Laune steigt, weil das Ziel getroffen wurde. Doch so | |
richtig versteht man’s nicht: Wieso sollte man eine Giraffe erschießen, | |
hinterrücks, mit dem Vorteil der Fernwaffe, des Fernglases, des Jeeps in | |
der Hinterhand? Noch nicht mal der Reiz der Gefahr, der Grund für viele | |
bekloppte Hobbys (Wingsuit, S-Bahn-Surfen) ist, greift hier. Wieso also? | |
## Eingeweide wie 3D-Puzzle | |
Ein weiteres Element erweitert den Film: Zwischen Jagdszenen, | |
Kadaververarbeitung und Interviews stehen afrikanische MitarbeiterInnen der | |
Jagdhütten unter den Trophäen vor der Kamera, sie essen Fleisch (Giraffe!?) | |
oder zeigen auf einem Tablett Eingeweide angeordnet wie ein 3D-Puzzle. Er | |
habe sie extra stumm gelassen, sagt Seidl, um ihre Funktion als HelferInnen | |
zu betonen. Dass er ihnen damit die Chance auf eine Meinung nimmt, ist | |
einkalkuliert. | |
So funktioniert Safari, der nicht ohne Vorwarnung und nicht von jedem | |
angeschaut werden sollte, einerseits eindeutig als Kritik an verschiedenen | |
Systemen (durch Kolonialismus entstandene Strukturen, fragwürdiger | |
Tourismus, Haltung zu Tieren an sich – die Unterschiede vom Gnu zum | |
„Nutztier“ sind graduell), und ist damit ein großartiger Film, der nicht | |
vorgibt, komplett authentisch zu sein, aber in seiner Ambivalenz für | |
gesunde Diskussionen sorgt. | |
Aber andererseits bleibt ein Nachgeschmack des Sensationalistischen: Die | |
wenigen Beispiele, die Seidl fand, können (vor allem durch die bewusst | |
fehlenden Sachinformationen) nicht repräsentativ sein. Vielleicht zeigen | |
sie auch nur ein paar Extreme. Was das für eine Gesellschaft bedeutet, muss | |
jedeR selbst entscheiden. Halali. | |
2 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Ulrich Seidl | |
Safari | |
Afrika | |
Kolonialismus | |
Tierschutz | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Kinofilm | |
Giraffe | |
Tierschutz | |
Moderne Sklaverei | |
Regisseur | |
Ulrich Seidl | |
Ulrich Seidl | |
Ulrich Seidl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Rimini“ im Wettbewerb der Berlinale: Amore Mio | |
Der Regisseur Ulrich Seidl reist in seinem jüngsten Film an die Adria. | |
„Rimini“ begleitet einen abgehalfterten Schlagerstar. | |
Kinofilm „Zama“: Zeit ist eine Stilfrage | |
Im Kinofilm „Zama“ werden die Körper der Figuren mit der Kamera | |
zerschnitten. Regie führt die Argentinierin Lucrecia Martel. | |
Weltgiraffentag: Die Heißblütige | |
Kinder lieben sie, Erwachsene wissen so gut wie nichts über sie – und das, | |
obwohl sie immer stärker vom Aussterben bedroht ist. Die Giraffe im | |
Porträt. | |
Verkehr in Nationalpark Kenias: Eisenbahn auf Stelzen | |
Vor den Toren Nairobis gibt es ein Dilemma der Wirtschaftsförderung: | |
Bahnstrecke gegen Nationalpark. Für das Land ist beides wichtig. | |
Innovativer Tourismus in Brasilien: Auf einen Kaffee mit Sklaven | |
In Brasilien bietet die Besitzerin einer Kaffeefarm Touri-Führungen an. | |
Besucher_innen treffen auf schwarze Menschen in Sklaventracht. | |
Regisseur Ulrich Seidl über „Im Keller“: „Die Welt schaut viel ärger au… | |
Für seinen neuen Film ist Ulrich Seidl in Österreichs Keller gestiegen. Ein | |
Gespräch über Bigotterie, Hakenkreuze und Sigmund Freud. | |
Filmfestspiele in Venedig: Nacktputzen und Klobrillen auslecken | |
Ulrich Seidl zeigt in Venedig seinen neuen Film „Im Keller“. Sadomaso auf | |
Augenhöhe und andere österreichische Kellergeschichten. | |
Ulrich Seidls Film „Paradies: Hoffnung“: Ein urgeiler Charakter, aber... | |
„Paradies: Hoffnung“ beschließt Ulrich Seidls Female-Misbehaviour-Trilogie: | |
eine messerscharfe Studie der tiefen Verunsicherung des Sichverliebens. | |
Regisseur Seidl über Spiritualismus: „Wann sagt sie nichts und horcht?“ | |
In Ulrich Seidls neuen Film „Paradies: Glaube“ besucht die fiktive Figur | |
Anna Maria reale Menschen zuhause. Über Katholizismus der Hauptfigur und | |
unterdrückte Sexualität. | |
Film über Sextourismuns: Europäische Überheblichkeit | |
Eine Wienerin, Mitte 50, sehnt sich nach Zärtlichkeit und Sex. Bei den | |
Beach Boys in Kenia wird sie fündig. Ulrich Seidls neuer Film „Paradies: | |
Liebe“. |