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# taz.de -- Kinofilm „Zama“: Zeit ist eine Stilfrage
> Im Kinofilm „Zama“ werden die Körper der Figuren mit der Kamera
> zerschnitten. Regie führt die Argentinierin Lucrecia Martel.
Bild: Warten, hoffen: Daniel Giménez Cacho als Zama
„Die Vergangenheit scheint nicht unsere zu sein“, schreibt die
[1][argentinische Filmemacherin Lucrecia Martel] in der größten spanischen
Zeitung El País über ihren neuen Film „Zama“. Ähnlich wie die Buchvorlage
von Antonio Di Benedetto imitiert ihr Film auf besondere Weise die
Kolonialzeit und endet 1799, mit dem 18. Jahrhundert, und damit rund zehn
Jahre vor der Mairevolution in Buenos Aires, der ersten erfolgreichen
Auflehnung Argentiniens gegen die spanische Besatzungsmacht. Das Land wurde
wenig später zum ersten Mal unabhängig und stellte eine eigene Regierung
auf.
Doch das Ausmaß der anstehenden Ereignisse spielt keine Rolle in Martels
Film, der seiner Vorlage entsprechend ganz der unvermittelten Erfahrung
verpflichtet ist. In einer verformten Idee der Vergangenheit sucht die
Regisseurin nach neuen Möglichkeiten der Weltwahrnehmung und erprobt dabei
den irritierenden Tonfall ihrer vorhergehenden Filme an frischen Tableaus.
Bisher standen bei Martel wohlhabende Frauen zunehmenden Alters im Zentrum,
nun geht es um einen ernüchterten Mann der Vergangenheit: Don Diego de Zama
(Daniel Giménez Cacho) vertritt die spanische Krone als Verwalter eines
Postens in der Provinz von Paraguay. Die Edelsteine der Region sind nichts
wert, ein Schnapsbrenner auf der Durchreise stirbt an der Pest. Die Ohren
des sagenumwobenen Banditen Vicuña Porto werden beim Glücksspiel zu einer
seltenen Sensation.
Sein einzig verbliebener Wunsch in dieser Tristesse: Weg von hier! Doch Don
Diego muss warten, über Monate, vielleicht Jahre, während sich erst
Hoffnungen, dann Sicherheiten und schließlich Körper zusehends auflösen.
## Im Zeitstrudel
Die Zeit ist in Martels Film weniger eine Verpflichtung als ein Freiraum
und eine Stilfrage. Und so findet sie keinerlei Erwähnung, selbst wenn
zwischen zwei Bildern Jahre vergehen. Der Film könnte genauso gut in der
Zukunft spielen.
Noch vor ein paar Jahren arbeitete die Filmemacherin an der Adaption eines
[2][Science-Fiction-Comics], die wie Di Benedettos Buch ursprünglich aus
den Fünfzigern stammt: „El Eternauta“ von Héctor Germán Oesterheld und
Francisco Solano López. Es wäre eine Geschichte über die Vernichtung von
Menschen durch eine schneeähnliche Substanz geworden, angeordnet von
unbekannten Außerirdischen.
Der Held gerät in einen Zeitstrudel und wird getrennt von seiner Familie,
auf ewig dazu verdammt, nach ihnen zu suchen. Ganz ähnlich wie auch Don
Diego aus der Zeit gefallen scheint und seine Mitmenschen längst aus dem
Blick verloren hat. Daniel Giménez Cacho spielt ihn und kommentiert ihn
dabei gleichermaßen als entrücktes Geschöpf.
Martel hatte seit zehn Jahren keinen Langfilm mehr gemacht, bisher sind es
erst vier. Und doch gehört sie zu den meistbeachteten Regisseurinnen des
Weltkinos. Bereits zweimal liefen ihre Filme im Wettbewerb der
Filmfestspiele von Cannes, wo Frauen sonst völlig unterrepräsentiert sind.
## Ausbeutung und Rassismus
Daher wird der Kinostart von „Zama“ in Deutschland begleitet von
Retrospektiven. Martel ist zu Gast und verteidigt ihren Kunstbegriff, der
sich deutlich gegen einen einfachen Realismus positioniert und gegen eine
Welt, deren Strukturen Ungleichheit, Ausbeutung und Rassismus befördern.
Die Ordnung der Dinge einfach zu reproduzieren, Filme zu machen mit der
sortierten Logik einer Berufskarriere, das genügt ihr nicht. Stattdessen
will sie mit den Möglichkeiten des Films eine widerständige Gegenrealität
schaffen, die Machtrealitäten stören, Wahrnehmungsweisen aufbrechen.
„Als Reaktion auf große Gewalt ist die Seele verschwunden, nur der Körper
bleibt zurück“, meint Martel im Gespräch über ihren Film „The Headless
Woman“ im Arsenal-Kino. „Ein solcher Zustand verwirrt unser Gespür für die
Beziehungen zu anderen Menschen.“ Die Protagonistin der Geschichte, die
„Frau ohne Kopf“, lebt an sich im Argentinien der Gegenwart, im Hier und
Jetzt, mitten in einer reichen Großfamilie. Doch sie hat vielleicht einen
Indiojungen überfahren und kann bald nicht mehr aufhören, darüber
nachzudenken.
Der Gedanke entfremdet sie von ihrem Umfeld, wirft sie auf sich selbst
zurück. Ihr Milieu kultiviert eine Form der Teilnahmslosigkeit der Welt
gegenüber, doch immer wieder wird sie förmlich überfallen von Momenten, die
den vergangenen Unfall in die Gegenwart zurückholen. In diesen Momenten
verlangsamt sich der Film in einer sachten Zeitlupe. Nur ganz unmerklich,
so dass beim Sehen erst nach und nach klar wird, wie sich die
Geschwindigkeit der Welt kurzzeitig verändert hat. Die Tonebene lässt die
ohnehin schon unscharf gefilmte Umgebung endgültig in sich zusammenfallen.
„The Headless Woman“ ist eine Meisterleistung der filmischen
Desorientierung und eine Abrechnung mit struktureller Gewalt. Und ebenso
„Zama“. Wieder gibt es Rahmungen, in denen Körperteile brutal abgeschnitten
werden. Etwa wenn der Kopf einer stehenden Dienerin fehlt, während sich
Zama mit feinen Herrschaften unterhält.
## Innere Monologe
Doch sind formale Störungen im ersten digital gedrehten Film Martels
zunächst weniger offensichtlich. Die Welt ist zumeist glasklar zu sehen und
auffällig weit in die Tiefe komponiert. Ständig spielt sich im Hintergrund
etwas ab, oder neben dem Bild. Doch was sich denn eigentlich abspielt, das
ist in dieser entrückten Welt der künstlichen Vergangenheit oft gar nicht
mehr zuzuordnen. Menschen könnten manchmal auch Tiere sein oder Möbel. Ein
Schuss fällt, der einzige des Films, ohne dass er zu sehen ist, ein
grundloser Mord an einem Pferd.
Ein Lama geht während eines wichtigen Amtsgesprächs mit Don Diego von
hinten ins Bild, bis ganz nah an die Kamera und an seinen Kopf. Dann
verschwindet es wieder unkommentiert. Martel beschreibt, wie in Di
Benedetos Buch eine bisher ungesehene Region des Planeten erst dadurch
aufleuchtet, dass sie durch seine besondere Sprache fließt.
Es ist überraschend, dass sich ihr neuer Film anders als die vorherigen
immer wieder zur Sprache bekennt. Da sind die inneren Monologe, Gedanken
wie zufällig anvisierter Menschen, die komplett die Aufnahme überlagern.
Die Welt wird dann leise für Empfindungen, die an keinem Ort jenseits des
Kinos so nachdrücklich spürbar sind.
11 Jul 2018
## LINKS
[1] /Preisverleihung-bei-Berlinale/!5126300
[2] /Afrofuturistischer-Comic-Black-Panther/!5486721
## AUTOREN
Dennis Vetter
## TAGS
Kinofilm
Argentinien
Kolonialismus
Spielfilm
Berliner Mauer
Spielfilm
Ulrich Seidl
Theater
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